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Nach der Wahl...

GEW Bremen zu den Koalitionsverhandlungen

Bremen hat gewählt – R²G verhandelt – bleibt noch genug (für welche) Bildung übrig?

Nachdem der Bremer Senat seine Pläne zur Wohnungsfrage in den Sand (oder besser: in die Galopprennbahn) gesetzt hat, sollte nun das Thema „Bildung“ jedenfalls mit Euphorie aus dem Notstand herausmanövriert werden: Was wird aus den maroden Gebäuden, aus der schlecht ausgestatteten Inklusion, aus dem Fachkräftemangel in den Kitas und an den Schulen? Die Bildung braucht dringend eine inhaltliche und verlässliche Grundierung, damit sich der Zustand nachhaltig bessern kann.

  • Erster Schritt: Verhandlungsergebnisse, die endlich ermöglichen, dass das Geld für Bau und Sanierung von Schulen und Kitas nicht aus dem Bildungshaushalt gequetscht wird.
  • Und zweitens ein insgesamt ambitionierter Koalitionsvertrag, dessen Überschrift lauten könnte: Mietpreisdeckel statt Bildungsdeckel. Dann kann sich auch ein Hauch von Hoffnung in dieser Stadt wieder ausbreiten...

Demokratie

Ein breites Bündnis hat in (Stadt) Bremen zwar verhindert, dass die AFD auch nur annähernd ihre Ziele erreicht hat; dennoch sitzt sie in Fraktionsstärke in der Bürgerschaft und in vielen Beiräten. In Bremerhaven haben sich die Rechten auf hohem Niveau stabilisiert. Erfreulich, dass der Fraktionschef der CDU, Thomas Röwekamp, öffentlich erklärt hat, „wir werden auch in Zukunft nicht versuchen, die AfD rechts zu überholen“ (WK, 17.6.2019). Nichtsdestotrotz steht aber der neue Senat vor der großen Herausforderung, in dieser Stadt und diesem Bundesland, Solidarität und Demokratiefähigkeit zu entwickeln, die Menschen mitzunehmen und ihnen bei ihren Sorgen, Nöten und Problemen an der Seite zu stehen. Der Hinweis „Wir sind Haushaltsnotlageland und können daher nicht…“ muss aus dem politischen Wortschatz verbannt sein. Er kann in den Ohren der Ausgegrenzten und der sich an der Demarkationslinie zur Ausgrenzung befindenden nur als blanker Zynismus klingen.

Die Zeit des Kürzens währt einfach schon zu lange!

Leider auch in diesem Kontext die Zeit des Schönredens: Die Menschen in dieser Stadt wollen nicht mehr nur hören, alles sei auf einem guten Weg, sie wollen „die Wende zum Guten“ endlich spüren – in den Kliniken, auf der Straße, in den Kitas und Schulen… Nur so können Menschen, die entgegen ihrer Haltung „rechts“ gewählt haben wieder zurückgewonnen werden für partizipative Prozesse, die diesen Namen auch verdienen (dabei geht es nicht um die Mitbestimmung bei Bürgersteigabsenkungen und Parkplatzmarkierungen…)

Solidarity City

Wenn Bremen sich zu einer „solidarischen Stadt“ entwickeln will/soll, müssen unter R²G grundlegende Veränderungen greifen – im Übrigen schon allein deshalb notwendig, wenn Linke bleiben und die SPD nicht gänzlich verschwinden will. Es muss wieder (mit öffentlichen Mitteln!) in öffentliche Daseinsvorsorge investiert werden – also in Gesundheit, Pflege, Bildung und Wohnen an erster Stelle. Und zwar für alle, die hier leben (wollen).

Bevor weiter darüber rumschwadroniert wird, wem welche Grundrechte zu entziehen sind, sollten wir bestehende Rechte erst einmal, manchmal auch kreativ, gestalten.

Dies gilt in der „Enteignungsfrage“ wie im Umgang mit der Schuldenbremse. Es sollten sich auch unter den Befürworter*innen der Nichtbebauung der Rennbahn einige finden, die der Auffassung sind, dass der Bau von Kitas und Schulen nicht aus dem laufenden Haushalt heraus zu finanzieren ist, sondern eine Bildungsbaugesellschaft hier nützlich sein kann und auch dafür, dass leer stehender Wohnraum in Gemeineigentum überführt werden sollte, damit er zu Wohnzwecken nutzbar gemacht werden kann… Nun denn, wir dürfen gespannt sein, was sich wer ihre Regierungsbeteiligung kosten lassen wird.

Bildungspolitik

Als Bildungsgewerkschaft misst die GEW einen Koalitionsvertrag in erster Linie an seinen bildungspolitischen Verabredungen, Maßnahmen und Visionen. Dabei geht es gleichermaßen um die Realisierung des Rechts auf inklusive (Aus-) Bildung wie zumutbarer Lern- und Arbeitsbedingungen in allen Bereichen.

Eigentlich nicht verhandelbare Grundbedingung ist die Absicherung von notwendigen Neu- und Erweiterungsbauten wie die Sanierung von Kitas und Schulen außerhalb des Bildungshaushaltes.

Ebenso selbstverständlich in einem R²G-Senat sollte sein, dass die Beschäftigten in öffentlichen Einrichtungen existenzsichernde Arbeitsverträge erhalten. Dies umfasst den wöchentlichen Stundenzuschnitt (u.a. Erzieher*innen in Kita und Schule) genauso wie die Entfristung von Arbeitsverträgen (v.a. im Hochschulbereich).

Fachkräftemangel

In Zeiten vom Fachkräftemangel entspinnen sich manchmal aberwitzige Debatten: So wird, auch behördlicherseits oder aus Reihen der Schulleitungen, die Auffassung vertreten, dass während einer Mangelsituation keine Entlastung passieren könne, da der Mangel dann ja größer würde. Als GEW sehen wir das „naturgemäß“ anders.

Eine „Entlastung jetzt!“ hat doppelte Signalwirkung:

Die sich bereits im Job befindenden spüren die Entlastung, steigern dadurch noch eher ihre Motivation und Bereitschaft; die potenziellen Neueinsteiger*innen und „Auszubildenden“ sehen ein Anwachsen der Attraktivität des Berufs und wählen ihn verstärkt an. Klassisches „Win-Win“ und wenn dann durch individualisierte Rückkehrbedingungen (insbesondere bei Eltern-Teil-Zeiten) ein höherer Stundenanteil realisiert werden würde, könnten viele Studierende mit hohem Engagement ihr Studium fortsetzen und beenden, anstatt Regelaufgaben in Schulen zu übernehmen (was sie in begrenztem und begleitetem Umfang gerne tun sollen!).

Arbeitsbedingungen

Entlastung für Lehrkräfte bedeutet in erster Linie Absenkung der Unterrichtsverpflichtung und für pädagogische Mitarbeiter*innen Neuaufteilung der Arbeitszeit, sprich: Keine wirksame Entlastung ohne Neuregelungen zur Arbeitszeit. Die GEW ist bislang noch in Gesprächen dazu, unter R²G müssen daraus Verhandlungen werden! Das formulierte Ziel (für Lehrkräfte) ist „zwei Stunden weniger“, mit rückwirkender Geltung ab jetzt. Verhandelt werden soll die „Rückerstattung“ über eine gesetzliche Regelung…

Tarif- und Besoldung

Die Notwendigkeit einer „amtsangemessenen Besoldung“ soll an dieser Stelle nicht besonders erwähnt werden; hier hat die GEW mit ihrer „A/E13-Kampagne“ einen großartigen Erfolg errungen (der sich durch ein noch höheres Maß an Neueintritten noch etwas geschmeidiger anfühlen würde): Mit zwei Zwischenschritten wird A13 für beamtete Lehrkräfte zum 1.8.2021 umgesetzt. Eine entsprechende Höhergruppierung für Tarifbeschäftigte wird auch umgesetzt werden – hier müssen wir noch sicherstellen, dass keinerlei Nachteile durch „E13“ entstehen.

Erzieher*innen

Auf der Agenda steht auch für Erzieher*innen an Schulen eine bessere Eingruppierung – hier hat auch die „S8b-Diskussion“ (Kita-Erzieher*innen in Stadtteilen mit hohem Sozialindex erhalten eine höhere Eingruppierung als in anderen Stadtteilen) für berechtigte „Begehrlichkeiten“ gesorgt. Seitens der GEW haben wir vorgeschlagen, mit dem Instrument des „vorgezogenem Stufenaufstieges“ für ein höheres Gehalt zu sorgen, dies ist auch außerhalb von Ländertarifverhandlungen möglich und sollte schon allein als Signal genutzt werden, um einen Exodus aus Schule in Kita zu verhindern.

Ansonsten laufen wir Gefahr, eine inklusive Ganztagsschule ganz ohne Fachkräfte aus der Jugendhilfe zu „gestalten“.

Und in dem Kontext „Inklusion“ sei hier zumindest erwähnt, dass die Tarifverhandlungen mit dem martinsclub auch aufgrund noch nicht finaler Zusagen aus der Bildungsbehörde ins Stocken geraten sind. Allerdings muss sich hier auch die Geschäftsführung des MC bewegen: Zur Absicherung einer tariflich angemessenen Bezahlung gehört auch eine „Fachkräfte- und Qualifizierungsvereinbarung“.

Schulsystem - Schulkonsens

Der Schulkonsens steht? Einiges daran haben wir kritisiert (insbesondere das Festhalten am „Qualitätsinstitut“ und dem Festzurren des Zwei-Säulen-Modells statt der Proklamierung einer ‚Schule für Alle‘), es gibt aber auch Versprechen in eine bessere Ausstattung und Finanzierung, orientiert an Hamburg und Berlin. Nur: Hier muss die jahrelange Unterfinanzierung mitberücksichtigt werden!

Solange wir keine auskömmliche, an den Bedarfen und Notwendigkeiten der Kinder und Jugendlichen orientierte Finanzierung im Bildungsbereich haben, können wir uns alle Testereien und Messereien schenken!

Insofern war auch die Durchsetzung der „Freiwilligkeit“ bei VERA 3 ein Erfolg der GEW, der dazu beigetragen hat, ein Demütigungsinstrument zu marginalisieren. Von der Freiwilligkeit in die Abschaffung dieser und anderer Tests (und auch manch sinnfreier Dokumentationen) – das könnte eine schöne Maßnahme im Koa-Vertrag sein – der Beifall der GEW wär‘ nahezu sicher!

Der Schulkonsens sollte weiter entwickelt werden zu einem Bildungskonsens:

Ein „Bildungsplan 0-10“, wie er in der letzten Legislatur auf den Weg gebracht wurde, stockt, mindestens in seiner Umsetzung, aber wahrscheinlich auch in seiner „Hegemoniefähigkeit“. Zu wenig Ressourcen wurden investiert, zu elfenbeintürmig war der Prozess, zu ausgeschlossen war die Aufnahme von grundlegenden Verbesserungen der Strukturen wie Gruppengröße oder Personalbemessung. Hier ist Luft nach oben, gerade für R²G. Wenn städteplanerisch nun schon nicht mehr mit einem „Rennbahnkonzept“ geglänzt werden kann, dann doch vielleicht durch ein Bildungsplankonzept, dass soziale Gerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit verbindet und dabei die Frage von Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zum integrierten und konstituierenden Bestandteil dieses Konzeptes macht. Und begleitet von einer Uni, die ihre Exzellenzberechtigung genau daraus zieht.

Wie weiter?

Nun ist noch vieles unerwähnt geblieben, ohne dass es im Kopf fehlen würde: Die Stärkung der Berufsschulen z.B., wie auch die Rolle der Jugendberufsagentur wären einige Absätze wert. Die Ausstattung des LIS und die Bedeutung berufsbegleitender Qualifikationen vor dem Hintergrund des Fachkräftebedarfs, Stärkung der Schulsozialarbeit und des Digitalpakts auch. Die Möglichkeiten eines „Gute-Kita-Gesetzes“ müssen noch ausgeleuchtet werden, damit das Geld nicht im System verschwindet, sondern die Qualität frühkindlicher Bildung im intendierten (?) Sinne steigt. Höhere Mittelzuweisungen in die Bereiche der Weiterbildung, um auch dort endlich verbindliche und angemessene Tariflöhne zahlen zu können…

Nun denn, der Autor dieser Zeilen ist nicht naiv und verweigert sich dennoch einer Visionenfeindlichkeit. R²G war lange eine Vision, ihre Realisierung muss auch die Realisierung von Visionen beinhalten, sonst läuft sie Gefahr, lediglich „alter Wein in neuen Schläuchen“ zu werden.

Dass zur „visionären Umsetzung“ nicht nur eine rotrotgrüne Regierung gehört, sondern auch und gerade eine motivierte Basis von „Bildungskämpfer*innen“ versteht sich von selbst.

In Zeiten von R²G muss diese Basis, wenn sie denn erfolgreich sein will, aber ggf. scharf und solidarisch in ihrer Kritik sein. Denn auch für uns, sehen wir die GEW mal als Teil der Basis, stellt eine linksgestützte Regierung eine neue Herausforderung dar. Ein bisschen wie die Opposition gegen sich selbst… Aber das schlösse ja alle Nicht-R²G-Wähler*innen aus den Reihen der GEW aus.

Wir sind gespannt. Auf Struktur-, Ressort- und Personalentscheidungen.
Nach den Ferien wissen wir mehr. 
Genießt die Ferien und sammelt Kraft – denn alles wird noch nicht gut sein, wenn ihr wieder da seid…

In diesem kämpferischen Sinne!

Christian Gloede | Landesvorstandssprecher der GEW Bremen