Zum Inhalt springen

„Für ein gutes Bildungssystem muss man Geld investieren...“

Interview mit Rebecca Schwenzer und Kai Reimers (Fachgruppe Oberschule – Eine Schule für Alle)

Ihr habt als Fachgruppe Oberschule die Praxis-Evaluation der GEW "Wie weiter mit der Oberschule in Bremen" erstellt. Die Ergebnisse liegen jetzt als Broschüre in den Schulen vor. Kurz danach wurde auch der Bericht der von der Bürgerschaft einberufenen Expertengruppe präsentiert. In welchen Punkten seht ihr euch als Fachgruppe durch die Analyse der Expertengruppe bestätigt?

Rebecca: Sieht man sich die Zusammenfassungen und Empfehlungen der beiden Evaluationsberichte an, stellt man eine sehr hohe Übereinstimmung in den Einschätzungen bezüglich der Ausstattung der Schulen mit Personal und Material und bezüglich der räumlichen Anforderungen fest.

Kai: Ja, genau:  Auch der Expertenbericht bestätigt, dass wir Recht haben, wenn wir sagen, die Oberschulen sind unterausgestattet, unterfinanziert und seitens der Behörde auch untersteuert.

Rebecca; Auch die Forderung nach Herabsenkung der Unterrichtsstundenverpflichtung der Lehrkräfte zugunsten von Kooperation und Schulentwicklungsarbeit finden sich in beiden Berichten, ebenso wie der Hinweis auf die Notwendigkeit der Ausstattung der Schulen mit Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen.

Kai: Auch im Bezug auf die Inklusion decken sich beide Berichte in ihrer Forderung nach flächendeckender Doppelbesetzung in den Klassen und der Feststellung der Notwendigkeit von Kooperationszeiten, die im Stundenplan verankert werden müssen.

Wo seht ihr Lücken oder zieht ihr andere Schlüsse?

Rebecca: Im Unterschied zu unseren Forderungen findet sich in den Anregungen der Expertenkommission als erster Punkt die Befürwortung der Einrichtung eines Qualitätsinstituts nach Hamburger Vorbild. Eine solche Einrichtung lehnen auch wir nicht kategorisch ab. Wir bezweifeln aber, dass ein solches Institut wirksam die Leistungen Bremer Schüler*innen und Schulen verbessern kann, solange wir insgesamt so schlecht ausgestattet sind.

Kai: Ja, darum hat für uns eine bessere Ausstattung der Bremer Schulen mit Personal und Sachmitteln eine höhere Priorität als die Einführung eines Qualitätsinstituts.

Wie beurteilt ihr die Empfehlungen im Vergleich zu euren Forderungen?

Rebecca: Wenn man böse ist, kann man in der Rangfolge der Empfehlungen der Expertenkommission ein Entgegenkommen gegenüber dem Senat, der ja auch Auftraggeber der Studie war, sehen. Lässt man diese erste Empfehlung - Einrichtung eines Qualitätsinstituts - weg, decken sich unsere Forderungen auffallend mit den Empfehlungen der Expertenkommission.

Kai: Es bleibt zu wünschen, dass die Empfehlungen der Expertenkommission nicht von vorne nach hinten, also als abzuarbeitende Liste oder in ihrer Gewichtung abnehmend wahrgenommen wird. Das hieße nämlich, die aus unserer Sicht außerordentlich wichtigen Empfehlungen bezüglich der Inklusion hintanzustellen.

Was denkt Ihr, wie wird die Politik auf diese Empfehlungen reagieren?

Rebecca: Es steht zu befürchten, dass die Politik der Öffentlichkeit gegenüber Entschlossenheit demonstrieren will, indem sie suggeriert, mit einem solchen Qualitätsinstitut könnten die Unterrichtsqualität und das schlechte Abschneiden der Bremer Schüler und Schülerinnen in den Vergleichstest verbessert werden. Wir bezweifeln, dass diese Strategie ohne eine wirkliche verbesserte Ausstattung der Oberschulen tatsächlich erfolgreich ist.

Kai: Es ist halt so, dass hochwertige Bildung nur von qualifizierten Fachleuten unter guten Arbeitsbedingungen erreicht werden kann. Dann muss man dafür aber halt auch Geld in die Hand nehmen. In einem so reichen Land muss es möglich sein, viel mehr Geld in Bildung zu investieren. Das ist eben eine Frage der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums.

In Buten un Binnen wie auch im Weser Report wurde berichtet, die GEW wolle die Gymnasien abschaffen?

Rebecca: Nun, richtig ist, dass wir für Eine Schule für Alle eintreten. Wie übrigens auch die Mehrheit der Schulleitungen an Oberschulen ein gänzlich ungegliedertes Schulsystem in der SI befürworten, wenn man der offiziellen Evaluation glauben kann. Aber natürlich sind auch wir nicht naiv. Die bildungsnahen Elternhäuser in Bremen wollen das traditionelle Gymnasium unbedingt erhalten, was auch verständlich ist, denn die schwierige Ausgangslage vieler Oberschulen ist den Eltern natürlich nicht unbekannt.

Kai: Dementsprechend findet sich in Bremen bis auf die Linke auch keine Partei, die für „Eine Schule für Alle“ eintritt. Aber die Aufgabe einer Bildungsgewerkschaft ist es auch, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Und die ist: Es gibt eben keinen fairen Wettbewerb zwischen Gymnasien und Oberschulen um die Anwahlen durch die Eltern. Die Oberschulen tragen bei der inklusiven Beschulung die Hauptlast, bei der Integration der geflüchteten Kinder und Jugendlichen ebenfalls und auch im Bereich der Kinderarmut. Die Gymnasien dagegen geben alle bei ihnen gescheiterten Schüler auch noch an die Ober­schulen, so dass deren Klassen im Verlauf der SI immer voller werden, die der Gymnasien aber kleiner. Das Gymnasium ist also, wenn man ehrlich ist, eine exklusive und im Prinzip unsoziale Schulform. Mit jedem neuen Gymnasium werden die Oberschulen weiter geschwächt.

Rebecca: Also auch das Gymnasium müsste sein traditionelles elitäres Selbstverständnis hinterfragen und sich schrittweise zu einer heterogenen und inklusiven Schulform ent­wickeln. Das könnten aber nach derzeitiger Lage der Dinge nur die Kolleg*innen am Gymnasium selbst erstreiten. Und dabei werden sie auf erbitterten Widerstand der konservativen Teile der Lehrer- und Elternschaft treffen. Aber am Ende des Weges könnten dann irgendwann viele gut ausgestattete Schulen mit heterogener Schülerschaft und guter Bildung für Alle stehen.