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Kompolei – Verhaltensauffällige Schüler – Vorkurse – Evaluation

Berichte und Ausblicke vom Seminarwochenende der Fachgruppe „Inklusive Schule und sonderpädagogische Förderung“ im November 2016

Seit mindestens 25 Jahren trifft sich die Fachgruppe mit interessierten Lehrkräften zu dem jährlichen Seminar. Wie jedes Jahr stand der intensive Austausch zwischen den knapp 30 Teilnehmer*innen zu der Arbeit an der Schule, die Beschäftigung mit ausgesuchten Schwerpunktthemen sowie die Verabredung zu gewerkschaftspolitischen Aktivitäten für das Jahr 2017 im Mittelpunkt.

THEMA 1: Situation der Primarstufe

An den Grundschulen herrscht ein großer Frust bezüglich der personellen, sächlichen und räumlichen Versorgung der ZuP im Primarbereich. Besonders Grundschulen im sozialen Brennpunkt haben einen sehr hohen Bedarf an sonderpädagogischer Förderung, der mit den vorhandenen Stunden nicht abge-deckt werden kann. Immer wieder fallen wegen der insgesamt sehr prekären Lage im Primarbereich (Studentinnen als Klassenlehrerinnen, hoher Krankenstand usw.) Förderstunden aus. Schüler*innen im LSV Bereich werden nicht genug gefördert und ihre Bedarfe werden hintangestellt. Besondere Probleme bereiten, wie überall, Kinder mit Störungen im sozial- emotionalen Bereich. Bereits genehmigte persönliche Assistenzen für diese Kinder können monatelang nicht besetzt werden.

Leistungsbewertung (Kompolei und neue Zeugnisform)

Die neue Zeugnisform und Kompolei widersprechen jeglichem Inklusionsgedanken. Schüler*innen mit einem sonderpädagogischem Förderbedarf und ihre Eltern erhalten keine Informationen über tat-sächliche Lernfortschritte. Die bisherigen Erfahrungen in den Gesprächen mit den Eltern haben deutlich gezeigt, dass diese Zeugnisformulare von ihnen nicht verstanden werden.

Diese Schüler*innen bekommen mit dem neuen Zeugnis immer wieder aufs Neue dokumentiert, dass sie einem (willkürlich festgelegten) Bildungsanspruch nicht entsprechen können. Für Schüler*innen im Lernbereich W und E können Fortschritte weder im lebenspraktischen Bereich noch in den Fächern Deutsch und Mathematik angemessen abgebildet werden. Für alle Schüler*innen mit Förderbedarfen (und deren Eltern) stellt die jetzige Zeugnisform eine permanente Demütigung dar.

Dem angestrebten Ziel, Stigmatisierung zu vermeiden, läuft diese Form diametral entgegen.

THEMA 2: Integration durch Vorkurse

Ausgangslage: An jeder Schule gibt es 1-2 Vorkurse. Einige SchülerInnen haben eine ganz normale schulische Vorbildung, andere waren noch nie in der Schule und sind Analphabeten. Viele SchülerInnen sind aufgrund von Kriegs- und Fluchterfahrungen schwer traumatisiert, darunter mittlerweile auch unbegleitete Minderjährige.

An vielen Schulen werden die Vorkurse als „Inseln“ erlebt, die abgekoppelt vom übrigen Schulalltag, unterrichtet werden. Insbesondere die Schüler der älteren Jahrgänge, die vorher wenig Schulbildung hatten, haben sehr große Schwierigkeiten, sich nach einem Jahr im Vorkurs in die Klassen zu inte-grieren. Da ein möglicher Nachteilsausgleich nur für ein halbes bis ein Jahr gilt, sind die SchülerInnen oft eigentlich nicht beurteilbar oder schreiben schlechte Zensuren. Insbesondere bei den SchülerInnen, bei denen die Alphabetisierung noch nicht abgeschlossen ist, kommt es zu hohen Frustrationen, Absentismus bzw. hohen Fehlzeiten.

Unsere gewerkschaftlichen Forderungen

Die Ressourcen für die Sprachförderung reichen nicht aus! Die Schüler sollten eine intensive Förderung erhalten, bis sie alphabetisiert sind und (mindestens) das Sprachlevel B1 erreicht haben

Kollegen, die insbesondere in den höheren Jahrgängen Vorkursschüler in ihren Klassen aufnehmen, sollten Entlastung für die deutlich höhere Mehrarbeit erhalten.

An allen Schulen sollten zusätzliche Sozialpädagogen eingestellt werden, die die Schüler und Schülerinnen in den Klassen begleiten und sich um die vielen außerschulischen Probleme kümmern, die bei diesen Schülern anfallen.

Es müssen dringend Konzepte für ältere Schüler und Schülerinnen ohne schulische Vorbildung entwickelt werden, damit sie die letzten 2-3 Schuljahre an den Schulen als sinnvoll und bereichernd erleben. Mögliche Ideen wären Kurse /Fächer mit hohen praktischen Anteilen (Werkstätten, u.a.).

THEMA 3: Verhaltensgestörte Kinder und Jugendliche an den Schulen

In der Novelle des Schulgesetzes von 2009 wird auch von der Zielsetzung gesprochen, die Schule Fritz Gansberg Straße als einzige Schule für sozial-emotionale Entwicklungsstörungen abzuwickeln zugunsten eines inklusiv arbeitenden Schulsystems. Alle wissen, dass die Situation an den bremischen Schulen weit davon entfernt sind, auf die Schule Fritz Gansbergstraße verzichten zu können – nach wie vor ist ihr Betrieb voll ausgelastet.Und auch an den Regelschulen sind die Rahmenbedingungen für einen inklusiven Unterricht mit den Schüler*innen mit sozial-emotionalen Entwicklungsstörungen weitgehend nicht gegeben! Schüler*innen mit psychischen Auffälligkeiten sollen an ihrer Schule bzw. ihrem Stadtteil verbleiben können, dazu brauchen aber die Lehrkräfte an den Schulen:

Sonderpädagog*innen, die das Team / den Jahrgang beratenFester Beratungsrahmen vor Ort an den Schulen (Raum – Zeit - multiprofessionelles Team)Psychologisches Personal an Oberschulen  Beratung für Lehrkräfte und ElternEngerer Austausch mit ReBUZ, beispielsweise Runder TischFortbildungen zu Trauma / psychologische Auffälligkeiten / Information „verstehen“Verpflichtende SupervisionKurzeitige Entlastung vom Unterricht, dazu sind Räume und Sozialpädagogen notwendigZ. B. durch das Projekt Übergang mit genügend Ressourcen (siehe Hamburg) für jüngere Schüler*innen und nicht in „abgespeckter Form“Ressourcen vom AfSD sollen in die Schule und nicht über §35 – das muss eine entsprechende Kooperationsvereinbarung zwischen Bildung und Soziales absichern!Funktionierende ReBUZ  genügend Angebote (Stufe 2 fehlt), schulersetzende MaßnahmenKurzzeitige Entlastung aber dann wieder Rückschulung!

Vorankündigung: Veranstaltung am 23.Mai 2017 “ im Tivolisaal DGB-Haus „Wenn die Fetzen fliegen – Schülerinnen und Schüler, die sich und uns an Grenzen bringen

THEMA 4: Evaluation Bremer Schulreform 2008 – 2018 (2-Säulen-Modell - Oberschule - Inklusion)

Aufgrund eines Beschlusses zur Evaluation durch die Bremische Bürgerschaft vom 24.02.2016 ist Anfang November 2016 die beauftragte Fachkommission, besetzt mit sechs angesehenen Bildungs-Wissenschaftlern, gestartet. Zielsetzung ist es, die Grundpfeiler der Schulreform von 2009 zu untersuchen: Die Leistungsfähigkeit des 2-Säulenmodell mit der Einführung der Oberschule unter Beibehaltung der Gymnasien, der Abbau von Disparitäten bei Schülerleistungen und Abschlüssen sowie der Auftrag Inklusion.

Der Auftrag soll in 2 Etappen ausgeführt werden: Bis Oktober 2017 die Erhebung der Daten, bis Februar 2018 die Auswertung der gewonnenen Daten und bis Frühjahr 2018 soll sich eine Bewertung einschließlich der Schlussfolgerungen für die weitere Richtung der Schulreform anschließen.

Betr. Der Methoden der Erhebung wird man zurückgreifen auf:

 

  • Statistikerhebungen (Schülerlaufbahn von der KITA bis zur Berufsschule)
  • Vergleichsstudien (z.B. IQB)
  • Befragungen an 8 Schulen (2 in Bremerhaven; 6 in Bremen)
  • evtl. eine Befragung von Schulleitungen

Als Beteiligung für die Evaluation ist eine externe Begleitgruppe mit Vertretern aus der Politik sowie von ZEB, GSV und Personalrat Schulen plus Landesbehindertenbeauftragten vorgesehen. Schriftliche Stellungnahmen liegen vom GEW-Landesverband Bremen und der GEW-Fachgruppe Oberschule vor.

Evaluation: Großer Anspruch – wenig Ertrag!

Eines ist bereits heute klar: Der Auftrag der Bürgerschaft und sicher auch das Erkenntnisinteresse von den an Schule Beteiligten kann nicht erfüllt werden!

Zu jeder Überprüfung einer Entwicklung (Ursache – Wirkung – Entwicklung  Bewertung) gehören Ausgangsdaten, doch diese wurden vor 8 – 6 Jahren nicht erhoben!

Obwohl in 2009 mit Nachdruck auf diese Notwendigkeit für eine aussagekräftige Evaluation hinge-wiesen wurde, hat die damalige SfB keine Anstrengungen für eine Erhebung der Ausgangsdaten unternommen -somit ist kein valider Vergleich von Entwicklungsständen zwischen 2009 und 2017 möglich!

So wird man sich bei der SfKiBi durch die o.g. Methoden auf eine Input-Output-Analyse: Soziale Voraussetzungen  Lernergebnisse beschränken und allenfalls Akzeptanzprobleme herausarbeiten für die Frage der Weiterführung des Bremer Konsenses.

Was heißt das für die GEW?

Offiziell ist die GEW ja Teil der externen Begleitgruppe und kann dort u.U. für brauchbare Impulse sorgen. Das nächste Treffen der GEW-Arbeitsgruppe ist am 24.Januar’17.Andererseits ist die Arbeit in der Fachkommission plus Begleitgruppe notgedrungen begrenzt, wie oben beschrieben. Also müsste es eher darum gehen, eine Gegen-Öffentlichkeit zu organisieren:

  • eine interne Evaluation organisieren, die zumindest Erfahrungen aus der Praxis zusammenfasst
  • öffentliche Hearings veranstalten, die die interessierte Fachöffentlichkeit zu einem Meinungsbildungsprozess zusammenbringt.