„Mit Bildung kann man keine Wahlen gewinnen“. Diese Aussage mag manchem und mancher schon nach den Hochrechnungen durch den Kopf gegangen sein. Unter Umständen kommt sogar der Gedanke auf, dass die Trennschärfe der Verbesserungsvorschläge verschiedener Parteien zu gering war, um sich dem Aufwand zu unterziehen, 2 x 5 Kreuze zu setzen.
Alles Spekulation! Tatsache ist jedoch, dass sogar die „Gewinner“ genau rechnen müssen, um ihre Erfolge herausstellen zu können. Nimmt man nämlich die absoluten Zahlen, so bleibt die SPD die stärkste Partei, obwohl sie bei gleichem Prozentwert von mehr als 2.100 weniger Menschen gewählt wurde als vor 4 Jahren; der CDU brachten gut 100 Wähler*innen mehr ein Plus von 4,4 %, der FDP reichen knapp 1.700 Unterstützer*innen, um gar ihre „Auferstehung“ zu feiern. Zieht man den „Fukushima-Effekt“ ab und vergleicht die Wahlergebnisse von 2015 mit denen von 2007, so zeigen die Resultate bei den etablierten Parteien allerdeutlichst: Stagnation!
Eines allerdings hat sich maßgeblich geändert: Die Zahl derer, die an den Wahlen überhaupt noch teilnehmen: Der Absturz vollzog sich vehement: Von 51,5 % über 46,8 % auf nunmehr 38,3 %. Die Einschätzung, dies sei ein „Desaster“, ist schnell formuliert, ebenso die Schlagzeile, die einen weiteren bundesweiten Rekord vermeldet.
Man kann das vielfältige Zahlenwerk des 10. Mai aber auch als unübersehbaren Hinweis verstehen, dass die gesamte politische Richtung nicht stimmt. Neben Bildung gibt es weitere Berichte des alltäglichen Lebens, die Unzufriedenheiten geschürt haben. An die Krankenhausfusion, die Armutssituation Bremerhavener Kinder, die Deponie oder den Autobahnzubringertunnel sei nur exemplarisch erinnert.
In seinem Eröffnungsvortrag zur Pädagogischen Woche sprach Wolf-Dieter Bukow davon, dass sich die Stadtgesellschaften zwangsläufig neu ausrichten müssten, damit sie zu einem „integralen Konzept“ finden, welches den Anforderungen der Zeit gerecht werde. Das Wahlergebnis scheint diesem Erfordernis vordergründig nicht zu entsprechen. Eine namhafte Zahl der 11 mit Mandaten versehenen Parteien oder Wählervereinigungen verfolgten gerade keine Idee, die auf eine „inklusive Gesellschaft“ zuläuft. Sie wollten verteidigen, was kaum noch passt. Aber die 61,7 %, die nicht gewählt haben, bilden eine stattliche Mehrheit.
Vielleicht sind die sogar zu gewinnen (wenn auch nicht alle). Vielleicht beteiligen sie sich sogar an anderen Formen, einem politischen Willen Ausdruck zu verleihen. An den bildungspolitischen Protesten der letzten beiden Jahre beteiligten sich z.B. 7000 Schüler*innen, Eltern und Lehrkräfte. 7.000 Menschen auf parlamentarische Spielregeln umgerechnet, reichen locker für eine Fraktion.
Vielleicht lassen sie sich auch zusammenbringen mit Wählenden und Parteien, die sich den (kommunalen) Herausforderungen stellen. Dazu bedarf es aber einer Voraussetzung: Die (Partei-) Politik muss den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen. Für das Beispiel Bildung heißt das: Die eigene Bildungspolitik nur schön zu reden, verhöhnt alle Beteiligten, die die Realität wahrnehmen. Die Forderungen sind von uns lange formuliert, sie müssen nun umgesetzt werden.
Dann wäre die Zahl 38,3 als Mahnung angekommen.