Nach einem Bericht im Weserkurier vm 29. September 2017 will die SPD-Bürgerschaftsfraktion „ein neues Institut schaffen, das die Qualität in Bremens Schulen überprüfen und dafür sorgen soll, dass Schülerinnen und Schüler bessere Leistungen erbringen.“ „Qualität“ und „Entwicklung“ sind vielversprechende Signalbegriffe in dem Vorschlag der SPD zur Einrichtung dieses Qualitätsinstituts – sie stehen aber in einer starken Spannung zu den konkret vorgeschlagenen Aktivitäten, vor allem der Konzentration auf die Einführung zusätzlicher Leistungstests in den sog. Hauptfächern nach Hamburger Vorbild. Für die zur Begründung genannten gestiegenen Leistungen in Hamburg können aber genauso gut auch ganz andere Maßnahmen verantwortlich sein, z. B. das dort über Jahre ausgebaute differenzierte und gut ausgestattete Förderprogramm im Bereich Lesen und Schreiben.
Insofern ist vor einer Entscheidung für mehr Tests die Frage zu klären, was am ehesten verspricht, die Leistungsentwicklung der Bremer Schüler*innen zu fördern: Brauchen Lehrer*innen tatsächlich mehr Daten über deren Leistungsstand, oder ist daran zu arbeiten, die verfügbaren Daten besser zu nutzen und die richtigen Konsequenzen zu ziehen? Viele Schulen verweisen darauf, dass ihnen die unterdurchschnittlichen Fachleistungen ihrer Klassen durchaus bewusst sind und dass sie auch konkret benennen können, welche Schüler*innen besondere Schwierigkeiten haben. Aber nicht immer ist klar, welcher Art die Schwierigkeiten des einzelnen Kindes sind, z. B. welche spezifischen Rechen- oder Schreibstrategien es verwendet; wo die Gründe für die individuellen Schwierigkeiten liegen, z. B. ob sie auf problematische Zugangsweisen/ Strategien des Kindes, auf didaktisch-methodische Einseitigkeiten des Unterrichts oder auf besondere familiäre Belastungen zurückzuführen sind; und welche konkreten Unterstützungsmaßnahmen dem Kind am ehesten weiterhelfen könnten.
Für die Beantwortung dieser Fragen sind auch standardisierte Tests hilfreich, wenn auch deutlich in dienender Funktion im Rahmen eines umfassenderen diagnostischen Repertoires. Sie können als Warnlampen nützlich sein, aber in dieser Funktion verspricht eine bloße Erhöhung der Frequenz den Schulen derzeit kaum neue Erkenntnisse. Vor allem können Tests das professionelle Urteil über Ursachen und Konsequenzen nicht ersetzen. Ehe man also mehr Ressourcen in weitere Lernstandserhebungen investiert, sollte geprüft werden, was vorrangig zu tun ist, um die Nutzung der bereits verfügbaren Informationen zu verbessern und erfolgversprechende Maßnahmen zu ergreifen. Dafür ist zu bedenken:
1. Testdaten sprechen nicht für sich, sie müssen personenbezogen interpretiert werden – mit Hilfe von Wissen über die besonderen Schwierigkeiten des Gegenstands und typischer Aneignungsformen von Schüler*innen. Denn dieselbe Lösungen (z. B. die Schreibweisen „Maschiene“ bzw. „Maschine“) können jeweils auf ganz unterschiedliche Kompetenzstufen verweisen, je nachdem, auf welchen Weg die Kinder zu ihnen gekommen sind. „Diagnose“ ist kein rein technischer Akt, bei dem sich Testpunkte direkt in Erklärungen und Maßnahmen umsetzen lassen, sondern verlangen ein durch Erfahrung und Reflexion geschultes Urteil. Forderung: Lehrer*innen brauchen mehr Fortbildung und Beratung, um Aufgabenlösungen von Schüler*innen (auch in Tests) fachkundig deuten zu können.
2. Eine Ergänzung interner Beobachtungen der Lernentwicklung von Schüler*innen (z. B. durch Tests) ist hilfreich, aber standardisierte Untersuchungen vermitteln nur eine andere, keine bessere Sicht auf den Unterricht von Lehrer*innen. Ihre Grenzen ergeben sich aus der nur punktuellen und ausschnitthaft beschränkten Datenerhebung und der Ausblendung des Kontexts. Sie sind deshalb zu ergänzen durch Informationen aus einer kontinuierlich begleitenden Lernbeobachtung. Forderung: Lehrer*innen brauchen mehr Zeit für die Durchführung, Dokumentation und Auswertung von Lernbeobachtungen und ihren Abgleich mit externen Daten.
3. Leistungsdaten sagen noch nicht, was getan werden kann, um Schwierigkeiten zu überwinden. In der Didaktik konkurrieren sehr unterschiedliche Konzepte, die jeweils auf Erfolge verweisen können – aber bei der Umsetzung in der Breite alle auch Misserfolge zeitigen. Die Angemessenheit bestimmter methodischer Optionen hängt
insofern einerseits von der Passung auf die pädagogische und didaktische Konzeption der Lehrperson und zum anderen von den konkreten Bedingungen vor Ort (z. B. die Größe und Zusammensetzung der Lerngruppe) und besondere Bedürfnisse der einzelnen Kinder ab. Forderung: Lehrer*innen brauchen Zeit und Raum, um sich untereinander und mit externen Berater*innen über der Hintergrund unterschiedlicher Förderkonzepte und über Erfahrungen mit ihrer Umsetzung auszutauschen.
4. Die Umsetzbarkeit von Förderideen hängt von der Ressourcen ab, die für ihre Umsetzung verfügbar sind. Angesichts der in Bremen weit überproportionalen Anteile von Kindern, die unter wenig förderlichen Bedingungen aufwachsen und deshalb auf eine besondere persönliche Fürsorge angewiesen sind, bleibt vielerorts zu wenig Zeit und Kraft für eine gezielte fachbezogene Förderung. Forderung: Die Rahmenbedingungen für eine wirksame Förderung (z. B. phasenweise Doppelbesetzung oder Gruppenteilung) sind zu verbessern.
Deshalb unser Plädoyer: Statt des organisatorischen Aufwands, eine neue Institution zu schaffen, und statt deren Aktivitäten auf noch mehr Lernstandserhebungen zu konzentrieren, sollte die Beratungs- und Unterstützungskapazität von ReBuZ und LiS ausgebaut werden, um Schulen zu helfen, die bereits verfügbaren Informationen besser zu nutzen, gut begründete Folgerungen zu ziehen und diese wirksam umzusetzen.