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Inklusion- Die Lehrkräfte alleine können es nicht richten

26 Kinder in der Klasse. Fünf Kinder sind dabei mit besonderem Förderbedarf – Hören, Sprache, Erziehungshilfe. Zweimal die Woche arbeitet eine Sonderpädagogin mit, Lehrerin für emotional-soziale Förderung, also nach alter Begrifflichkeit Erziehungshilfe. Gelebte Inklusion also?

Die Klassenlehrerin sieht das anders. Die Förderlehrerin ist nur stundenweise dabei, für die Förderung Hören und Sprache hat sie keine Ausbildung, Absprachen sind nur zwischen Tür und Angel möglich. In der meisten Zeit ist die Klassenlehrerin alleine mit den Kindern. Der Junge mit emotional-sozialem Förderbedarf erzwingt häufig ihre volle Aufmerksamkeit, die anderen Kinder müssen dann so zurechtkommen. Und was ist mit den Kindern, die eigentlich ihre Unterstützung und Aufmunterung brauchen – Kinder ohne ausgewiesenen Förderbedarf, die aber auch ihr Recht auf Lernen und Zuwendung haben?

Und was ist mit den didaktischen Projekten, die ihren Grundschulunterricht bisher so lebendig und erfolgreich machten – den Forscherprojekten, den Ausstellungen, den Schreibkonferenzen …? Sie traut sich eigentlich nicht mehr, solche Projekte mit viel Freiraum für die Kinder durchzuführen. Obendrein beklagen sich die Fachlehrerinnen für Englisch und Kunst täglich bei ihr.

»Ich kann das nicht mehr!«, ist immer häufiger der resignative Seufzer.

Gewiss, es gibt die »Leuchttürme« inklusiver Schulgestaltung, Filme, Bücher, Aufsätze. Sie erscheinen vielen in der Ebene der »normalen« Schulen aber als Feiertagspädagogik.

Und wer behauptet, Inklusion sei nur eine Frage der pädagogischen Einstellung, ist weit weg von täglicher Schulpraxis.

 

 

Was nötig ist

»Die Lehrer sind der entscheidende Faktor für Schulerfolg, nicht die Schulstruktur oder die Klassengrößen.« Diese schon aus Finanzgründen gern gehörte Meinung wird aktuell durch die Hattie-Studie wieder einmal befeuert. Sicher, für eine gelingende komplizierte medizinische Operation ist der kompetente Operateur ein entscheidender Faktor. Nur: In einer Garage und ohne Instrumente wird auch er wenig ausrichten können. Er ist auf Ausstattung und Unterstützung angewiesen, damit sich seine Kompetenz auch auswirken kann.

Nicht anders ist es in der Schule mit den Lehrerinnen und Lehrern. Didaktisch sind Grundschullehrkräfte bestens gerüstet, auch durch die Materialien des Grundschulverbandes, siehe z. B. »Allen Kindern gerecht werden – Aufgabe und Wege«, »Pädagogische Leistungskultur«, »Individuell fördern – Kompetenzen stärken«.

Inklusion kann aber nur gelingen, wenn Ausstattung, Unterstützung und weitere Qualifizierung entsprechend sind. Am Beispiel oben lässt sich zeigen, woran es hapert:

Die Förderlehrkraft: Die Ausbildung der Förderlehrer orientiert sich noch an den Sonderschultypen. Sie muss völlig neu gestaltet werden. Förderlehrerinnen und -lehrer müssen förderkundig sein, egal, welcher Förderbedarf beim einzelnen Kind bestehen mag.

Das Team: Grundschullehrerin und Förderlehrerin müssen ein festes Team in der Lerngruppe sein, das die gesamte Unterrichtszeit miteinander arbeitet, gegebenenfalls ergänzt durch weitere Hilfskräfte.

Die Zeit: Erforderlich ist ein echter Ganztag aus »einem pädagogischen Guss«, um unterschiedliche Lernarrangements möglich zu machen.

Keine Auslese: Fördern findet vor allem integrativ und präventiv statt. An die Stelle der Notenbewertung tritt die pädagogische Leistungskultur.

Supervision: Nicht Schulinspektion, sondern Supervision trägt dazu bei, dass die Lehrkräfte vor dem Ausbrennen bewahrt werden. Sie sollte für eine so anspruchsvolle und für so viele junge Menschen verantwortliche Arbeit wie das Lehrersein ohnehin selbstverständlich werden.

Einige andere Faktoren kommen noch hinzu, wie bauliche und materielle Ausstattung, weitere Qualifizierungen, ein systemisches Selbstverständnis als inklusive Schule.

Dies alles sind keine Neuigkeiten, siehe auch die »Acht Forderungen zur Bildungsgerechtigkeit« des Grundschulverbandes von 2009.

Nein, nun wirklich nicht: Die Lehrerinnen und Lehrer alleine können es nicht richten. Nur mit einem Systemwechsel wird Inklusion zu einem Erfolg für alle.

 

Der Autor:

Dr. h. c. Horst Bartnitzky, Grundschulpädagoge, langjähriger Vorsitzender und Ehrenmitglied des Grundschulverbandes

Kontakt
Karsten Krüger
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