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Radikalenerlass

Januar 2022 - 50 Jahre Berufsverbote

Geschichtlicher Abriss

Am 28.1. 1972 beschloss die Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im Öffentlichen Dienst“. Bundeskanzler Brandt bekräftigte sie für den Bereich des Bundes am selben Tag. Der Bremer Senat unter Koschnick übernahm die Grundsätze für das Land Bremen am 2.2.1972.

Damit war der ‚Radikalenerlass‘ bundesweit in Kraft gesetzt.

Der Zweck dieser Vereinbarung war die Treuepflicht der Beamten und Angestellten im Öffentlichen Dienst bundesweit einheitlich überprüfen zu können. Der Begriff ‚Berufsverbot‘ wurde im Ausland nicht übersetzt und mit Verwunderung und Unverständnis als deutsche Besonderheit zur Kenntnis genommen.  Schon 1971 hatte der damalige Hamburger Bürgermeister Klose die Vorreiterrolle übernommen, indem schon im Herbst 1971 ein Berufsverbot in Hamburg verhängt wurde. Auch der DGB beschloss 1973 sogenannte Unvereinbarkeitsbeschlüsse, wonach Mitglieder, die nach ihrer Meinung nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung (fdGO) standen, aus den Gewerkschaften ausgeschlossen wurden. Behörden und Gewerkschaften arbeiteten in Bremen mit dem Verfassungsschutz zusammen, so dass der Rausschmiss aus der Gewerkschaft zeitlich eher passierte, bevor das erste Dienstgespräch in der Behörde erfolgte. Somit bestand kein Rechtsschutz für die gemaßregelten Kollegen mehr.

Zu Hunderttausenden wurden nun die Aspiranten, die sich für den öffentlichen Dienst beworben hatten, mit der Regelanfrage durch den Verfassungsschutz überzogen. Auch aus der Studentenzeit wurden Informationen gesammelt, die mit aktuellen Daten den Bewerbern vorgehalten wurden. Es wurde vor allem nach gerichtsverwertbaren Tatsachen geforscht, die dem Dienstherrn Zweifel an der Treuepflicht des Bewerbers bestätigen sollten. Wenn Zweifel nicht ausgeräumt werden konnten, waren Entlassungen aus dem Dienst oder Nichteinstellungen die brutale Folge. Die große Mehrheit der vom Radikalenerlass Betroffenen waren Lehrer. Ebenso konnten quer durch den Öffentlichen Dienst Beschäftigte in die Mühle der Gesinnungsschnüffelei geraten wie Briefträger, Bahnbeamte, Sozialpädagogen, Richter und Ärzte. Dabei waren z. B. den überprüften Lehrkräften die zur Last gelegten Erkenntnisse der Behörden eher geringfügiger Natur wie Teilnahme an Demonstrationen, Verkauf von linken Zeitungen, Behandlung des Putsches durch Pinochet in Chile und politischer Texte Erich Frieds. Der Zweck dieser Vorwürfe an die Bewerber sollte vor allem die große Zahl der Sympathisanten abschrecken, sich näher und enger an die „radikalen“ Organisationen zu binden. Jeder Bewerber, von dem die Behörde wusste, dass er nicht Mitglied in einer ‚verfassungsfeindlichen‘ Organisation war, konnte die inkriminierten Vorgänge ohne weiteres praktizieren. 3,5 Millionen Regelanfragen soll es bis 1990 an den Verfassungsschutz gegeben haben, bei 35.000 Bewerbern sollen ‚Erkenntnisse‘ vorgelegen haben (Quelle: Braunthal).

Der auch „Misstrauensbeschluss“ genannte Erlass hatte eine „ganze Protestgeneration“ (auch ‚Demokratisierer‘ genannt) erfasst. Viele sind in Angst, Ausweglosigkeit oder ins materielle oder psychische Elend gestoßen worden.

Die Empörung über dieses unfassbare Vorgehen des Staates wiegt umso schwerer, als dass Zehntausende von ehemaligen Nazis nach dem Krieg in den Staatsapparat übernommen wurden, für die das Berufsverbot keine Rolle gespielt hat.

Auch in Bremen hat der damalige Bürgermeister Kaisen nicht auf diese Gruppe verzichten wollen und ihre Wiedereingliederung in den Staatsdienst betrieben. In Bremen wurde schließlich der Radikalenerlass im Jahre 2012 vom Senat aufgehoben und ein „ideeller Abschluss“ mit den Betroffenen angestrebt. Was konkret darunter zu verstehen ist und ob und wie er umgesetzt und konkretisiert wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.