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Geht wählen!

„Geht wählen! Demokratie ist ein hohes Gut und wer von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch macht, zollt dieser Errungenschaft keinen Respekt mehr.“ So, oder so ähnlich, lauten die Aufrufe auch in Bremen zur demnächst anstehenden Bürgerschaftswahl. Und natürlich kann man sich einem solchen Aufruf uneingeschränkt und besten Gewissens anschließen. Der Appell aber läuft ins Leere, wenn man sich nicht ernsthaft mit der Frage beschäftigt, warum immer mehr Menschen sich entscheiden, nicht zur Wahl zu gehen. Zur Erinnerung: mehr als 30 Prozent haben sich bei der letzten Bundestagswahl zurückgezogen, bei der letzten Bürgerschaftswahl waren es mehr als 42 Prozent. Wären die Nichtwähler im Parlament vertreten – man müsste ihnen den größten Platz im Plenarsaal einräumen.

Dabei sind aus unserer Sicht zwei Tendenzen ausgesprochen besorgniserregend:

Was bleibt: die soziale Spaltung der Wahlberechtigten

Der Abstand zwischen den reichen und armen Quartieren in puncto Wahlbeteiligung nimmt seit den 70er Jahren sprunghaft zu. Bei der Bürgerschaftswahl im Jahr 2007 begaben sich in Gröpelingen noch knapp 46 Prozent der Wahlberechtigten an die Urne – in Schwachhausen waren es fast 90 Prozent. Dieser Abstand ist alarmierend – denn wer geht denn da nicht wählen? Die Wissenschaft formuliert nüchtern: Der Anteil der Nichtwähler steigt mit der Zunahme der Einkommensarmut. Im wirklichen Leben heißt das, dass unter den Geringverdienern, den Hartz-IV-Beziehern, den Aufstockern, den Altersarmen und den hoch armutsgefährdeten Alleinerziehenden die Lust versiegt, sich am Wahlprozess zu beteiligen. Dabei müsste doch hier die Hoffnung auf Veränderung am ausgeprägtesten sein. Der Zusammenhang von materieller Not und Wahlmüdigkeit hat Bremen einen unschönen Spitzenplatz beschert. Dieses Land führt sowohl bei der Armutsquote wie auch bei der Zahl der Nichtwähler den Tross der Bundesländer an. Und was, wenn sich im Übermaß die Interessen der Situierten Bevölkerungsgruppen durchsetzen? Welche Steuerpolitik bekommen wir dann? Welche Sozialgesetzgebung? Welche Arbeitsmarktpolitik?

Mit der zunehmenden Spaltung der Stadt schwindet das Interesse und das Verständnis fürs jeweils andere Ende der Fahnenstange: Eine gut situierte Bremerin / ein Bremer weiß doch schon heute kaum noch etwas über ein Leben in Kattenturm oder Tenever. Umgekehrt übrigens genauso. So schießen mangels echter Anschauung die Vorurteile ins Kraut und die Sarrazins dieser Republik können darauf ihr Süppchen kochen, während die Politik betroffen ist und sich weiterhin nicht um die kümmert, deren Schicksal immer weniger in den Parlamenten repräsentiert ist.

Mehr junge Leute an die Urne?

Übrigens kann und muss man die zunehmende soziale Spaltung auch zusammen sehen mit jugendlicher Wahlenthaltung. Die Wahlbeteiligung gerade junger Leute nimmt ebenfalls seit Jahren ab – und sie fällt stärker als die der älteren. Zwischen 1987 und 2007 sank die Wahlbeteiligung unter jungen Erwachsenen (18 bis 25) von 60,8 auf 43,1 Prozent. Wie gesagt: auch die übrige Wahlbeteiligung sank, aber nicht im selben Maße. Bremen versucht unter anderem gegenzusteuern mit dem neuen Wahlrecht, das nun auch 16-jährigen schon erlaubt, das Landesparlament mitzuwählen. Mehr Interesse für die Politik soll so auch schon bei jungen Leuten geweckt werden – und das ist auch bitter nötig. Bei der sogenannten Juniorwahl 2007 – dort wählten Bremer Schülerinnen und Schüler quasi zur Probe – stellte sich heraus, dass fast die Hälfte nur von einem (sehr) geringen Einfluss der Bürger auf die Politik ausgeht.

Dieser Trend zeigt sich selbstredend nicht nur in Bremen – er erfasste auch die Bundestagswahlen. Im Verhältnis entscheiden immer mehr Ältere über das politische Regiment – so der Schluss der Experten. Die Jugend müsse einen entsprechenden politischen Bedeutungsverlust hinnehmen, der das Interesse an der parlamentarischen Demokratie und an den Parteien noch mehr abflauen lässt. Zeit, gegenzusteuern. Aber auch hier genügt es nicht, die Jugend „als solche“ zur Wahl aufzurufen.

Die vor kurzem neu erschienene Shell Jugendstudie weist eindrucksvoll nach, dass Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien wenig optimistisch in die Zukunft blicken. Nicht einmal jeder zweite ist hier mit seinem Leben einverstanden, nicht einmal jeder zweite glaubt, dass sein Berufswunsch in Erfüllung geht. Und hier sind auch die künftigen Nicht-Wähler zu suchen. Soziale Herkunft und Teilhabechancen sind in der Bundesrepublik gekoppelt wie nirgends sonst. Eine der Folgen dieses Befunds ist die zunehmende Abkoppelung jugendlicher „Randgruppen“ aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben. Das verträgt sich weder mit unserer Demokratie, noch mit unserem Selbstbild als Bildungsrepublik oder Wissensgesellschaft. Das Wahlrecht mit 16 und zusätzliche Stimmen ändern hieran zunächst gar nichts. Allein eine soziale, an Beteiligung interessierte Stadtpolitik, kann die Grundlage für Verbesserungen sein.