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Kompetenzmaschine Schüler -

Vorsicht ist geboten, wenn in offiziellen Plänen und Vorhaben reformpädagogische Begriffe auftauchen wie „eigenverantwortliche Schule“ oder „Selbstaktivierung“. Oft stecken dahinter die Interessen der Bildungsprivatisierer wie der Bertelsmann-Stiftung und der damit kooperierenden staatlichen Bildungspolitik.

Auch der Begriff „Kompetenz“ hört sich zunächst recht fortschrittlich an. Er hat in den letzten Jahren einen pädagogischen Hype erfahren: Überall ist die Rede von Methoden-, Lern-, Kern- oder Persönlichkeitskompetenz. Da schlagen Pädagogenherzen höher: Sind das nicht moderne Konkretisierungen des humboldt´schen Bildungsbegriffs?
Nein! Den dahinter liegenden Interessenhorizont steckte schon 2004 der Hessische Unternehmerverband ab: Schule soll „ eine Dienstleitungsorganisation im Bereich der Bildung und keine soziale Einrichtung“ sein („Selbständige Schule 2015 – Leitbild, Ziele und Fundamente. Positionspapier der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände zur hessischen Qualitätsschule, Ffm 2004, S.14). In diesem Rahmen soll der „Kunde Schüler“ „Kompetenzen“ erwerben.
Bildung war vordem immer an Inhalte gebunden. Die neuen „Kompetenzen“ sind reine Funktionsfähigkeiten, wert- und inhaltsunabhängig. „Lesekompetenzen kann ich an `Faust´ oder an der Betriebsanleitung für einen MP3-Player erwerben. Bisher waren wir aber davon ausgegangen, dass Betriebsanleitungen nicht den gleichen Bildungswert haben wie Goethes Schriften ... Wenn es allein um Fähigkeitserwerb zwecks Funktionieren geht, sind Wertfragen gleichgültig. Das Gelernte ist wert-los in doppelter Hinsicht: Es interessiert den Schüler nicht und es vermittelt keine Werte. Kompetenzen sind flexibel für jeden Zweck einsetzbar – auch dafür, neue Waffen zu entwickeln“ (Krautz, S.93).

Dieselbe Vorstellung liegt auch bei PISA zugrunde: Die Schüler sollen demnach nicht nach dem inhaltlichen Sinn des Lernens und des Gelernten fragen, sie sollen einfach Aufgaben lösen, gleichgültig welche. Die OECD definiert „Schlüsselkompetenzen“ so: Sie sollen befähigen „sich an eine durch Wandel, Komplexität und wechselseitige Abhängigkeit gekennzeichnete Welt anzupassen“ (www.oecd.org, Definition und Auswahl von Schlüsselkompetenzen, S.6). Die Vermittlung anpassungsfähiger Eigenschaften ist Ziel – gerade das war aber nicht Ziel des humanistischen Bildungskonzepts; ihm ging es bekanntlich um die Bildung von Persönlichkeiten! Moderne „Kompetenzen“ aber zielen nicht auf ein kritisches Weltverständnis, sondern auf die Affirmation des Gegebenen.
Der oben zitierte OECD-Text sieht es so: „ Die Bildung von sozialem Kapital ist wichtig, ...gute zwischenmenschliche Beziehungen sind zunehmend auch für den wirtschaftlichen Erfolg wichtig“ (a.a.O.,S.8). Nicht um eigenständige Bildung geht es der OECD also, sondern um eine ökonomisierte Einfügung von Schülern.
Auch PISA will „Persönlichkeitsprofile“ der Schüler festhalten, möchte deren „Einstellungen und Neigungen“(!) messen; die verwertungsorientierte Orientierung ist unübersehbar. Muss nicht spätestens da die Gläubigkeit für das PISA-Verfahren aufhören?
Transferiert auf die Ebene der Betriebe liest sich das dann so: Der Arbeiter entwickelt „ein kompetenzorientiertes Wertegerüst... Verbindlich gelebt, trägt das Wertegerüst dazu bei, dass die Firma positiv wahrgenommen wird“; diese Werte „ermöglichen Wettbewerbsvorteile und sichern den Erfolg, ... unser Verhalten spiegelt unsere Identifikation mit den Werten wider“ (zitiert bei Krautz, S.94). Identifikationszwang mit dem Unternehmen. Das zugrunde liegende Kompetenzmodell soll einen vollständigen, totalitären Zugriff auf den ganzen Menschen ermöglichen – die dazu passende Steuerungstechnik nennt sich konsequenterweise „Total Quality Management“.
Auch im „Unternehmen Schule“ ist „Self-Empowerment“ gefragt –gestützt auf die darauf abgestimmte „Evaluation“. Jeder ist nun selbst für seinen Erfolg verantwortlich – feststellbare oder entstehende Defizite liegen dann jeweils im Einzelnen begründet; eine Abwälzung von Verantwortung auf andere Ebenen nicht mehr zulässig. Das schulische Kompetenzmodell erzieht den Schüler genau in diese Denkschemata hinein: Das sich Einlernen in inhaltsfreie Anpassungsprozesse, die rahmenunabhängige Selbstverantwortung für den eigenen Lernerfolg und das Einüben von Selbstverwertung – also die ökonomische Zurichtung des Schülers für den modernen Arbeitsprozess.

Exemplarisch erkennbar ist dieser Prozess an der Überbetonung inhaltsunabhängiger Methoden in der Schule und an der nicht mehr sozial verankerten, sondern immer stärker individualisierenden Art des Lernens. In den „fortschrittlichsten“ Schulen von heute vereinbart der Schüler mit seinem „Coach“ (früher: Lehrer) seinen angestrebten individuellen Lernoutput und trägt seinen Lernfortschritt in ein „Kompetenzraster“ ein. Brave New School.
Schüler brauchen aber keine “Moderatoren selbstgesteuerter Lernprozesse”: Die Lehrer müssen den Schülern als ganze Menschen erkennbar sein und sie müssen den Schüler ebenfalls als ganzen Menschen sehen. Denn wenn der Schüler erst seine eigene isolierende Individualität verinnerlicht hat, ist er bereit für Herrschaftstechniker aller Art, sowohl als Objekt als auch als Subjekt von Herrschaft.
Das moderne „Kompetenz“-Konzept läuft auf ein ökonomistisches, schülerverachtendes Bildungsverständnis hinaus, und der PISA-Test zielt genau auf diesen homo oeconomicus: Seine Kriterien werden den Schulen übergestülpt, unabhängig davon, was von den Schülern wirklich inhaltlich gelernt wurde. Und die deutsche PISA-Hysterie verstärkt das noch.
„Wir haben es mit einer Wirtschaft zu tun, die sich anschickt, totalitär zu werden, weil sie alles unter den Befehl einer ökonomischen Ratio zu zwingen sucht“(Blüm, Norbert: Gerechtigkeit. Eine Kritik des Homo oeconomicus, Freiburg 2006, S.81). In diesem Sinne: Vorwärts mit den schulischen „Kompetenz“-Modellen!
(Dieser Artikel basiert auf dem Aufsatz von Prof. Jochen Krautz, Hochschule für Kunst und Gesellschaft Bonn: „Bildung als Anpassung?“ In: Fromm Forum 13/2009, S.87-100)

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