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Ausbildung

Keine guten Nachrichten vom Ausbildungsmarkt

Wir müssen die berufliche Bildung wieder stärken

Berufliche Bildung ist eine soziale lntegrationskraft

Für die junge Generation schafft sie die Voraussetzung für einen gelingenden Arbeitsmarkteinstieg und für spätere Aufstiegs- und Karrierewege. Und sie sorgt für Wirtschaftskraft. Denn die Betriebe brauchen gut ausgebildete Fachkräfte, die den Erfolg des deutschen Produktionsmodells auf ihren Schultern tragen. Und trotzdem: Seit Jahren werden im Land Bremen immer weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen und ist die Zahl der Ausbildungsbetriebe rückläufig, während die jungen Menschen ohne Berufsabschluss mehr werden. Gleichzeitig sind Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung gefragt wie nie zuvor – aber nicht mehr unbedingt zu kriegen.

Woran liegt das? Jedenfalls nicht am oft zitierten demografischen Wandel.

Denn die Zahl der Jüngeren geht in den Städten Bremen und Bremerhaven nicht etwa zurück, sondern steigt: Seit 2011 ist die für die Berufsbildung relevante Bevölkerungsgruppe der 15- bis unter 20-Jährigen um knapp sieben Prozent gewachsen. Doch die Zahl der Auszubildenden hat nicht mithalten können. Ein Erklärungsansatz ist die gestiegene Studienneigung, denn immer mehr junge Menschen beenden die Schule mit einem Abiturzeugnis in der Tasche. Das würde, so die Annahme, das Interesse an beruflicher Ausbildung schmälern, der Rückgang der Nachfrage nach Ausbildungsplätzen wäre die Folge. Umgekehrt wird aber auch ein zu geringes Angebot an Lehrstellen zur Erklärung herangezogen. Demnach ist ein Nachlassen des Ausbildungsengagements bei den Betrieben zu beobachten und ein Rückzug aus der Verantwortung, für den eigenen Fachkräftenachwuchs zu sorgen. Eine kurze Analyse der Entwicklungen im Land Bremen soll Klarheit bringen und wichtige Handlungsansätze aufzeigen.

Dramatischer Rückgang des Engagements der Wirtschaft

Der Ausbildungsmarkt im Land Bremen ist geprägt von Ungleichgewichten. Für einen ersten Eindruck lassen sich die Daten der Agentur für Arbeit zu Rate ziehen. Denn als ein zentraler Akteur und wichtiger Partner der Jugendberufsagentur führt sie verlässlich Buch über die jungen Menschen und die Betriebe, die sich von ihrer Berufsberatung und ihrer AusbildungsStellenvermittlung unterstützen lassen. Im Jahr 2018 haben die Arbeitgeber insgesamt 4.856 offene Ausbildungsstellen beim Arbeitgeberservice gemeldet, für die 4.716 Jugendliche ernsthaftes Interesse bekundet haben und von der Berufsberatung auch für geeignet befunden wurden. Das sieht nach einem recht ausgewogenen Verhältnis aus. Doch wie schon im Vorjahr wurde nur rund ein Drittel der jungen Menschen in eine ungeförderte Berufsausbildung vermittelt (34,6 Prozent), weiteren 8,6 Prozent gelang der Ausbildungseinstieg mit einer zusätzlichen Förderung durch die Agentur. Das heißt umgekehrt: 57 Prozent oder 2.680 geeignete bremische Jugendliche konnten von der Agentur nicht in einen Ausbildungsbetrieb vermittelt werden. Was ist aus ihnen geworden?

Am Stichtag 30. September – also bereits nach dem Beginn des Ausbildungsjahres - suchten beharrlich und mit Unterstützung der Jugendberufsagentur noch immer 892 Jugendliche (19 Prozent) weiter nach dem passenden Ausbildungsplatz. 662 von ihnen hatten übergangsweise eine Alternative für sich gefunden. Für 230 Bewerberinnen und Bewerber ist auch das nicht gelungen: Sie blieben nicht nur ohne Ausbildungsstelle, sondern zudem ohne ein alternatives Angebot. Eine unklare Perspektive hatten weitere 1.192 junge Menschen, die sich bei der Agentur nicht mehr gemeldet haben und über deren Verbleib dort nichts bekannt ist. Insgesamt war also von 1.422 der jungen Menschen unklar, wie es nach dem 30. September für sie weitergegangen ist (30 Prozent). Die übrigen Bewerberinnen und Bewerber haben sich für den weiteren Schulbesuch, ein Praktikum oder einen Freiwilligendienst entschieden, haben sich einen Job gesucht, sind in eine Maßnahme gegangen oder haben sich arbeitslos gemeldet.
Die Ausbildungsstellen wurden dagegen fast alle besetzt Das liegt daran, dass das Interesse an den hiesigen Lehrstellen groß ist und die jungen Leute, die sich erfolgreich auf eigene Faust auf die Suche machen, gar nicht in der Statistik der Agentur für Arbeit erscheinen.
Genauso ist es mit den Jugendlichen aus dem niedersächsischen Umland.
Das Bundesinstitut für Berufliche Bildung (BIBB) hat für 2018 insgesamt fast 8.800 Ausbildungsinteressierte im Land Bremen gezählt, geht aber davon aus, dass es tatsächlich noch mehr sind. Ausbildungsplätze standen aber nur 6.200 zur Verfügung. Kurz: Auf 100 Ausbildungsinteressierte kamen 71 Ausbildungsstellen. Wie die Bilanz für das laufende Jahr 2019 aussehen wird, bleibt abzuwarten. Das BIBB weiß auch:

Im Land Bremen schließen besonders viele junge Menschen mit dem Abitur einen Ausbildungsvertrag ab (35,6 Prozent), fast gleichauf liegen Realschulabsolventen/innen (35,4 Prozent). Junge Menschen mit Hauptschulabschluss spielen dagegen in der betrieblichen Ausbildung nur noch eine marginale Rolle (20,1 Prozent der Neuabschlüsse insgesamt). Das Grundproblem in unserer Region ist demnach nicht das nachlassende Interesse junger Menschen an einer Berufsausbildung, sondern das zu geringe Lehrstellenangebot.

Am Ende der Warteschlange

Verschiedene Untersuchungen bestätigen: Wo sich besonders viele Studienberechtigte auf dem Ausbildungsmarkt bewegen, sind die Chancen für alle anderen schlecht. Die Studienberechtigten verdrängen die jungen Menschen mit einem Realschulabschluss. Die weichen auf andere attraktive Berufe aus, zu denen normalerweise der Zugang mit dem Hauptschulabschluss problemlos möglich ist, oder sie entscheiden sich angesichts der Konkurrenzsituation doch für das Nachholen des (Fach-) Abiturs. Denn vor den attraktiven Lehrstellen bilden sich lange Warteschlangen, und wer hinten steht, hat selbst bei guter Eignung kaum eine Chance. Für die Hauptschulabsolventen/innen bleiben schließlich nur noch wenige Ausbildungsplätze in einem engen, oft weniger attraktiven Berufespektrum offen. Das Übergangssystem fängt die jungen Menschen auf, die an der Konkurrenz am Ausbildungsmarkt scheitern. Zuletzt begannen insgesamt 4.052 Jugendliche im Land Bremen in einem seiner Bildungsgänge (2017), die meisten an den beruflichen Schulen. Fast 70 Prozent hatten maximal den Hauptschulabschluss erreicht, knapp 30 Prozent den Realschulabschluss. Jugendliche mit einer Studienberechtigung traten im Übergangssystem hingegen so gut wie gar nicht in Erscheinung. Die Daten des BIBB verraten noch mehr darüber, wer im Land Bremen in der Warteschlange ganz hinten steht:
Schon der Realschulabschluss sichert nicht mehr unbedingt eine gute Position, und Jugendliche mit maximal dem Hauptschulabschluss liegen sehr deutlich zurück. Dabei sind junge Männer weiter hinten einsortiert als junge Frauen. Die Zahlen legen zudem nahe, dass ein Migrationshintergrund die Chancen auf den direkten Übergang in Ausbildung mindern. Wenn das Ausbildungsangebot ausreicht, um alle Ausbildungsinteressierten zu versorgen, dann entscheidet die Warteschlangenposition vor allem darüber, wer mit den begehrtesten Betrieben vertragseinig werden kann und zu welchem Zeitpunkt sich der Bewerbungserfolg einstellt. Wenn aber zu wenige Ausbildungsplätz da sind, dann bleiben am Ende der Warteschlange Jugendliche übrig. Das ist im Land Bremen Jahr für Jahr der Fall.

Die Arbeitslosen von morgen

Auch wenn sich nicht genau beziffern lässt, wie viele Ausbildungsplätze fehlen, ist doch klar: Es gibt eine empfindliche Lücke, und das verursacht tiefgreifende soziale Probleme im Land Bremen. Die Jugendarbeitslosigkeit lag mit 8,3 Prozent im Dezember 2018 über dem Bundesdurchschnitt (4,7 Prozent). Von den knapp 3.200 registrierten jungen Arbeitslosen unter 25 Jahren hatten 85 Prozent keinen Berufsabschluss. Die Arbeitslosenquote von Ungelernten ist mit 29,4 Prozent mehr als fünfmal so hoch wie die von beruflich Ausgebildeten. Mehr denn je entscheidet der Zugang zu Ausbildung auch über den Zugang zu Arbeit und damit über Zukunftsperspektiven. Und in keinem anderen Bundesland ist der Bevölkerungsanteil ohne Berufsabschluss unter den 25- bis 34-Jährigen so hoch wie hier, und er steigt kontinuierlich. Zuletzt lag er bereits bei 22 Prozent (Bund 14,6 Prozent). Betroffen ist etwa jeder fünfte junge Mann und beinahe jede vierte junge Frau. Darunter befinden sich viele, die in der Warteschlange für einen Ausbildungsplatz immer wieder ganz hinten standen. Dabei werden beruflich ausgebildete Fachkräfte am Markt dringend gesucht. Das Paradoxe ist: Während der Arbeitsmarkt immer neue Rekorde bei den Beschäftigtenzahlen verzeichnet und die Betriebe sich die Fachkräfte gegenseitig abjagen, wird immer weniger in Ausbildung investiert. Beschäftigung und Ausbildung haben sich auf gefährliche Weise voneinander entkoppelt. Die Ausbildungsquote ist im Land Bremen inzwischen auf fünf Prozent gesunken - das heißt, auf 100 Beschäftigte kommen nur noch fünf Auszubildende. Die Ausbildungsbetriebsquote hat ein historisches Tief von 22,2 Prozent erreicht: Nur noch gut jeder fünfte Betrieb bildet aus. Besonders irritierend ist die Entwicklung bei den Großbetrieben im Land Bremen. Ihre Ausbildungsquote hat inzwischen einen Tiefpunkt von 3,9 Prozent erreicht. Fast ein Drittel der Großbetriebe übernimmt keinerlei Verantwortung für die Fachkräftesicherung. Für sie scheint es einfacher, ihre klugen Köpfe bei anderen abzuwerben, statt selbst auszubilden.

Da geht noch was – damit niemand verloren geht

Mit der 2015 gegründeten Jugendberufsagentur gibt es ein Instrument, das eine Brücke bauen kann zwischen Schule, Jugendhilfe, Übergangssystem und Ausbildung. Darin liegt großes Potenzial. Denn dadurch können gerade den Jugendlichen, die den Anschluss zu verlieren drohen, die individuell passenden Wege eröffnet und eine kompetente Begleitung im Übergang angeboten werden. Erreicht ist das noch nicht. Die Jugendberufsagentur wird sich daran messen lassen müssen, ob und wie ihr das gelingt. Investitionen in gute Schulabschlüsse lohnen sich, weil sie die individuellen Voraussetzungen und die Position in der Warteschlange verbessern. Wer das Abitur erreichen will, kann das in unserem Schulsystem auf vielfältige Weise an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen. Jungen Menschen mit dem Hauptschulabschluss bieten sich dagegen zu wenige durchlässige Möglichkeiten, den nächsthöheren Abschluss zu erreichen. Umso wichtiger ist es, das Übergangssystem zu einem Chancenverbesserungssystem umzugestalten. Das Ziel: Jugendlichen mehr individuelle Bildungszeit geben. Das Herzstück: Das Verbessern und Nachholen von Schulabschlüssen ermöglichen.

Wer es in Ausbildung schafft, braucht schnelle und unkomplizierte Unterstützung

Wenn es mal nicht rund läuft - sei es bei der Bewältigung von Lernschwierigkeiten oder bei Konflikten im Betrieb, bei Problemen in der Berufsschule oder in solchen Umbruchsituationen, wie sie die Lebenswelt junger Leute typischerweise prägen – sind Unterstützungsangebote erforderlich. Der Vorschlag eines Berufsschulcampus bietet die Chance, dort ein gebündeltes Beratungs- und Unterstützungsangebot aufzubauen. Als beispielgebend kann die unterstützende Infrastruktur gelten, die für Studierende auf jedem Unicampus frei und jederzeit zugänglich ist. Daran kann sich die Entwicklung eines Unterstützungsangebots für Auszubildende orientieren: Sozialberatung, landeseigene Ausbildungsbegleitende Hilfen, Mediationsangebote, wenn es im Betrieb mal knirscht, Unterstützung bei der Wohnungssuche und angeschlossene Wohnheime - die Palette ist breit. Auch die Betriebe würden profitieren: Sie blieben bei möglichen Problemen mit ihrem Azubi nicht allein. Möglicherweise würde ein solches Angebot sogar helfen, die Betriebe wieder stärker für solche Gruppen zu öffnen, die heute zu den Marktverlierern gehören.