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Ukrainekrieg

Keine weiteren Waffen in die Ukraine!

Verlängerung und Intensivierung des Krieges droht

Gleich vorweg: Ich verweigere mich der Anmaßung, Putin, dem Ukrainekrieg und der militärischen Aufrüstung alle anderen positiven gesellschaftspolitischen Ziele vom Pariser Klimaabkommen bis zur UN-Agenda 2030 zu opfern. Dabei ist mir sehr wohl bewusst, dass Russland am 24. Februar in brutaler Weise die Ukraine überfallen und damit die nationale Souveränität der Ukraine, das Völkerrecht und das Gewaltverbot der UN-Charta gebrochen hat. Nur: Schon bei der Bombardierung Belgrads 1999 wie auch bei der Invasion in den Irak 2003 zeigte sich, dass die UN-Charta, das Völkerrecht, kaum mehr das Papier wert ist. Stattdessen gilt das Recht des Stärkeren und das Recht zur Selbstlegitimation von militärischen Interventionen: Hauptsache, das eigene völkerrechtswidrige Handeln kann in Talkshows dem heimischen Fernsehpublikum gegenüber gerechtfertigt werden.

Stellvertreterkrieg

Jetzt wird in allen Talkshows und von nahezu allen Parteien die Unterstützung der Ukraine mit schweren Waffen gefordert, um den russischen Aggressor zu stoppen. Um aber als Gewerkschaft die richtige Position zu diesem Krieg in der Ukraine einzunehmen, ist es vor allem wichtig zu sehen, was gerade tatsächlich in der Ukraine passiert. Wir sehen nach dem Syrienkrieg jetzt in der Ukraine einen weiteren Stellvertreterkrieg zwischen den USA und ihren NATO-Verbündeten einerseits und Russland und seinen Verbündeten (darunter potentiell auch China und Iran) andererseits.

Nato-Osterweiterung

Die Ukraine liegt geostrategisch im Einflussbereich dreier kapitalistischer Großmächte, der EU, Russlands und der USA, die um wirtschaftliche und politische Beziehungen zur Ukraine streiten. Die NATO-Osterweiterung geht insbesondere auf das Drängen der USA zurück, die zwischen Russland und der EU einen „Cordon sanitaire“ aus Staaten mit bevorzugten politischen Beziehungen zu den USA gründen wollten. Im Gegensatz zum „alten Europa“, d.h. den aus US-Sicht unsicheren NATO-Verbündeten Frankreich und Deutschland (die z. B. den Irakkrieg nur begrenzt unterstützten) sollte aus den neuen NATO-Verbündeten, den baltischen Staaten, Polen und der Ukraine ein „neues Europa“ entstehen (O-Ton US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld) mit besonders engen Beziehungen zu den USA, mit traditionell ablehnender Haltung gegenüber Russland und mit geringerer Bindung an die EU („Fuck the EU!“; O-Ton US-Europaberaterin Victoria Nuland).

NATO-Partnerland

Dementsprechend haben sich die USA auch über die Weigerung Deutschlands und Frankreichs, die Ukraine als Mitglied in die NATO aufzunehmen, faktisch hinweggesetzt und die Ukraine als NATO-Partnerland zu einer der größten Armeen Europas aufgebaut und in die militärischen Großmanöver und Verteidigungsstrukturen der NATO miteinbezogen.

Mit „robuster Diplomatie“

Russland hat sich wie auch die Ukraine nach dem Zerfall der Sowjetunion zu einer Präsidialdemokratie unter dem mächtigen Einfluss neukapitalistischer Oligarchen entwickelt. Gleichzeitig erneuert Russland unter Putin seine Stellung als Großmacht und setzt seine Interessen in diversen internationalen Konflikten (Tschetschenien, Georgien, Ukraine, Syrien) mit militärischen Mitteln oder „robuster Diplomatie“ durch. Im Februar 2022 entscheidet sich die russische Führung, den regional begrenzten Krieg in der Ostukraine durch eine Invasion auf die gesamte Ukraine auszudehnen, mutmaßlich um einen Regime-change in Kiew durchzusetzen bzw. um die Ukraine territorial zu spalten. Nach zwei Monaten Kriegsgeschehen verfügt keine der Seiten über die Mittel, den Gegner zur Kapitulation bzw. zum Rückzug zu zwingen, d.h. der Krieg kann nach Ende des Bewegungskrieges in den nächsten Wochen als Stellungskrieg noch über Jahre fortgeführt werden, sofern beide Seiten ausreichend Soldaten und Waffen nachschieben.

Hungersnot droht

Die Folgen, die eine Fortführung des Krieges in der Ukraine aber haben wird, sind dramatisch und gehen weit über die Ukraine hinaus: Global droht in den Ländern des Südens, insbesondere in vielen Staaten Afrikas, schon in den kommenden Monaten durch das Fehlen der Weizenlieferungen aus Russland und der Ukraine eine dramatische Hungersnot, die eine schwer zu schätzende Zahl von weiteren Flüchtlingen verursachen wird. Darüber hinaus droht, global gesehen, eine zunehmende globale Blockbildung zwischen den USA und den verbündeten NATO-Staaten einerseits und den als „autokratisch“ bezeichneten Großmächten China, Russland und Iran andererseits, die sämtliche fortschrittlichen Entwicklungsziele der UNO, die in der Agenda 2030 für alle Staaten der Welt vereinbart wurden, sowie alle Klimaziele des Übereinkommens von Paris obsolet machen würde und die Menschheit direkt in den Abgrund eines großen zivilisatorischen und ökologischen Crashs schauen lässt.

Um (fast) jeden Preis

Darum muss der Krieg in der Ukraine, das Leiden und Sterben von Soldaten* und Zivilbevölkerung, die Zerstörung der Städte und Dörfer, unbedingt um (fast) jeden Preis gestoppt werden. Die völkerrechtlichen Forderungen der ukrainischen Regierung sind mit Sicherheit genauso berechtigt wie die anderer Opfer von militärischen Interventionen auch: Afghanistan, Irak, Jemen, Libyen und Syrien. Nur: Erfüllt werden diese Ansprüche am Ende des Krieges bei Waffenstillstand und Friedensschluss im Regelfall nicht, nur die Einflusszonen der Großmächte werden dort am Verhandlungstisch neu austariert. Für kleinere Staaten, die im Überschneidungsfeld divergierender Großmachtinteressen liegen, gibt es keinen wirksamen Schutz der nationalen Souveränität. Das sollte wissen, wer sich jetzt für Waffenlieferungen an die Ukraine und damit für eine Verlängerung und Intensivierung dieses Krieges zwischen den Großmächten Russland und USA einsetzt.

Schwer ertragbare Kompromisse

Dieser Krieg hätte in der Eskalation seit 2014 befriedet werden müssen; halbherzige Versuche dazu gab es mit den Minsker Abkommen 1 und 2, die aber hinterher von allen Parteien unterlaufen wurden. Auch jetzt besteht nach wie vor die Möglichkeit, im Rahmen der Kriegsdiplomatie diesen Krieg um den Preis schwer ertragbarer Kompromisse zu beenden. Aber es gibt dazu keine Alternative außer dem direkten Weg in den zivilisatorischen und ökologischen Crash noch im 21. Jahrhundert. Darum gilt heute, was schon Bertha von Suttner wusste: Die Waffen nieder! Keine weiteren Waffen für diesen Krieg!