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Schwerpunkt

Konkrete Solidarität

Maike Wiedwald, Pressesprecherin der Senatorin für Kinder und Bildung in Bremen und ehemalige GEW-Vorsitzende in Hessen

Maike Wiedwald, Pressesprecherin der Senatorin für Kinder und Bildung in Bremen
Maike Wiedwald | Foto: Susanne Carstenen

Vor mehr als 15 Jahren hat an der Schule, an der ich in Frankfurt unterrichtet habe, eine tolle Kollegin angefangen, die sich gleich in die Schulentwicklung eingebracht hat und auch immer ein offenes Ohr für die Schüler:innen hatte. Nach einigen Jahren wandte sie sich an mich als GEW-Vertrauensfrau und Schulpersonalrätin, weil sie mit ihrer Situation unzufrieden war. Das bezog sich auf ihre Bezahlung, ihre Perspektive und auch die immer wieder einsetzende Arbeitslosigkeit in den Sommerferien. Auf einer zeitlich befristeten Stelle hangelte sie sich von Vertrag zu Vertrag. Jeder Vertrag hatte eine unterschiedliche Stundenzahl und manchmal auch nur eine Laufzeit von wenigen Monaten. Für Lehrkräfte, die langfristig erkranken oder in Elternzeit sind, werden in Hessen Personen als Ersatz eingestellt – aber nur befristet und gebunden an das Zurückkommen dieser Person. Als nicht voll ausgebildete Lehrkraft erhielt sie deutlich weniger Geld, obwohl sie die gleiche Arbeit gemacht hat, wie andere Lehrkräfte auch. Die Zeit der Sommerferien bekam sie mal bezahlt mal nicht. Ausschlaggebend war dafür, welcher Vertretungsgrund gegeben war. In Hessen wurden und werden übrigens auf solche befristete Stellen Personen aller Qualifikationen eingestellt: von Bäckern über Studis bis zu Versicherungsmathematiker:innen.

Keine unbefristete Beschäftigung

Nach einigen Jahren hatte diese Kollegin diese prekären Beschäftigungsverhältnisse satt. Vollkommen nachvollziehbar. Die Schulämter waren zudem dazu übergegangen, nach sieben Jahren keine weiteren befristete Verträge mehr an Personen herausgeben. Sie wurden also quasi mit einem Fußtritt aus der Schule heraus befördert, obwohl sie ihre Arbeit sieben Jahre lang zur Zufriedenheit gemacht hatten. 2011 waren mehr als zehn Prozent aller Personen und fast sieben Prozent der Stellen für Lehrkräfte im hessischen Schulen befristet beschäftigt. Und einige dieser Kolleg:innen haben sich mit der Unterstützung der GEW aktiviert. Die politische Forderung nach Beendigung der Befristung hat die GEW Hessen lautstark in Tarifauseinandersetzungen um den Tarifvertrag Hessen hineingebracht. Dort wurden bereits 2015 Gespräche vereinbart, mit dem Ziel, die Anzahl der Befristungen deutlich zu reduzieren. Und auch bei der Sommerferienbezahlung gab es ein wenig Bewegung, sodass einige mehr die Sommerferien bezahlt bekamen und nicht mehr in den Sommerferien in der Arbeitslosenstatistik erschienen. Gleichzeitig beschritten viele Kolleginnen mit dem Rechtsschutz der GEW und des DGB auch den juristischen Weg – mit Erfolg. Die Verträge mussten entfristet werden.  Das war wichtig: Sie wollten abgesichert sein und den prekären Beschäftigungsverhältnissen entkommen.

Keine Aufstiegsmöglichkeiten

Für einige Jahre beruhigte sich die Situation ein wenig. Die Zahl der befristet Beschäftigten sank. Es wurde jedoch ein Problem sehr schnell deutlich. Einige Kolleg:innen hatten kein Hochschulstudium, aus dem sich ein Fach ableiten ließe, andere hatten gar kein abgeschlossenes Hochschulstudium, sondern andere Qualifikationen. An den Schulen unterrichteten sie die gleichen Fächer wie die anderen Kolleg:innen, machten Ausflüge mit den Kids, korrigierten Arbeiten und gaben auch Zeugnisnoten. Nur sie bekamen nicht das gleiche Entgelt dafür, sondern deutlich weniger. Im Extremfall arbeiten sie seit Jahren in den untersten Entgeltgruppen EG 5 und EG 6. Hessen verweigerte sich bis 2021 einer Lehrkräfteentgeltordnung konsequent und gruppierte auch nicht verbeamtete Lehrkräfte per Erlass ein. Aufstiegsmöglichkeiten gab es für sie nicht. Und wer sich eingeklagt hatte, bekam als Retourkutsche selbst bei hohem Bedarf keine Aufstockung der Stunden und befand sich also in Zwangsteilzeit.

Endlich eine Lehrkräfteentgeltordnung

Dank des massiven Drucks der GEW hat seit der Tarifrunde im Herbst 2021 jetzt auch Hessen eine Lehrkräftentgeltordnung mit der Möglichkeit zum Aufstieg durch berufsbegleitende Qualifizierung und - nach dem Vorbild der Lehrkräfteentgeltordnung im Bereich der TdL - bis in die Entgeltgruppe 10. Und – das ist wiederum ein Vorteil für die hessischen Lehrkräfte – in Form einer stufengleichen Höhergruppierung. Einen Quereinstieg gibt es in Hessen nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen und auch nur in wenigen Mangelfächern. In Bremen gibt es Seiteneinsteiger:innenprogramme. Die in Hessen tarifvertraglich vereinbarte Lehrkräfteentgeltordnung ist ein Anfang: Anders als bei den scheinbar in Stein gemeißelten einseitig vom Arbeitgeber festgelegten Eingruppierungsrichtlinien können die Gewerkschaften jetzt verhandeln und in jeder Runde das Fass auch neu aufmachen. 

Endlich Studienrätin

Die Kollegin aus meiner damaligen Frankfurter Schule wollte langfristig in der Schule bleiben. Sie hat deshalb noch ein Lehramtsstudium neben der Tätigkeit in der Schule und im Anschluss das Referendariat durchgeführt. Zwölf Jahre nach Beginn ihrer ersten Tätigkeit und nach viel Frust und Lehrgeld erhielt sie ihre Ernennungsurkunde als Studienrätin. Mich hat das sehr berührt und es hat gezeigt, dass es gut ist, nicht aufzugeben und sich gemeinsam für die Verbesserung konkreter Bedingungen einzusetzen. Auch wenn das manchmal ein Jahrzehnt und länger dauern kann. Das ist konkrete Solidarität. Und klar ist: Die GEW hilft.