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Syrien

Kollektive Gedenkminute statt Ungleichbehandlung der Opfer

Ein Gespräch mit Nurullah Bayrak, Helin Dogan, Malek Soufi und Helin Vural

Foto: Ahmed Akacha von Pixels

Sie kommen aus Familien mit Migrationsgeschichte, besuchen eine gymnasiale Oberstufe in Bremen und machen bald ihr Abitur. Das bildungsmagaz!n wollte von ihnen wissen, was sie von der Gedenkminute zum russischen Überfall auf die Ukraine halten, die am 4. März in allen Bremer Schulen stattfand.

Nurullah Bayrak:

Bei der Gedenkminute handelt es sich um eine richtige und wichtige Aktion! Für mich allerdings nicht nachvollziehbar, dass so etwas erst stattfindet, wo es „Weiße“ betrifft! Mir ist es wichtig einmal zu erwähnen, dass man mit zweierlei Maßstäben vorgeht, wenn es um Solidarität gegenüber Opfern von Krieg und Staatsgewalt geht. Für mich stellt sich die Frage, wo die Solidarität gegenüber den Uiguren, Menschen aus Syrien, Mali, Jemen, Afghanistan und anderen Ländern ist. Man sollte um jeden einzelnen, der Krieg, Diskriminierungen, Rassismus und Ungerechtigkeit ausgesetzt ist, trauern und nicht nur um Gruppen, die der Mehrheitsgesellschaft als „europäisch“ gelten. Geflüchtete aus Ländern wie Afghanistan, Irak und Syrien gelten als Menschen zweiter Klasse. Allein wenn man äußerlich nach Mittlerem Osten aussieht oder schwarz ist, wird man ungleich behandelt und jetzt sieht man „seriöse“ JournalistInnen, die in Berichten über die Flucht aus der Ukra-ine von 'blauen Augen und blonden Haaren' reden.

Jeder sollte die Aufmerksamkeit, die die Krise bekommt, begrüßen, ich relativiere und rechtfertige nicht das aggressive Verhalten Putins, sondern weise lediglich auf die Doppelmoral des „Westens“ hin und finde, dass solche Gedenkminuten jedem, der momentan Leid erfährt, gewidmet sein sollten.

Helin Dogan:

Ich stimme Nuri in dem Punkt zu. Ich finde es toll, dass man eine Gedenkminute veranstaltet, um gegen den Krieg zu sprechen sowie Solidarität zu zeigen. Immerhin sterben Menschen, darunter auch Kinder. Dennoch kann ich nicht verstehen, warum islamische Länder, in denen schon seit Jahren Krieg herrscht, nicht mitberücksichtigt werden. Warum schauen wir weg, wenn es um Länder geht, die nicht in Europa liegen? Da sterben immerhin auch Menschen. Ich bin deshalb der Meinung, dass man eine in Zukunft kollektive Gedenkminute unter Berücksichtigung aller Länder, in denen Krieg herrscht, veranstalten sollte.

Malek Soufi:

Da kann ich Helin und Nurullah nur zustimmen, die Lage auf der ganzen Welt verschlechtert sich immer mehr. Unsere Gedanken und Gebete sind bei den Menschen in der Ukraine. Ihnen zu helfen ist jetzt oberstes Gebot, aber es wäre meiner Meinung nach nicht seriös, wenn wir unser Mitgefühl nur der Ukraine schenken würden und nicht den anderen Kriegsgebieten, die Nuri genannt hat. Hierbei darf auch die Situation von Geflüchteten, die in Griechenland und in anderen Ländern in menschenunwürdigen Zuständen ausharren, nicht aus dem Blick geraten.

Helin Vural:

Ich schließe mich den anderen an. Natürlich darf der Krieg in der Ukraine allein auf menschlicher Ebene nicht kleingeredet werden und auch, weil er auf unserem Kontinent stattfindet.

Wir sind eine vielfältige Schülergemeinschaft in Bremen, wobei viele aus Gebieten kommen wie Afghanistan oder unterdrückten Minderheiten wie zum Beispiel den Sinti und Roma angehören oder kurdischer Herkunft sind. Das sollte im Unterricht öfter thematisiert werden.

Das Gespräch führte Werner Pfau.