Die empirische Bildungsforschung – vor allem in den angelsächsischen Ländern – hat in den vergangenen 20, 30 Jahren eine Unzahl von Befunden aus Einzelprojekten zu verzeichnen, die kaum jemand mehr überblicken kann. Angesichts dieser zunehmenden Fülle von Detailstudien hat die Bedeutung sog. „Metaanalysen“ zugenommen. Um zu sehen, ob es eine Beziehung zwischen Faktoren wie z. B. Fernsehkonsum von Kindern und ihrer Lesefähigkeit gibt und wie stark sie ausgeprägt ist, verrechnet man statistische Effekte über verschiedene Studien hinweg. Man tut dies, obwohl die Daten unter verschiedenen Bedingungen, in verschiedenen Kontexten (Bildungssystemen, Sprachen, Kulturen...) und mit unterschiedlichen Instrumenten gewonnen worden sind. Auf diese Weise hofft man robustere Werte zu gewinnen und den Einfluss von Ausreißer-Befunden aus Einzelstudien zu minimieren. Auf den ersten Blick ein überzeugender Ansatz – und auf alle Fälle eine Hilfe, um einen groben Überblick zu gewinnen.
Hatties Zusammenschau wird auch in Deutschland immer häufiger zitiert, um bestimmte „Methoden“ oder „Ansätze“ als mehr oder weniger sinnvoll zu bewerten [Anm.: Vgl. etwa Köller (2012), Spiewak (2013); differenzierte Auseinandersetzungen mit Hatties inhaltlichen Aussagen finden sich bei: Terhart (2011), Meyer (2013).].
Denn Hattie ist noch einen Schritt weitergegangen als die Kolleg/inn/en vor ihm: Er hat die Werte aus über 800 Metaanalysen zum Schulerfolg unter verschiedenen Bedingungen in einer Meta-Meta-Analyse auf einer noch höheren Ebene verdichtet und findet in der Tat einige beeindruckende Zusammenhänge. Hier die Plätze 1-10 der angeblich einflussreichsten Faktoren [Anm.: ES = Effektstärke; ab 0,5 gilt ein Effekt gemeinhin als beachtenswert – der Anschaulichkeit halber oft gleichgesetzt mit dem Vorsprung von etwa einem Schuljahr.]
(s. ergänzend unten die Auswahl-Übersicht auf Deutsch):
Rank | Influence | Studies | Effects | ES |
1 | Self-reproted grades | 209 | 305 | 1.44 |
2 | Piagetian programs | 51 | 65 | 1.28 |
3 | Providing formative evaluation | 30 | 78 | .90 |
4 | Micro teaching | 402 | 439 | .88 |
5 | Acceleration | 37 | 24 | .88 |
6 | Classroom Behavioral | 160 | 942 | .80 |
7 | Comprhensive interventions for learning disabled students |
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8 | Teacher clarity | na | na | .75 |
9 | Riciprocal teaching | 38 | 53 | .74 |
10 | Feedback | 1287 | 2050 | .73 |
Die formal aufgelisteten Merkmale zeigen allerdings Spannungen auf, die den Sinn von Ranglisten, wie Hattie sie publiziert, in Frage stellen [Anm.: Vgl. zu weiteren Kritikpunkten, z. B. der Beschränkung der Erfolgsmaße für „erfolgreichen Unterricht“ auf Ausschnitte aus (nur) den Fächern Mathematik und Sprache, aber auch zu forschungsmethodischen Bedenken Lind (2011), Brügelmann (2013), Rolff (2013).]
Zum Beispiel wirke positiv, wenn Lehrer/innen klare Anweisungen bei der Aufgabenstellung geben - aber auch wenn Schüler/innen anderen Schüler/innen etwas beibringen oder wenn sie sich gar selbst beurteilen dürfen. Auch die folgende Auswahl über das ganze Spektrum der Effektstärken zeigt, dass es darauf ankommt, was man jeweils unter den einzelnen Etiketten konkret versteht – sowohl in den verschiedenen Studien, die als „gleich“ miteinander verrechnet werden, als auch bei der Übersetzung in andere Sprachen (s. die Originalbegriffe in Klammern) wie auch in jeder Auslegung der stark verknappten „Etiketten“ durch einzelne Leser/innen:
- 1.4 Selbstbeurteilung
- 1.3 Piaget-orientierte Programme
- .9 förderorientierte Beurteilungen
- .9 Einüben von methodischen Fertigkeiten („micro teaching“)
- .7 klare Anweisungen des Lehrers („teacher clarity“)
- .7 Schüler als Lehrer („reciprocal teaching“)
- .6 Fortbildung von Lehrer/inne/n
- .5 Schüler als Tutor_inn_en („peer tutoring“)
- .0 Schülerkontrolle über Lernen
- .0 offen vs. traditionell
- .0Altersmischung
- .0 Fachwissen Lehrer
- .0Förderung von Wahrnehmung und Motorik
Wie kompliziert das Bild tatsächlich ist, zeigen beispielhaft die Werte zum Faktor „Computereinsatz“ im Unterricht. Mit einer durchschnittlichen Effektstärke von .39 ist sein Einfluss als mäßig positiv einzuschätzen. Wenn die Lernschritte durch das Programm vorgegeben werden, verschwindet dieser sogar ganz (-.02). Andererseits steigt der Effekt, wenn die Schüler das Vorgehen im Programm selbst steuern konnten, auf .49, und wenn sie mit einem Partner arbeiteten, sogar auf .96.
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