Schwerpunkt
Minderqualifizierte, Seiteneinstieg und Arbeitsverdichtung
Seit Jahrzehnten fehlen Fachkräfte verschiedener Berufsgruppen an Schulen. Der Behörde gelingt es aus unterschiedlichen Gründen nicht, diesen Mangel auszugleichen. Mal muss die knappe Haushaltslage als Begründung herhalten, dann der Fachkräftemangel.
Die Behörde setzt neben regulären Einstellungen hauptsächlich auf drei Säulen: Einsatz minderqualifizierter Beschäftigter, Seiteneinstiegsprogramme und Arbeitsverdichtung. Daneben gibt es in jüngster Zeit zaghafte Versuche, die Ausbildungszahlen im Referendariat zu erhöhen. Ich versuche mich an einer Einordnung der Behördenstrategie.
PRO
Einstellungen
Am besten lässt sich Fachkräftemangel über Einstellung neuen, qualifizierten Personals ausgleichen. Hierbei gibt es mit der Modernisierung des Bewerbungsverfahrens hin zu einem komplett digitalen Verfahren einen wichtigen Fortschritt, um Bewerbungen damit zukünftig schneller, transparenter und weniger fehleranfällig bearbeiten zu können. Positiv zu vermerken ist die seit einigen Jahren existierende Zuweisungsrichtlinie. Diese stellt eine der Zahl der zu unterrichtenden Schüler:innen angepasste Erhöhung der Personalmittel im Lehrkräftebereich automatisch sicher.
Besetzung mit „anders Qualifizierten“
Um die Lücken beim Personalbedarf nicht allzu groß werden zu lassen, lässt die Senatorin kaum eine Gelegenheit aus, die Notwendigkeit, „anders qualifizierte“ (minderqualifizierte) Personen einzustellen, zu unterstreichen. Bevor Unterricht oder Betreuung ausfällt, so ihr Credo, sei es besser, solche Beschäftigten einzusetzen. Aus Sicht der Personalvertretungen kann man sagen, dass dort, wo Kolleg:innen fehlen, auf die vorhandenen Beschäftigten Druck entsteht, die Lücken durch eigene Mehrarbeit zu schließen. Insofern ist das Schließen von Personallücken natürlich auch im Interesse des Personalrats.
Seiteneinstiegsprogramme
Mittlerweile gibt es eine Reihe von Programmen, um Personen für die Arbeit in Schulen nachzuqualifizieren. Bei Lehrkräften gibt es die Seiteneinstiege „A“ und „B“, die als teuer, aber erfolgreich gelten. Zusätzlich läuft seit 2023 das Programm „Back to School“, eine Art Vorstufe des bisherigen Seiteneinstiegs. Für ausländische Lehrkräfte besteht die Möglichkeit, je nach Anerkennung, direkt oder nach einem Anpassungslehrgang zu unterrichten. Im Erzieher:innenbereich gibt es das Programm PiA (Praxisintegrierte Ausbildung). Auf diesem Weg ist es gelungen, zusätzliche Beschäftigte für die Arbeit in Schulen zu gewinnen und gut auszubilden. Insofern sind die Maßnahmen sinnvoll.
Erhöhung der Ausbildungszahlen
In den vergangenen beiden Halbjahren haben – bedingt durch eine Umstellung des Bewerbungssystems – deutlich mehr Referendar:innen die Ausbildung am Landesinstitut für Schule (LIS) begonnen. Die nominelle Zahl von 200 pro Halbjahr wurde einmalig um ca. 20 Prozent übertroffen. Diese ungeplante Erhöhung der Zahl der Lehramtsanwärter:innen wurde quasi mitgenommen, wofür erhebliche Anstrengungen seitens des LIS unternommen werden mussten. Ein Schritt in die richtige bzw. notwendige Richtung, der aber weitere Schritte folgen müssen.
CONTRA
Wir werden sehen, dass viele Maßnahmen unter Inkaufnahme erheblicher negativer Nebenwirkungen erfolgen, während andere aus unserer Sicht notwendige Maßnahmen unterbleiben.
Einstellungen
Für Personalgewinnung muss der Bedarf bekannt sein. Das Verfahren der Behörde hierzu ist seit Jahren völlig veraltet und in einem teilweise dysfunktionalen Zustand. Sprich: Die Behörde weiß nur grob, an welcher Schule welches Personal gebraucht wird. Gänzlich unbekannt sind die fächerbezogenen Personalbedarfe im Lehrkräftebereich. Immerhin wird die Notwendigkeit, hier nachzusteuern, in der Behörde gesehen. Aber die dringend notwendige Modernisierung lässt mangels finanzieller Mittel auf sich warten.
Während der Sommerferien, wenn die meisten Einstellungsvorgänge laufen, ist die Behörde zudem regelmäßig unterbesetzt, wodurch die Personalstatistik zu Schuljahresbeginn nicht vollständig ist. Aus Sicht des Personalrats sind Schulen vor allem in den Stadtteilen Nord und West strukturell schlechter ausgestattet, da sich die Schulen in einem Wettbewerb um die zu wenigen Bewerber:innen befinden, ein für eine sozialdemokratische Senatorin unhaltbarer Zustand. Eine Umstellung auf eine datenbasierte, zentrale Unterrichtsversorgung wäre notwendig, um diesem Missstand zu begegnen. Zudem bräuchte es Anreizsysteme, um das beste Personal hierhin zu locken. Unsere Vorschläge hierzu werden bislang ignoriert.
Eine weitere Schwierigkeit für die Behörde besteht darin, die Zahl der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen in den kommenden Jahren zu schätzen. Um hier genauer zu werden, hat die Behörde in den vergangenen Jahren vom Institut für Qualitätsentwicklung (IQHB) ein verfeinertes Prognosemodell erstellen lassen. Leider hat dieses die aktuelle Notlage auch nicht verhindern können. Über die Zuweisungsrichtlinien (siehe oben) werden nur Personalkosten erfasst, also beispielsweise keine Kosten für Gebäude, Verbrauch etc. Außerdem gilt die Zuweisungsrichtlinie nur für Lehrkräfte – für anderes Personal werden die Mittel nicht automatisch erhöht.
Besetzung mit „anders Qualifizierten“
Einsatz von „anders qualifizierten“ Personen schließt zwar Personallücken, bringt für die Kollegien aber oft Mehrarbeit mit sich: durch Einarbeitung, durch Hilfestellung etc. Ganz abgesehen davon, dass man nicht immer dieselbe Qualität an Arbeit erwarten kann, wenn jemand nicht (voll) ausgebildet ist. Daher bestehen wir seit jeher darauf, dass alle Beschäftigten die volle Qualifikation zum Beispiel in Form von Seiteneinstiegsprogrammen nachholen und Studierende nur für eine begrenzte Zeit eingesetzt werden. Besonders problematisch ist, wenn beispielsweise Studierende, die für Vertretungsunterricht oder Zweitbesetzung an der Schule sind, eigenverantwortlichen Unterricht übernehmen müssen oder sogar als Klassenleitung eingesetzt werden. Hier droht nicht nur Überforderung, sondern auch eine Störung der Ausbildung, weil dieser Unterricht in der Regel nicht durch Mentoring begleitet wird.
Seiteneinstiegsprogramme
Seiteneinstiegsprogramme werden aufgrund der hohen Kosten nur in begrenztem Umfang angeboten. Zudem sind sie keine Allzweckwaffe: der Anteil derer, die nicht das komplette Spektrum an pädagogischer Kompetenz mitbringen, ist unter den per Seiteneinstieg gewonnenen Beschäftigten höher. Kritisch wird es, wenn ein hoher Prozentsatz der Lehrkräfte in einem Fach Seiteneinsteiger:innen sind: dann fehlt oft die Expertise, um neue Referendar:innen an der Schule kompetent zu begleiten.
Arbeitsverdichtung
Der Kapitalismus hat auch vor dem öffentlichen Dienst nicht haltgemacht: Die Erhöhung der Stunden „am Kind“, zusätzliche Aufgaben durch Inklusion, Dokumentation, Digitalisierung, veränderte Erziehung, Schulentwicklung oder Arbeit in multiprofessionellen Teamstrukturen wurde jahrelang einseitig den Beschäftigten aufgeladen, ohne hierfür Arbeitszeit einzuräumen. Die Folge sind Überforderung, Selbstunwirksamkeitserfahrung, das Gefühl, immer zu wenig zu schaffen, Frust, Krankheit, Kündigung (auch innere), Flucht in Teilzeit sowie eine abschreckende Wirkung auf neue Generationen. Die Teilzeit-Quote in Schulen spricht Bände. Laut einer vom Personalrat durchgeführten Umfrage können sich 85 Prozent der Teilzeit-Beschäftigten vorstellen, unter bestimmten Bedingungen mehr zu arbeiten – machen es aber aus guten Gründen derzeit nicht (siehe auch Seite 8 in diesem Magazin). Durch das „Ausquetschen“ der Beschäftigten erreicht die Senatorin keines ihrer Ziele: Weder die Fürsorge für ihre Beschäftigten noch eine ausreichende personelle Ausstattung und damit verbunden weder die Erfüllung des Rechts auf Schulbesuch für alle Kinder und Jugendlichen noch bessere Ergebnisse bei PISA!
Erhöhung der Ausbildungszahlen
Der Personalrat hat die Erhöhung der Referendar:innen-Plätze im LIS unterstützt und begrüßt – keine Maßnahme ist effektiver, um mittelfristig mehr gut qualifiziertes Personal zu bekommen. Leider ist damit nur ein kleiner Teil der notwendigen Maßnahmen angegangen worden: für Lehrkräfte Veränderungen im Lehramtsstudium (mehr Studienplätze, Wegfall NC, frühere Praxisorientierung, bessere Begleitung im Studium) und weiterer Ausbau der Kapazitäten am LIS. Für nichtunterrichtendes pädagogisches Personal bessere Ausbildungsbedingungen (Ausbildungsgehalt) und attraktivere Rahmenbedingungen für die Arbeit in Schulen (Arbeit in Teams auf Augenhöhe, Einsatz gemäß Qualifikation, Angebot von Vollzeitstellen, Möglichkeit zum Berufsaufstieg).
Fazit
Der Versuch, die Personalbeschaffungsmaßnahmen ausgewogen zu bewerten ist mir leider nicht gelungen.