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Für eine erfolgreiche Schulentwicklung müssen die Bedingungen stimmen

Als alles anfing … … und die ersten PISA Resultate vor fast 10 Jahren die Republik erschreckten, gerieten wohl gehütete Tabus ins Wanken. Eines davon war die Auseinandersetzung um Schulstrukturen. Belegt wurde: So notwendig die Entwicklung des Unterrichts für erhellende Lernergebnisse und so entscheidend die gute Ausstattung mit Personal und Sachmitteln für erfolgreiche Bildungsprozesse ist, so unbestritten liegt seit PISA 2000 die Erkenntnis vor, dass das selektive deutsche Schulsystem zu einer weltweit einzigartigen Abhängigkeit von sozialem Status und Bildungserfolg der Kinder führt. Wer das weiterhin will, braucht nur wenig zu ändern.

Stress am Tabellenende – die Reaktionen an der Behördenspitze



Als der UNO-Beauftragte Lemke noch Senator für Bildung war, richtete sich der Blick insbesondere auf die einzelnen Akteure, die für die Umsetzung von Bildung und Erziehung in Bremen und Bremerhaven zuständig sind. Anders als in seiner vorangegangenen Berufsphase forderte Lemke von den Beschäftigten mehr Leistung, ohne Gegenleistungen des Arbeitgebers überhaupt zu erwägen.
Je mehr Tabellen mit Bremen als „roter Laterne“ von der OECD veröffentlicht wurden, desto mehr Erlasse und Verordnungen sollten den Mängeln abhelfen. Sie brachten ein Mehr an Bürokratie (z.B. Leistungsbewertung in der Grundschule) und an Pflichten (Fortbildungs-, Kooperations-, Präsenzpflicht). Vor ihren Auswirkungen auf das Schulsystem und auf die Beteiligten (z.B. durch höhere Belastungen) verschloss man aber die Augen.


Der Blick aufs Ganze: Das neue Schulgesetz und die Einheit des Bundeslandes



Gemäß schulpolitisch richtiger Überzeugungen formuliert das novellierte Schulgesetz von 2009 den Auftrag bremischer Schulen, sich zu inklusiven Schulen zu entwickeln (§ 3 (4)). Der gleichzeitig zwischen SPD, CDU, Grünen und FDP in Bremen vereinbarte zehnjährige „Schulfrieden“ verdeutlicht die Halbherzigkeit, mit der der Inklusionsgedanke umgesetzt werden soll. Die Ausgestaltung der Sekundarstufe I in – mindestens – Oberschulen, Gymnasien und Werkschulen zeigt einen Widerspruch auf, der in das neue Schulgesetz eingewoben wurde: Inklusion in mehreren Säulen kann nicht gelingen!
In Bremerhaven wurde für geraume Zeit der Gedanke verbreitet, mit § 6 Schulverwaltungsgesetz dürfe die Kommune einen Ausgestaltungsspielraum nutzen, mit dem ein höheres Maß an Integration gewonnen werden könne. Unabhängig von einer juristisch endgültigen Bewertung hat sich die Große Koalition in Bremerhaven dem stadtbremischen System angeschlossen und mindestens bis zum Ende der Legislaturperiode die Parallelität von Oberschulen und Gymnasien abgesichert.

Die Position der GEW im Bündnis „Eine Schule für alle“

Als Gründungsmitglied des Bündnisses hat sich die GEW seit Beginn der Schulentwicklungsdiskussion eindeutig positioniert. In diesem Verbund gelang es, durch den Einwohnerantrag vom Mai 2009 die bildungspolitische Debatte zu Gunsten eines inklusiven Schulsystems zu stärken.
 
Ebenso konnten mit dem Kongress „Eine Schule für alle“ im November 2009 konkrete inhaltliche Schritte zur Umgestaltung der pädagogischen Arbeit ausgewiesen werden.
Insofern stützt die GEW ausdrücklich den Beschluss der Bremerhavener Schulleitungen, die das Einbeziehen aller Schulen der Sekundarstufe I in den Schulentwicklungsprozess einfordern.

Fragen an die Parteien

Um Klarheit über den zukünftigen bildungspolitischen Weg der Stadt zu gewinnen, bat das Bündnis die Parteien um Stellungnahmen zu relevanten Fragen der Schulentwicklung (vgl. Info 1/2010). Eine umfassende Dokumentation kann über die GEW-Geschäftsstelle abgerufen werden.


Einige Aussagen sind im Folgenden zusammengefasst:

  • die CDU sieht das Gymnasium als Wahlmöglichkeit für Jugendliche mit besonderer Lernbegabung an;
  • die FDP wünscht sich mehr Freiheit für die Auswahl unter verschiedenen Schulträgern und –konzepten;
  • die SPD erklärt als Ziel, eine Schule für alle mittelfristig als die Regelschule zu etablieren; sie fordert Unterrichtsverbesserungen für das Gymnasium;
  • Bündnis 90/ Die Grünen kritisieren die Sonderregelung für das Lloydgymnasium und regen einen „Entwicklungsplan Inklusion“ an, der durch eine „Beratungsstelle Inklusion“ fachlich begleitet wird;
  • die Linke sieht „Eine Schule für alle“ weiterhin als ihr Ziel an und fordert die Umwandlung des Lloydgymnasiums in eine Oberschule.


Diese Aussagen bilden die Bandbreite der Schulstrukturdebatte erneut ab. Die GEW fordert seit Verabschiedung des novellierten Schulgesetzes konkrete Schritte zur Realisierung des oben zitierten inklusiven Auftrages. Die Aussagen der Parteien bringen diese Klarheit nicht! Wir benötigen aber mehr als nur unverbindliche Willenserklärungen.

Aktuelle Einschätzung

Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Bremerhaven bestärkt die GEW ihre Position:
Die GEW gehört zu den uneingeschränkten Befürwortern der Inklusion und einer „Schule für alle“. Wir erklären ebenso deutlich, dass deren Realisierung nur gelingen kann, wenn dafür die notwendigen Rahmenbedingungen (Personalausstattung, Klassengrößen, Arbeitsentlastungen) geschaffen werden.

Dies bedeutet inhaltlich:

  • Die Schulentwicklungsplanung muss Leitgedanken in den Vordergrund stellen, die im Herbst 2009 explizit benannt waren: Es gibt keine Alternative zu „Einer Schule für alle“ und Schulentwicklung kostet Geld. Ebenso muss als Maßstab gelten, dass alle Schulen in den Veränderungsprozess einbezogen werden;
  • das Bremische Schulgesetz koppelt die Einrichtung von Oberschulen nicht an die Inklusion. Damit kann eine intensive Vorbereitung der Kollegien schulgesetzkonform stattfinden. Allerdings ist allen Beteiligten der jeweilige Stand der Umsetzung darzulegen.
  • Dazu müssen folgende Fragen geklärt sein: Wie viele „integrative“ Plätze werden für den entsprechenden Jahrgang vorgehalten? Nach welchen Kriterien wird ausgewählt, sollte das Interesse höher als die vorhandene Kapazität sein? Worin bestehen die ersten Schritte einer tatsächlichen Inklusion?

Die GEW hat in der Vergangenheit wiederholt davor gewarnt, eine nicht ausreichend vorbereitete Umgestaltung vorzunehmen. Für uns ist es weiterhin unabdingbar, die geplante Fortbildung in dem vorgesehenen Umfang und mit den zugesagten Freistellungen durchzuführen. Daraus folgt auch, dass die Zeitplanungen dem Stand der Vorbereitung ggf. angepasst werden müssen.
Die Umsetzung einer „inklusiven Schule“ ist durch die UNO gefordert. Die politischen Entscheidungsträger sind nun am Zuge, die Bedingungen für ein Gelingen zu schaffen.