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Links blinken – rechts abbiegen

Ganz Europa arbeitet im Zusammenhang mit dem Bolognaprozess an der Durchlässigkeit des Bildungssystems. Berufsbildende Inhalte werden deswegen bezogen auf Studieninhalte kategorisiert, um so die Anerkennung von erbrachten Leistungen an den Hochschulen zu erreichen. In ganz Europa?

Dieser Prozess müsste in Bremen eigentlich mit großer Genugtuung aufgenommen werden, weil das Bildungssystem in den siebziger Jahren auch auf eine Zusammenarbeit von beruflicher und allgemeiner Bildung ausgerichtet wurde. Damit wurde dem Rechnung getragen, dass die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit zunehmend direkt in die wirtschaftlichen Prozesse einflossen und dass daraus die Anforderung an eine höhere Bildungsbeteiligung folgte, weil das traditionelle dreigliedrige Bildungssystem genau dieser Entwicklung und der zunehmenden gesellschaftlichen Differenzierung nicht mehr gerecht wurde. So entstanden Schulzentren der Sekundarstufe II, in denen Abteilungen der Beruflichen und der Allgemeinbildung kooperierten. Ideologisch wurden diese Prozesse durch die Sozialdemokraten gefordert und gestützt, weil sie auch aufgrund ihrer eigenen Geschichte berufliche und klassisch akademische Qualifikationen als gleichwertig ansahen und daraus programmatisch die Forderung nach der Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung zum Kernbestand ihrer bildungspolitischen Programmatik erkoren hatten. Wie alle Reformen wurde auch die Zusammenführung in den Oberstufen nur halbherzig betrieben, trotzdem haben sich eine Reihe von Zentren etabliert, in denen große gymnasiale Oberstufen mit beruflichen Abteilungen zusammenarbeiten. Es ist auffällig, dass alle heute noch bestehenden SII Oberstufenzentren mit ihren Gymnasialabteilungen hoch angewählt werden, was u.a. auf die kulturelle Prägung in diesen Zentren, ihre inhaltliche Vielfalt und auf die wegen ihrer Größe vielfältigen Wahlmöglichkeiten zurückzuführen ist.
Gerade durch die jetzt in voller Breite einsetzenden Bolognaprozesse könnte Bremen auf diese Bastionen im Bildungssystem zurückgreifen und deren strukturelle Möglichkeiten für die Gestaltung der laufenden und kommenden Prozesse nutzen, denn immerhin arbeiten diese Zentren an den Nahtstellen Berufs-/Allgemeinbildung und Schule/ Hochschule. Deshalb haben diese Zentren in der Schulentwicklung eine hohe Dynamik entwickelt- im Ökonomie –Neusprech würde das als Synergieeffekte bezeichnet werden. Von den vier am Prozess „Entwicklung zu regionalen Bildungszentren – REBIZ“ beteiligten Schulen waren drei Schulzentren der S II. Dieser Prozess steht für Ergebnisse grundlegender Schulentwicklung im Bereich der Qualitätsentwicklung, des Personalwesens, der Unterrichtsentwicklung und der Kooperationen mit außerschulischen Institutionen. Im Rahmen dieses Prozesses wurden beispielsweise in dem lange von mir geleiteten SZ Walle auch ohne große Gesetzesreform insgesamt sechs neue Bildungswege eingeführt, mit denen Jugendliche auf den unterschiedlichen Ebenen weiterführende Abschlüsse erreichen. Im pädagogischen Feld wurde der fächerübergreifende Lernfeldunterricht systematisch entwickelt. Für die Schülerinnen und Schüler, aber auch für das Kollegium waren und sind die Früchte der Kooperation greifbar. Die erfolgreiche Arbeit innerer Schulreform wird sehr anerkannt, wie die Platzierungen bei der Teilnahme am Schulpreiswettbewerb, viele Gewinne in anderen Wettbewerben (u.a. der Integrationspreis) sowie die vielen Hospitationen in der Schule belegen. Die Berufsschulen insgesamt stehen nicht zuletzt aufgrund der innovativen Oberstufenzentren in dem bundesweiten Ranking auf einer Spitzenposition, obwohl sie bei der materiellen Ausstattung nur im Mittelfeld anzutreffen sind. Diese Resonanz haben in unterschiedlichen Formen alle noch bestehenden Oberstufenzentren.
Das alles sind Ergebnisse einer auf die europäische Zukunft ausgerichteten Programmatik als auch der Arbeit engagierter Kollegien, die sich inhaltlich mit der Entwicklung ihrer Schulen identifizieren. Und sie bedienen damit reale gesellschaftliche Bedarfe.
Nun sollte man meinen, dass die bildungspolitisch Verantwortlichen in Bremen froh darüber sind, wenigstens in einem Segment ihres Verantwortungsbereiches keine relevanten Probleme zu haben. Weit gefehlt, die Oberstufenzentren werden systematisch zunächst demontiert und dann zerschlagen, die beruflichen Schulen werden wieder einmal als Anhängsel und Manövriermasse der auf traditionelle Abschlüsse ausgerichteten Allgemeinbildung behandelt.

Mit der Verabschiedung des Schulgesetzes, das den Anspruch hat, Schulfrieden herzustellen, wurde von den bildungspolitischen SprecherInnen der Regierungsfraktionen betont, dass nur maximal drei neue Oberstufen gegründet werden sollen, damit die bestehenden erhalten bleiben können. Mittlerweile hat sich mit den vielen Oberschulgründungen ein Prozess verselbständigt, der nun jeder Oberschule letztlich eine eigene Oberstufe verspricht. Da stören die aktuellen Zentren mit ihren hohen Anwahlzahlen in der Gymnasialen Oberstufe natürlich. Eine Schließung dieser Zentren über eine offene politische Debatte konnte nicht erreicht werden – in der Phase der Schulgesetzgebung ist ein solcher Versuch erfolgreich abgewehrt worden, war wohl mit dem Friedensgesäusel nicht so ganz kompatibel. Nun werden sie subtil zerstört. Da werden Funktionsstellen gestrichen, Zusagen nicht eingehalten, Leistungskurse und Profile in Frage gestellt und schließlich kurz vor den Ferien wurden die Systeme durch vermeintliche oder tatsächliche Sparzwänge chaotisiert. Vermeintlich sind die Sparzwänge deshalb, weil es der Senatorin durchaus möglich ist, die Anzahl der über dem Höheren Dienst liegenden Stellen der B-Besoldung für ihre Vollzugsbeamten im Laufe des letzten Jahres deutlich zu erhöhen. Jetzt folgt der nächste Schritt: Unter dem Vorwand, dass die Oberschule Walle (bisher Waller Ring) eine Ganztagsschule werden soll, wird dem SZ Walle der Auszug der Beruflichen Abteilung aus dem Schulzentrum angekündigt. Damit werden viele der neuen Bildungswege gefährdet, weil die BS alleine es kaum schaffen kann, ein ausreichende Potenzial an Fachlehrern für die in die Hochschulen führenden Bildungsgänge zu halten. Dass die vielen kleinen Oberstufen, die jetzt entstehen, nur ein bildungsbürgerlich geprägtes Kernangebot bieten und damit sicher kein Beitrag zur Erhöhung der Bildungsbeteiligung sein werden, ist bereits vielfach thematisiert worden. Nach Walle werden die anderen Zentren folgen.
Sozialdemokraten verraten ihre eigene Geschichte – wieder einmal. Links blinken und rechts abbiegen hat in dieser Partei ja eine verhängnisvolle Tradition. Die Grünen sind nicht nur in diesen Prozessen als gestaltende Kraft nicht wahrnehmbar und inzwischen weitgehend sozialdemokratisch assimiliert. Die bisherige programmische Grundausrichtung dieser beiden Parteien müsste jetzt in Anbetracht der realen Politik neu formuliert werden: Berufliche und Allgemeinbildung sind gleichwertig...... es sei denn, sie ist beruflich.