GEW Gremien
Klarer Blick auf „Eine Schule für alle“
Die Neuen Schulpolitischen Positionen der GEW und das lange gemeinsame Lernen
Das „lange gemeinsame Lernen“ in „Einer Schule für alle“, das sämtliche Kinder und Jugendlichen umfasst, bildete eine der herausragenden Verständigungen zwischen den 16 Landesverbänden der GEW beim Bundesgewerkschaftstag 2001 in Lübeck. Die Kolleg*innen versammelten sich seinerzeit unter einer Leitidee – unabhängig von den pädagogischen und gesellschaftspolitischen Erfahrungen der vorausgegangenen Jahrzehnte in Ost und West. Das Festhalten an diesem Grundkonsens, mehr noch die Bestärkung desselben, verdeutlicht die Einzigartigkeit der Neuen Schulpolitischen Positionen. Gerade in einer Zeit altertümlicher Verlautbarungen mit einem konservativ-reaktionär geprägten Verständnis von Bildung ist es umso wichtiger, Grundüberzeugungen zu verteidigen, die das eigene Menschenbild präzisieren. In der GEW stehen dafür insbesondere eine inklusive Pädagogik und eine darauf bezogene Schulstruktur. Mit diesem Hintergrund hat vor allem die GEW den Begriff der „Einen Schule für alle“ geprägt. Dies enthebt die Organisation aber nicht davon, dessen Konkretisierung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen zu reflektieren.
Bei Gegenwind die Kapuze fester zuziehen!
Greift man die Erörterungen in den Regionalkonferenzen zur Weiterentwicklung der Schulpolitischen Positionen auf, so ist das Anliegen weitestgehend unumstritten, an der Zielvorstellung „Eine Schule für alle“ festzuhalten. Dennoch formulieren Teilnehmende aus ihren Arbeitszusammenhängen „Zwischentöne“. In den Kollegien würden durchaus Leistungen der Förderschulen gesehen („Schonraum“), Prioritäten des Gewerkschaftseinsatzes zu Gunsten vermehrter Ressourcen gefordert und auch Auffassungen zu bedenken gegeben, die den Begriff „Eine Schule für alle“ als solchen für eine Hürde halten („abschreckende Wirkung“). Häufig spielen bei diesen Einlassungen Erfahrungen eine Rolle, die sich auf die konkreten Bedingungen in der Arbeitssituation beziehen. Sie sind zudem eingebettet in ein politisches Klima, in dem Wähler*innen Parteien hinterherlaufen, die versprechen, „das gute Alte“ wieder herzustellen. Eine Gewerkschaft und die von ihr vertretenen Perspektiven des Fortschritts werden in diesem Zusammenhang oftmals mit Polemik und Niedertracht angegriffen.
Nicht nur für uns geht es um viel: Mit der Idealisierung der Vergangenheit verleugnen deren Protagonisten rigide Herrschaftsstrukturen, die sie damit gleichzeitig zementieren wollen. Eine Gewerkschaft allerdings hat die Pflicht, die Konsequenzen aufzuzeigen, die aus diesem autoritären Gesellschaftsverständnis mit dem Ziel „funktionierender“ Menschen resultieren, und muss bei der eigenen Positionierung mit Klarheit voranschreiten.
GEW präzisiert Inklusionsverständnis
In die Neuen Schulpolitischen Positionen sind deshalb Formulierungen eingearbeitet, die sich mit der Inklusion auch in ihrem Verhältnis zu „Einer Schule für alle“ auseinandersetzen. Als zentrale Aufgabe der GEW wird dabei angesehen, „die Beziehung zwischen einer Haltung zur Inklusion und den Bedingungen ihrer Umsetzung auszutarieren“ (Bensinger-Stolze 2024, S. 16) und damit ein gewerkschaftlich geprägtes Verständnis dieses Sachverhaltes zu stärken. Die Positionen binden Inklusion, langes gemeinsames Lernen und „Eine Schule für alle“ in die Bemühungen ein, um die Umsetzung eines Menschenrechtes auf Bildung, das umfassend, entfaltet und für alle Menschen bezogen auf ihre gesamte Persönlichkeit verstanden wird.
Erst dann wird deutlich, dass Qualität kein abstrakter Begriff ist, sondern sich daran messen lassen muss,
- inwieweit es gelingt, kritikfähige, gestaltende und mündige Bürger*innen zu bilden;
- Demokratie nur durch den Schutz gesellschaftlicher Grundwerte wie Gleichberechtigung, Solidarität und die Anerkennung der Gleichwertigkeit aller Menschen gelingt,
mithin die UN-Behindertenrechtskonvention und die universellen Kinderrechte uneingeschränkt gelten; - der Auftrag des Staates darin besteht, eine aufgabengerechte und reflexive Qualifizierung des gesamten Personals zur Entwicklung eines professionellen Selbstverständnisses zu ermöglichen;
- die Inhalte schulischer Arbeit sich daran messen lassen müssen, ob sie den Anspruch einlösen, die Menschen zu gesellschaftlicher Teilhabe zu befähigen.
Im Lichte dieses Verständnisses ergeben sich für unser Bundesland einige Bezugspunkte.
Bremen im Weltmaßstab
Von einer bildungspolitischen Revolution sprach die damalige Bildungssenatorin Jürgens-Pieper im Jahre 2009 angesichts der Änderung des Bremischen Schulgesetzes. Bis heute gilt §3: „Bremische Schulen haben den Auftrag, sich zu inklusiven Schulen zu entwickeln“. Damit wird an die integrative Tradition im Lande Bremen mit Gesamtschulen als „wissenschaftliche Schule für alle“ (Deutscher Bildungsrat 1969, zitiert in Klemm 2021, S. 18) angeknüpft, gleichzeitig jedoch auf eine neue Qualität abgehoben. Diese Qualität gilt es, für unsere „Eine Schule für alle“ präzise zu bestimmen. Denn weiterhin ist die Einschätzung richtig, dass Benachteiligungen und Ungleichheiten nicht schon dadurch verschwinden, indem „die Schüler:innen in einem gemeinsamen Klassenzimmer unterschiedliche Aufgaben bekommen“ (Klomfaß 2017). Insofern sind auch die Studien von Klemm (2021) und Lepper / Steinmann (2024) mit Vorsicht zu lesen, die insbesondere die Exklusionsquote als den „zentrale(n) Gradmesser“ (Lepper / Steinmann 2024, S. 2) für die erfolgte Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sehen. Legt man dieses eine Kriterium zugrunde, dann ist Bremen im bundesweiten Ländervergleich tatsächlich der Vorreiter (vergl. ebenda, S. 5), und unser Bundesland hat sich dem Ziel der UN-Konvention „sehr weit angenähert“ (Klemm 2021, S. 55). Für eine Revolution dürfte dieser Sachverhalt jedoch nicht reichen.
Was kommt nach dem „Schulfrieden“?
In den Neuen Schulpolitischen Positionen heißt es zur Entwicklung „Einer Schule für alle“: „Die GEW unterstützt Planungen mit einer Laufzeit von 10 bis 20 Jahren, die das Ziel der ,Einen Schule für alle‘ konkretisieren und verbindliche ,Meilensteine‘ auf dem Weg dorthin definieren. Dies geschieht unter Beachtung der Entwicklung in den verschiedenen Bundesländern“ (Bensinger-Stolze 2024, S. 16). Eingebettet ist dieses Vorgehen in „eine kontinuierliche Bildungsplanung, den Kampf gegen strukturelle Überforderungen der Schulen und eine inklusiv ausgerichtete Bildungsforschung“ (ebenda).
Die Definition dieser Meilensteine wird ein ganzes Raster an Kriterien beinhalten, deren Umsetzung für einen Erfolg benötigt wird. Zu bedenken sind mindestens: Der Wandel der pädagogischen Tätigkeiten, die Anlage des Unterrichts und dessen Inhalte, die Arbeitsbelastung des gesamten Personals und die Zusammenarbeit der Professionen. Überlegungen zur Verständigung über Meilensteine haben in unserem Landesverband schon deshalb eine hohe Priorität, da die zweite Phase des sogenannten „Schulfriedens“ 2028 ausläuft und die politischen Parteien ihre schulpolitischen Weichen zur Bürgerschaftswahl 2027 gestellt haben werden.
Aus unserem gewerkschaftlichen Selbstverständnis heraus bleibt „Eine Schule für alle“ die richtige Perspektive, insbesondere dann, wenn am Recht auf Bildung und an Gerechtigkeit als Maßstab des Handelns festgehalten wird. Allerdings kann Inklusion im Kapitalismus nicht widerspruchsfrei sein, beinhaltet sie doch zu ihrer Umsetzung eine gesellschaftspolitische Wende. Diese hätte vermutlich tatsächlich einen deutlich revolutionären Charakter, würde „Einer Schule für alle“ aber einen erheblichen Schub verleihen.
Quellen:
- Bensinger-Stolze (2024): Prozesspapier Textvorschläge für die künftigen Schulpolitischen Positionen der GEW, Frankfurt
- Klemm (2021): Inklusion in Deutschlands Schulen, Weinheim
- Klomfaß (2017): Vielfalt leben, lehren, lernen, Frankfurt
- Lepper/Steinmann (2024): Status quo: Inklusion an Deutschlands Schulen, Gütersloh