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Kompetenzorientierung und der bildungspolitische Rückschritt

Gute Gründe, sie abzulehnen

Die Stimmung in den Kollegien ist nach wie vor in Bezug auf Bildungsstandards und Kompetenzorientierung zurückhaltend bis ablehnend. Zu Recht und aus gutem Grund. Die Argumente für die Kompetenzorientierung entsprechen nicht der Ausbildung, schon gar nicht der schulischen Praxis. Bestes Beispiel sind die neuen sogenannten Leistungsdokumentationen für die Grundschule. Die Anfangsbegründung der Behörde war hier: Die Eltern würden die Zeugnisse so besser verstehen. Das wurde ja offenbar in Runde eins in diesem Sommer schon ad absurdum geführt. Und es wird immer so getan als wäre der vorherige Unterricht immer noch der Versuch des Nürnberger Trichters, als hätte die Pädagogik vor der „Kompetenzorientierung“ nicht stattgefunden. Den Schuh müssen wir uns nicht anziehen.

Wir verstehen unter Bildung immer noch die inhaltliche, persönliche Auseinandersetzung und arbeiten darauf hin, dass die SchülerInnen den Sinn dessen verstehen, womit sie sich innerhalb eines gemeinschaftlichen Klassenverbandes und in der Auseinandersetzung mit der Lehrperson beschäftigen.

Die von der Wirtschaft vorgegebenen Ziele müssen für uns zweitrangig sein. So sind Tests von „Experten“ teuer und auch Ausdruck des Misstrauens den Lehrpersonen gegenüber. Sie demotivieren, denn man schafft die Ziele nie, vor allem in Brennpunkten, das macht vielen Stress; aber sie „entlasten“ uns auch, denn wir kreuzen an und fertig. Viele haben sich bei Lernentwicklungsberichten mehr Mühe gegeben. Der Unterricht leidet, wenn man die Testerei und Kreuzerei im Rücken hat, es verführt zu „Teaching to the test“.

Oder es führt zu Äußerungen solchen Blödsinns:

„Dies setzt natürlich ein grundlegendes Verständnis einer soliden Basis von Inhalten voraus, die erlernt werden müssen und die dann durch eine Kompetenzorientierung flexibel nutzbar gemacht werden.“ (Heitmann, IQB)

Der Widerspruch:

Kinder und Jugendliche werden zergliedert in diese Kompetenzen, aber wir sollen auf alle individuell und inklusiv eingehen. Die als Fortschritt getarnten Auflösungen von Förderzentren oder einer Fritz-Gansberg-Schule werden zum Rückschritt, weil alle unter schlechteren Bedingungen als vorher irgendwie beschult werden müssen. Das ist nicht möglich.

Wenn man Konkurrenz züchtet durch Rankings auch in der Leistungsdokumentation, im Zeugnis und durch Tests, dann ist die individuelle Förderung eine Lüge. Und auch Eltern betreiben diesen Wettbewerb, wenn sie nur noch auf die Kreuze starren. Verloren dabei geht, welche individuellen Fähigkeiten mein Kind eigentlich hat. So schlagen auch die Wettbewerbe unter Schulen wie „Beste Schule Deutschlands“ in diese Kerbe und fördern ein Ranking. Es gibt nur die Besten. Second winner is the first loser. Andere werden tendenziell stigmatisiert, mit negativen Folgen für die Motivation aller Beteiligten.

Brennpunktschulen mit vielen leistungsschwächeren und verhaltensaufälligen SchülerInnen, mit vielen Kindern mit einer Behinderung oder mit SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache machen engagierten Unterricht. Und wo landen die im Ranking? Andere, nicht Pädagogen, setzen die Normen und Standards und wollen diese dann abtesten. So geht ein Teil Demokratie verloren, man passt sich an. Unter dem Deckmantel einer besseren Diagnostik und einer individuelleren Förderung angetreten, werden diese Maßnahmen - und das ist schon jetzt ersichtlich - zum weiteren Sozialabbau führen, die Konkurrenz schüren, das Niveau senken, die Spaltung von Stadtteilen, Schulen, Eltern, Lehrkräften und Schülerschaften fördern.

Bildungsinhalte zum Nachdenken mit anderen über die Welt, und damit ihre subjektive Aneignung, finden nicht mehr statt. So wie die Sicht auf den gesamten Stoff. Auch das findet nicht statt: Die Auswahl des Stoffes nach Bildungskriterien durch Erziehungswissenschaft und Pädagogik; die persönliche Aneignung der Inhalte, die Kinder und Jugendliche ansprechen oder manchmal eben nicht; Kritikfähigkeit und Emanzipation; demokratisches, kritisches Verhalten; eine subjektiv-geistige Entwicklung. Geht ja auch besser ohne.

Forderungen:

Ablehnung der Kompetenzorientierung, Diskussion über Bildung und deren Ziele. Einbeziehung von Erziehungswissenschaft, von Praxis und Praktiker der Pädagogik. Solange sollte die Testerei, die Arbeit an „Kompolei“, die Rasterzeugnisse aussetzen. Eine Pilotierung an einigen Schulen, welche diesen Namen auch verdient. Eine Evaluation mit Beteiligung von Betroffenen, Einbeziehung aller Schulgremien und des Personalrats, der GEW, des GSV von Anfang an. Von vielen in den Kollegien werden diese tiefgreifenden Veränderungen mit Murren aufgenommen. Es ist aber immer noch möglich sich zu wehren.

Das bisherige Vorgehen der Bildungsbehörde zerstört auf Dauer demokratische Strukturen und führt zum Absenken der Qualität von Bildung. Dazu die oberste Qualitätsbehörde, das IQB Berlin: „Eine alleinige Fokussierung auf Inhalte ist daher heute nicht mehr zeitgemäß.“