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Recht

Gewerkschaften im Recht

Zur rechtlichen Bedeutung ihrer sozialen Mächtigkeit

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Das Recht hat verschiedene Funktionen. Unstreitig in unserer Gesellschaftsordnung ist seine Befriedungsfunktion. Es agiert als gesellschaftliches Subsystem, in das sich alle realen Konflikte übersetzen lassen (so der Anspruch) und entscheidet nach dann eigenen Regeln. Um die Rückbindung an die Gesellschaft sicherzustellen, bedürfen die richterlichen Entscheidungsträger daher einer gewissen demokratischen Legitimation.

Was sagt die Rechtsprechung nun zu Gewerkschaften, die im gesellschaftlichen Bereich verankert (bestenfalls) und darüber hinaus einen gewichtigen Anteil an normsetzenden Verfahren vor allen bezüglich auszuhandelnder Tarifverträge haben?

Auf den ersten Blick gibt es bezüglich der Befriedungsfunktion ein scheinbar widersprüchliches Bild:

Weder das Grundgesetz noch das Tarifvertragsgesetz regeln ausdrücklich, wann eine Arbeitnehmerkoalition als Gewerkschaft anzusehen ist. Solange der Gesetzgeber auf die Normierung der Voraussetzungen für die Gewerkschaftseigenschaft und die Tariffähigkeit im Einzelnen verzichtet, sind daher die Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit befugt, die Voraussetzungen für die Tariffähigkeit eine Arbeitnehmerkoalition im Wege der Auslegung des Tarifvertragsgesetzes im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG näher zu umschreiben (BVerfG, 1 BvR 1 / 16). Art. 9 Abs. 3 GG garantiert dabei in kollektiver Hinsicht das Recht, Gewerkschaften zu bilden, in individueller Hinsicht, sich ihnen anschließen zu können. Dies gilt daher für Arbeitnehmer und Beamte in gleicher Weise.

Dennoch wird nicht jedem gesellschaftlichen Zusammenschluss, der sich auf Art. 9 Abs. 3 GG beruft, die Tariffähigkeit zugestanden. Ausgangspunkt dieser Differenzierung ist das gesellschaftliche Faktum, dass die Arbeitgeberseite arbeitsrechtlich der Arbeitnehmerseite strukturell überlegen ist. Diese Feststellung ist ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wie des Bundesverfassungsgerichts.

Um danach tariffähig zu sein, „muss die Arbeitnehmervereinigung sozial mächtig und von ihrem organisatorischen Aufbau her in der Lage sein die ihr gestellten Aufgaben einer Tarifvertragspartei zu erfüllen“ (BAG, 1 ABR 37/16). Sie braucht „Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler“ (BVerfG, 1 BvR 1571/15).

„Die hinreichende Durchsetzungskraft und Leistungsfähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung wird regelmäßig durch die Zahl ihrer Mitglieder vermittelt (BAG, 1 ABR 88/09), sie muss sich gegenüber der Arbeitgeberseite - vermittelt durch Ihre Mitgliederstärke- durchsetzen können“ (BAG, 1 ABR 28/20).

Danach sieht die Rechtsordnung starke Gewerkschaften vor, um der sozialen Übermacht der Arbeitgeberseite Einhalt gebieten zu können oder, wie manche meinen, das Schlimmste zu verhindern. Da das wichtigste Durchsetzungsmittel der Gewerkschaften der Streik ist, ist diese gesellschaftliche Konfliktauseinandersetzung auch unter rechtlichen Gesichtspunkten zwingend und gewollt.

Wenn insofern zunächst dem Konflikt das Wort geredet wird, liegt der Sinn in der anschließenden gesellschaftlichen Konfliktbefriedung, die in der Regel in Tarifverträgen erfolgt. Die Stichworte hierzu sind Friedenspflicht und Verbot des politischen Streiks.

Gut erkämpfte und ausgehandelte Verträge sind für uns auch tatsächlich wichtig, da der Inhalt einer Angemessenheitskontrolle durch die Gerichte nach § 310 Abs. 4 BGB entzogen ist. Sie tragen also die Vermutung der Angemessenheit in sich, weil sie auf konfliktträchtigem Weg mit anschließender Einigung zustande gekommen sind. Es kann danach gerichtlich nicht festgestellt werden, ob eine Tarifnorm übervorteilt oder sonst wie unangemessen ist.

Die vorstehend nur angetippte Rechtsprechung soll dabei nur den Eindruck vermitteln, dass auch die Rechtsordnung auf starke Gewerkschaften setzt. Diese Rechtsprechung ist hauptsächlich zu Arbeitnehmervereinigungen ergangen, die zu klein waren um tariffähig zu sein, wobei insbesondere bei „christlichen“ Gewerkschaften der Gesichtspunkt der Gegnerfreiheit eine große Rolle gespielt hat. Manche hatten sich schlicht auf Veranlassung der Arbeitgeberseite gegründet, was schlechte Tarifverträge bei individuellem Fortkommen der „Verhandler“ garantierte.

Widerspruchsfrei ist diese Rechtsprechung dennoch nicht. Obwohl sich auch Beamte den Gewerkschaften anschließen können und sollen, sind sie vom Streik als schärfstem Kampfinstrument ausgeschlossen, folgt man der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.6.2018. Wenn also einerseits die soziale Mächtigkeit von Gewerkschaften durch das BVerfG und BAG in den Mittelpunkt gestellt wird, werden andererseits die Streikmöglichkeiten der Gewerkschaften erheblich geschwächt, wenn diese Beschäftigtengruppe die Teilnahme an Streiks verwehrt wird. Sie werden in Tarifverhandlungen lediglich mitgedacht, da Tarifergebnisse von Angestellten ganz oder teilweise (ohne Rechtsanspruch) auf die Beamtenschaft übertragen werden. Insofern haben Tarifergebnisse ohne aktive Mitwirkung der Beamtenschaft eine faktisch unangemessene Schlagseite.

In einer Besprechung zum Streikurteil (BLZ 3 -2018) war am Ende noch offen, ob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) von uns in dieser Sache angerufen wird, um das bundesdeutsche Streikverbot für europarechtswidrig erklären zu lassen. Wir haben dies Ende 2018 getan und hoffen auf eine Verhandlung und ein gutes Ergebnis vielleicht noch in 2022.

Kontakt
Gerd Rethmeier
Referent für Rechtsschutz
Adresse Bahnhofsplatz 22-28
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