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Gesellschaftspolitik

Märtyrer für Heidegger und Allah

'Die Religionskritik ist der Anfang aller Kritik' (Karl Marx)

Die iranische Linke machte sich in den Siebziger Jahren zum Steigbügelhalter der reaktionären Korangelehrten um Chomeini. Der fatale Irrtum kostete etliche von denen, die ihn begangen hatten, das Leben. Zwei Vordenker bereiteten den ideologischen Boden für die Tragödie: Dschalal Al-e Ahmad und Ali Shariati.

Kontext I: Die Diskreditierung des Westens

Ideen liberaler Nationalstaatlichkeit waren im Iran spätestens 1953 desavouiert, als der sozialdemokratisch gesinnte Ministerpräsident Mossadegh weggeputscht wurde und westliche Geheimdienste dabei ihre Hand im Spiel hatten: Pläne einer verschärften staatlichen Kontrolle des Ölexports waren in den Augen amerikanischer One-World-Strategie ein Verstoß gegen Freihandel und Einfallstor für kommunistische 'Zersetzung'. Der daraufhin inaugurierte Shah Reza Pahlavi versuchte den Nationalismus der Massen durch die Repräsentation persisch-royaler Glorie zu bedienen. Von seiner 'weißen Revolution', die auf Modernisierung für den Weltmarkt zielte, kam bei den Pauperisierten wenig an. Immerhin führte er das Frauenwahlrecht ein – unter wütendem Widerstand des Klerus, Khomeini eingeschlossen. Um demokratische und sozialistische Oppositionsgruppen kümmerte sich eine außerhalb der Legalität operierende Geheimpolizei. Der Westen, der das alles förderte, schien es mit der Freiheit nicht so ernst zu nehmen.

Politisierte Gesellschaft

Die iranische Gesellschaft war, wie die nicht abebbenden Proteste in den Siebziger Jahren zeigten, stärker politisiert als es im Nahen Osten zu erwarten war. Ein Verfassungsprozess, um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert angestoßen und auf halbem Weg abgewürgt, hatte seinen Teil dazu beigetragen. Alles, was sich selbst als liberal oder progressiv verstand, bedauerte diese Entwicklung und hoffte auf eine Wiederaufnahme unter neuen Vorzeichen. Während der Oktoberrevolution gehörte Persien zum umkämpften Randgebiet mit vorübergehendem Status als Sowjetrepublik. Eine Frucht dieser stürmischen Episode war die kommunistische Tudeh-Partei. Gegossen aus dem Beton des Marxismus-Leninismus, galten ihr Ansätze von Rechtsstaatlichkeit und freien Wahlen eher als bürgerlicher Klimbim, für den Weg zum Sozialismus gab es ja die bewährte bolschewistische Abkürzung. Zwar hielt sie sich an die Sprachregelung, vor dem Aufbau des Sozialismus sei, als historische Bedingung, die Errichtung der demokratischen Republik abzuhaken. Wie ernst das gemeint war, ließ sich jedoch am Umgang der Kader miteinander ablesen – nach stalinistischer Manier waren stets finale Abrechnungen mit andersdenkenden Parteimitgliedern zu exekutieren.

Kontext II: Die Diskreditierung des Ostens

Positionierte sich die Führungsspitze der Tudeh zunächst treu an der Seite der Sowjetunion – und nach Verfolgung durch den Sicherheitsapparat des Shahs auch im östlichen Exil – so entfremdete sie sich vom Großen Bruder, als der Iran in den Sechziger Jahren einige Projekte in Zusammenarbeit mit Moskau auf den Weg brachte. Entgegen landläufigen Ansichten war der Shah keine reine Marionette. Geostrategische Lage und ökonomische Bedeutung des Ölstaates ließen sich ausspielen, indem man punktuell zwischen den Blöcken balancierte. Jene kurzzeitige und letztlich nicht sehr tiefgehende Annäherung an Moskau trieb gleichwohl etliche Tudeh-Kader in die Verzweiflung und auf die Suche nach anderen revolutionären Verbündeten. Nachdem der zwischenzeitliche Hoffnungsträger China sich ebenfalls mit dem Shah zu arrangieren suchte, waren sie reif für neuen ideologische Pfade: Am Ende stand die Unterstützung Khomeinis in der Volksabstimmung über die Ausrufung der 'Islamischen Republik' von 1979. Vermutlich glaubten manche, den Ayatollah 'einzurahmen' zu können, andere waren wirklich der Idee eines Sozialismus im Zeichen der Shia verfallen.

Verwestlichung als Krankheit

Solche Ideen kursierten ohnehin verstärkt seit den Sechziger Jahren. Gerade unter Teilen der kritischen Intelligenz war eine Abwendung vom Säkularismus zugunsten der Renaissance eines befreiungstheologisch umgedeuteten Schiismus zu verzeichnen. Zwei Intellektuelle stachen besonders hervor. Dschalal Al-e Ahmad wurde 1923 in eine Familie von Religionsgelehrten geboren, hatte in Teheran Literatur studiert und sich kurzzeitig der Tudeh zugewandt. Bekannt wurde er im Iran aufgrund seiner literarischen Arbeiten, zu denen Erzählungen und Romane gehörten. Als Unterstützer Mossadeghs landete er für einige Jahre im Gefängnis und orientierte sich an Gruppen, die einen 'dritten Weg' jenseits der Blöcke propagierten. Später wandelte er sich zum Kulturkritiker, der tagespolitischen Aktionen entsagte, um in seinen Publikationen das zu geißeln, was er als eigentliches Übel sah: Die Verwestlichung. In einem Essay von 1962 variiert er die Behauptung, dass die Übernahme europäischer Gedanken das Generalübel sei, der Grund für die iranische Misere schechthin. Den Titel des Pamphletes – 'Gharbzadegi' – übersetzt Katajun Amirpur mit 'Vom-Westen-Befallen-Sein', was durchaus im Sinne einer Kankheit zu verstehen ist.

Identität und Befreiung

Das entsprach dem internationalen Zeitgeist im Kontext der späten Dekolonialisierung. Gelegentlich wird Al-e Ahmad aus gesellschaftskritischer Perspektive mit Frantz Fanon verglichen. Dessen Essayband  „Die Verdammten dieser Erde“ (1961) behandelt die Frage, welche subjektoren Faktoren im Bewusstsein der Kolonisierten diese vom Kampf gegen die Kolonialmächte abhalten. Fanon, psychoanalytisch geschult qua Profession,  sah das Problem darin, dass sie Vorstellungen europäischer Superiorität verinnerlicht hätten und sich so über ihre Unterlegenheit gegenüber den 'Weißen' definierten. Durch Rückbesinnung auf nationale Kultur könne dies aufgebrochen werden, allerdings gerade nicht vermittels der Konstruktion vormoderner Idyllen. Eben dies habe die zeitgenössische Bewegung der Négritude in Form der Beschwörung einer glorreichen Vergangenheit praktiziert, die von idealisierten tribalen Gesellschaften bevölkert war. Ihr wirft Fanon vor, sie imitiere mit solcher Verklärung der vorkolonialen Zeiten die Geschichtsschreibung der Kolonialmächte unter umgekehrten Vorzeichen. Eine authentische eigene Kultur entstehe hingegen erst im nationalen Befreiungskampf.

Ein brauchbares Werk

Al-e Ahmed wäre in dieser Kontroverse allerdings eher auf Seiten der Négritude zu platzieren, schließlich hatte er vor allem säkulare Intellektuelle als diejenigen kritisiert, durch welche die Krankheit der Verwestlichung eingeschleppt worden sei. Die schiitische Geistlichkeit erschien ihm nunmehr umgekehrt als das Antidot dagegen. Nicht mehr waren Religion und Staat zu trennen, ganz im Gegenteil: Die Befreiung des Iran bedurfte der Mullahs als ihrer Wächter. Und zum historischen Bezugspunkt wurden die monumentalen Schlachten der schiitischen Altvorderen. Unter iranischen Linken, die von West und Ost desillusioniert waren, avancierte 'Gharbzadegi' zum Buch der Stunde. Es verhieß einen eigenen Weg zur nationalen Unabhängigkeit, mit Anschlussfähigkeit an die religiösen Bevölkerungsteile, ohne dass man dafür selbst fromm werden musste. Khomeini wiederum entdeckte darin die Aufwertung der bislang eher als rückwärtsgewandt eingeschätzten Religionsgelehrten. Kurz nach dem Erscheinen des Werkes lässt er verlauten, er schätze es sehr.

Auf den Spuren Ernst Jüngers

Ironischerweise hatte Al-e Ahmad die geistigen Anregungen zu seinen antiwestlichen Ressentiments ausgerechnet durch europäische Philosophie bekommen, allerdings aus ihren trübsten Quellen: Martin Heidegger und Ernst Jünger scheinen ihn vor allem zu seiner Zivilisationskritik angeregt zu haben. Jünger war mit der notorischen Glorifizierung des Krieges nach 1918 zu literarischer Bekanntheit gelangt. In der Weimarer Republik betätigte er sich im antidemokratischen Milieu deutschnationaler Offiziere und sympathisierte zeitwillig mit Hitler, nur im Hinblick auf Rassenlehre und Antisemitismus wurde man sich nicht einig. Über Heidegger musss nicht viel gesagt werden. Er wendet seine Existentialphilosophie zunehmend antiaufklärerisch und schließt sich 1933, als Rektor der Freiburger Universität, ganz offen dem Nazismus an. Beide verachten die vermeintlichen Entwertung des Individuums in der technisierten Massengesellschaft und verordnen diesem als Gegenmittel 'heroische' Selbstaufgabe in der Nation und im Krieg. Von ihrer reaktionären Kritik der Moderne scheint Al-e Ahmad begeistert gewesen zu sein. In gewisser Weise ist es konsequent, wenn er, auf der Suche nach einer Strategie gegen den Imperialismus, zu Dschihad und Märtyrertum zurückkehrt. Die Geister, die er rief, musste er freilich nicht mehr erleben. Er verstarb 1969.

Reformierter Schiismus – Ali Shariati

Mit Ali Shariati trat ein zweiter prominenter Intellektueller für eine Zusammenarbeit der linken Protestierenden mit dem schiitischen Klerus ein. Geboren 1933, hatte er an der Sorbonne Soziologie studiert. Die Befreiungsbewegungen gegen den Kolonialismus interessierten ihn, insbesondere den Algerienkrieg verfolgte er während seines Aufenthaltes in Frankreich. Selbst einem säkularen Lebensstil folgend – Familienbilder mit Frau und Töchtern zeigen diese unverschleiert - , knüpfte er dennoch an Al-e Ahmads Motiv der Verwestlichung an. Sein Verhältnis zum Islam war ambivalent: Er kritisierte Teile der Gelehrten als Parteigänger des Kapitalismus, sah aber in einem reformierten Schiismus das Modell für eine nationale Befreiung des Iran.

Lob des Märtyrertums

In seiner Schrift 'Marxismus und andere westliche Irrlehren: Über Humanismus' demonstriert Shariati Grundgedanken seiner Theorie. Er behauptet, die maßgeblichen politischen Ideologien des Westens, darunter zählt er Liberalismus, Marxismus und Existentialismus, seien Abkömmlinge der Aufklärung und basierten auf einem gemeinsamen Kardinalfehler: Die Entfaltung des Menschen werde in seiner Emanzipation von Gott, d.h. von kirchlicher Bevormundung verortet. Dem liege das Gottesbild der griechischen Antike zugrunde, wo Prometheus den Menschen gegen den Willen eines intriganten Zeus das Feuer bringen muss. Für den Islam hingegen, insbesondere – man ahnt es – in der iranischen Zwölferschia liege die Menschwerdung in der Durchsetzung göttlicher Gerechtigkeit. Überhaupt sei Prophet Ali der erste Sozialist gewesen. Die Historikerin Janet Afary weist darauf hin, dass Shariati am Ende, nach allerlei ideologischen Kapriolen, doch wieder beim Dschihad landet. Sie zitiert ihn mit folgenden Worten: „Märtyrertum ist der einzige Grund der Existenz“ und „ein Ziel in sich selbst“. Dies lässt sich auch in nationalistischer Tonart formulieren: 'In diesem Sinne garantiert das Sterben eines menschlichen Wesens das Leben einer Nation“.

Schluss

Shariati hat, wie sein Vorläufer, den Sturz des Shah nicht mehr miterlebt. Ob er sich besonnen, seine Theorien widerrufen hätte, ob er im Folterkeller geendet wäre – alles Spekulation. Auch für einige europäische Geistesgrößen wie Foucault verkörperten er und Al-e Ahmad die Vorstellung von antikolonialer Emanzipation. Zugleich schienen sie authentische Stimmen 'des Anderen' zu sein, von jenseits der verachteten Aufklärung. Wie sich gezeigt hat, wird aus einer Befreiung, bei der die Befreiten der neu entstandenen Nation zum Fraß vorgeworfen werden, nur neue Unterdrückung. Und die Schriften der beiden Theoretiker können die Herkunft zentraler Motive aus europäischen, nationalistischen und irrationalistischen Gedankenwelten nicht verleugnen. Die Preisgabe des Individuums gegenüber neuen Kollektiven und der Vernunft gegenüber dem alten Obskurantismus ist unverzeihlich. Sie wurde von europäischen ebenso wie iranischen Intellektuellen betrieben. Die religiösen Reaktionäre konnten dafür die Ernte einfahren. Und natürlich hatte westliche Großmachtpolitik zugearbeitet. Sofern Intellektuelle jedoch beanspruchen, selbst zu denken, können sie die Verantwortung für ihr Versagen nicht höheren Instanzen zuschieben, weder Gott noch dem Imperialismus.