Schwerpunkt
Legal, illegal, sch…egal
Der rechtswidrige und respektlose Umgang mit dem Schulpersonal bei der Arbeitszeiterfassung
Die Schulen sind überfordert, die in ihnen arbeitenden Mitarbeiter:innen sowieso. Irgendwie wird die Arbeit geschafft, bis sie die Kolleg:innen schafft. Vor diesem Hintergrund ist die rechtliche Verpflichtung zur Erfassung der real geleisteten Arbeitszeit, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits vor gut fünf Jahren in einem Urteil fixiert hat, ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Lösung der schulischen Probleme. Es soll eine willkürliche, nicht zu kontrollierende Ausweitung der Arbeitszeit i.S. des Arbeitsschutzes verhindert werden. Damit greift das Urteil zentral die Praxis der beliebigen Aufgabenzuweisungen der Kultusministerien an, die zu einer nachgewiesenen Ausweitung der Arbeitszeit und zur Arbeitsverdichtung geführt hat.
Ist Rechtsbruch erlaubt?
Das Bundesarbeitsgericht hat das EuGH-Urteil noch einmal bestätigt. In dem Verfahren ging es um die Frage, ob die Einführung der Zeiterfassung Gegenstand von Mitbestimmung ist. Das hat das Bundesarbeitsgericht verneint, weil es eine gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gibt. Es geht also um die rein quantitative Erfassung zum Schutz der Beschäftigten und nicht etwa um die qualitative inhaltliche Ausgestaltung. Deswegen sind die Versuche, die Umsetzung des Urteils mit der Arbeitsplatzgestaltung in Form von Modellversuchen zu verbinden, nichts weiter als eine reine Hinhaltetaktik des Dienstherrn. Es gilt das Bremer Beamtengesetz, wonach die Arbeitszeit der Beamten 40 Stunden/Woche beträgt. Aufgrund der Besonderheit der schulischen Abläufe ist die entsprechende Jahresarbeitszeit zugrunde zu legen, die lt. Bundesinnenminister 1780 Stunden beträgt.
Der Bremer Staatsrat dokumentiert die bewusste Umgehung der Konsequenzen des Urteils, indem er im Falle einer Arbeitszeiterfassung lt. Weser-Kurier „keinen Hehl daraus macht, dass er um eine stabile Unterrichtsversorgung fürchtet“. Ist Rechtsbruch also erlaubt, wenn der Dienstherr Ansprüche erfüllen, sie aber nicht finanzieren will?
Erfassung ohne großen Aufwand
Die Arbeitszeiterfassung ist relativ einfach zu realisieren. In der Schule beginnt sie mit dem Betreten und endet mit dem Verlassen. Sie wird lediglich durch Pausen unterbrochen. Die Erfassung könnte mithilfe der Installierung erfassender Systeme im Eingangsbereich erfolgen, so wie es zum Beispiel in der Bildungsbehörde praktiziert wird. Das System kann auch auf Vertrauensbasis funktionieren, zum Beispiel mithilfe einer App. Im Widerspruch zum geltenden Arbeitsrecht steht die zeitliche Erfassung der Arbeit in der Schule nach reiner Zuordnung realer Tätigkeiten. Und auch die außerschulisch erbrachten Tätigkeiten können entweder auf Vertrauensbasis und/oder mithilfe einer Time-Track-App zeitlich erfasst werden, wie es übrigens im Zusammenhang mit Homeoffice in der Wirtschaft weitgehend üblich ist. Das alles ist ohne großen Aufwand möglich.
Mehr öffentlicher Druck
Erst wenn so die real geleistete Arbeitszeit erfasst ist, besteht eine Grundlage, auf der die erwarteten Arbeitsleistungen bestimmt werden können. Die bisherige Praxis der Kultusministerien, den Schulen ohne Rücksicht auf zur Verfügung stehende Arbeitszeitpotenziale Aufgaben zuzuweisen, wäre damit vorbei, weil sichtbar werden würde, wieviel Arbeit über die eigentliche Verpflichtung hinaus real geleistet wird. Der Dienstherr ist dann in der Pflicht, die Aufgaben der Beschäftigten systematisch zu fixieren. Wenn die Summe der so fixierten Aufgaben mehr Zeit erfordert, als sie in der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit geleistet werden können, dann wird das bei ordnungsgemäßer Erfassung der Arbeitszeit sichtbar werden, wie das bei anderen Berufsgruppen im Öffentlichen Dienst der Fall ist, zum Beispiel bei der Polizei. Die Mehrarbeit müsste vergütet werden und der öffentliche Druck, endlich die Personalausstattung deutlich zu erhöhen, würde somit zunehmen. Außerdem würde so auch eine Debatte entstehen, durch welche Formen von Arbeitsteilung die relativ teure Form der Lehrkräftearbeit entlastet werden könnte.
Das Gefühl des Nichtfertigwerdens
Die Beschäftigten in den Bildungseinrichtungen haben den respektlosen Umgang der Dienstherren mit ihren Rechten bislang weitgehend klaglos hingenommen. Das in unserem Beruf ohnehin systematisch angelegte Gefühl des Nichtfertigwerdens wird durch die Arbeitsausweitung und Verdichtung systematisch verstärkt. Das ist fatal, weil die Folgen einer dauerhaften Überlastung in Form von Unzufriedenheit, Krankheiten, Berufsunfähigkeit und/oder inneren Kündigungen unausweichlich sind. Der Beruf wird unattraktiver, die Ausfälle werden zunehmen, Nachwuchs zur Entlastung wird sich so auch nicht gewinnen lassen.
Individuelle Lösungen zur Umgehung der Probleme gibt es nicht, weil die tagtägliche Konfrontation mit den Problemen in den Schulen unausweichlich ist. Das individuelle Gefühl des Versagens wird so immer mehr verstärkt. Ein „Weiter so“, wie es Politik und Behörde aktuell betreiben, setzt diese Spirale des wachsenden Problemdrucks fort – zu Lasten der Kollegien und damit auch zu Lasten der Kinder, die von überforderten und zunehmend weniger motivierten Lehrkräften betreut werden.
Juristische Chancen nutzen
Es stellt sich die Frage, ob die Kollegien so weiter machen, bis es nicht mehr geht oder ob die juristischen Chancen, die sich jetzt durch die Rechtsprechung auftun, durch eigene Aktionen und Aktivitäten unterstützt und genutzt werden, um so einen wichtigen Schritt hin zu einer lösungsorientierten Strategie zu gehen. Dabei bietet sich die Chance, durch gemeinsame Aktion und Reflexion das Gefühl des individuellen Versagens ein wenig aufzubrechen.
Da es nur um die zeitliche Erfassung der Arbeitszeit geht, könnte dieses zum Beispiel auch dezentral organisiert werden, indem zum Beispiel Gruppen von Kolleg:innen ihre Arbeitszeit zeitlich mithilfe einer App erfassen, dieses dem Dienstherrn auch mit dem Hinweis mitteilen, dass die so dokumentierte Mehrarbeit nach einem Jahr als Überstunden geltend gemacht wird. Dieses Mittel könnte mit dem Hinweis verbunden werden, dass die vor einigen Jahren erfolgten massenweisen Überlastungsanzeigen von der Behörde trotz eindeutiger dienstrechtlicher Verpflichtungen nicht angemessen bearbeitet worden sind. Die Behörde hätte jeden einzelnen Fall entweder selbst oder über die Schulleitungen prüfen lassen müssen.
„Zeiterfassung jetzt“ ist Notwehr
Eine Aktion „Zeiterfassung jetzt“ hätte vor diesem Hintergrund Notwehrcharakter. Schließlich könnte so unsere Gewerkschaft deutlich offensiver in der Öffentlichkeit auftreten. Bildungspolitik und deren materielle Absicherung würden so sichtbarer als heute in der politischen Debatte vorkommen. Es lohnt sich also, trotz aller Belastungen die eigenen Interessen aktiv in die politische Debatte einzubringen.