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Schwerpunkt

„Fachkräfte nicht durch die Mangel drehen“

Bedingungen für Bildungsqualität aus Sicht des Personalrats Schulen

Um die Bildungsqualität in Bremen ist es schlecht bestellt. Diese Erkenntnis ist weder neu noch besonders originell. Im Personalrat Schulen sind wir aber jede Woche von neuem mit Facetten, aber auch Ursachen dieses Zustandes konfrontiert. Und dabei erschreckt der Blick in die Zukunft noch mehr als der aktuelle Zustand.

Mehr als Vergleichstests

Bei der Frage nach der Bildungsqualität muss zuerst geklärt werden, was man darunter verstehen möchte. Die Antworten der Akteure im Bildungswesen sind vielfältig. Die einen führen Vergleichsstudien wie PISA ins Feld, andere streiten sich, ob sich gute Bildung anhand von Wissen oder Kompetenzen manifestiert. Ich möchte mich darauf beschränken, die im Bremischen Schulgesetz verankerten Bildungs- und Erziehungsziele zum Maßstab zu nehmen. Demnach sollen die Schüler:innen sinngemäß zu mündigen, kritischen, respektvollen und solidarischen Bürger:innen erzogen werden. Gleichzeitig sollen ihnen „Basiskompetenzen und Orientierungswissen sowie Problemlösefähigkeiten“ vermittelt werden, welche sie „zu überlegtem persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Handeln zu befähigen“.

Zeit für Bildung

Im Berufsalltag kommen die Schulbeschäftigten oft an ihre Grenzen, denn um diesen Auftrag zu erfüllen, braucht es Zeit – Zeit, um sich im Unterricht kritisch mit Informationen zu beschäftigen; Zeit, um sich jeder Schüler:in im notwendigen Maß zuzuwenden; Zeit, um auf die Lebenssituationen der Schüler:innen angemessen eingehen zu können; Zeit, um Lernprozesse vorzubereiten, zu begleiten und zu bewerten; Zeit, um die Arbeit mit den Kolleg:innen abzusprechen; Zeit, um auf aktuelle Entwicklungen eingehen zu können; Zeit, sich fortzubilden; Zeit, um das eigene Handeln zu reflektieren; Zeit, um mit den Schüler:innen und ihren Erziehungsberechtigten in Austausch zu treten usw.

Kritisches Denken statt Pauken

Aber auch die Zeit der Schüler:innen ist begrenzt. Die Liste der Bildungsinhalte hat mit den digitalen Themen zuletzt wieder erheblichen Zuwachs bekommen. Die zum Teil übervollen Klassen haben zur Konsequenz, dass viele Inhalte im Selbststudium erlernt werden müssen – nicht nur in Pandemiezeiten. Kein Wunder, dass dies häufig zu Überforderung und damit auch zu geringerer Bildungsqualität führt. Die mangelnde Zeit hat auch zur Folge, dass der Fokus zunehmend auf Basiskompetenzen und Orientierungswissen verbleibt, sozusagen als Minimalziel von Bildungsqualität. Die Folge: sinnentleertes Pauken. Gut, wenn nebenher noch Problemlösefähigkeiten gestärkt werden können. Ganz hintenan: das kritische Denken.

Ursache Fachkräftemangel

Warum haben Schüler:innen und Beschäftigte diese Zeit nicht? Die Gründe sind vielfältig und bekannt: zu große Lerngruppen, zu viele Unterrichts- bzw. Betreuungsstunden, Überladung mit Aufgaben fernab des Kernauftrags. Grundsätzlich gelöst werden könnte dies nur durch mehr Personal. Da ist er wieder, der berühmte Fachkräftemangel. Klar, das Problem lässt sich nicht kurzfristig lösen. Aber seien wir ehrlich: Vor zehn Jahren war die Situation ähnlich, wenn auch nicht so krass wie heute. Hätte man damals andere Weichenstellungen vorgenommen, wären wir vielleicht jetzt in einer besseren Situation. Erst auf Druck des PR-Schulen wurden die Referandar:innenstellen 2016 erhöht. Viel zu spät. Die Aufstockungen wurden durch steigende Schüler:innenzahlen „aufgefressen“.
 

Der Blick voraus schmerzt

Der Fachkräftemangel wird immer krasser: Zuletzt wurde die Unterversorgung bei den Lehrkräften seitens der SKB mit 96 Vollzeit-Äquivalenten (VZE) angegeben. Wir brauchen aber viel mehr Lehrkräfte, um den Mangel auszugleichen: Zunächst einmal 170 VZE, um den Einsatz von Studierenden unnötig zu machen (s. a. Beitrag „Der Fachkräftemangel zum Schuljahresanfang“). Doch dabei ist noch nicht eingerechnet, dass viele Aufgaben in Schule noch mit Personal unterschiedlicher Professionen bestückt werden müssen, um sie ausreichend ausfüllen zu können: Inklusion, Ganztag, Doppelbesetzungen, Reduktion von Deputat und Klassenfrequenzen, Arbeit in multiprofessionellen Teams, Auflösung der Förderzentren…

Ursache Unterqualifizierung

Der Mehrbedarf an Fachkräften ist also enorm. Umso mehr verwundert es, dass die Behörde mit dem PR vorrangig immer die Öffnung des Schuldienstes für Personen mit Qualifikationen unterhalb der Standards besprechen möchte. Die Kurzsichtigkeit solcher Maßnahmen erstaunt. Denn unterqualifizierte Beschäftigte beheben den Mangel oft nur auf dem Papier. In der Realität bescheren sie den ausgebildeten Kolleg:innen Mehrarbeit, da diese mit Rat und Tat aushelfen müssen. Aber sie sind nicht die einzigen Leidtragenden. Man ahnt es: die Bildungsqualität wird ebenfalls beeinträchtigt. Standardargument der Senatorin: Besser irgendein Unterricht als keiner. Dazu stellte die Studie „Was brauchen Schulen in herausfordernden Lagen?“ der Friedrich-Ebert-Stiftung fest, dass Schulen häufig Personal erhalten, welches nicht den Anforderungen entspricht.

Wege aus dem Mangel

Was würde wirklich helfen? Erstens: Damit wir nicht in zehn Jahren immer noch die gleichen Probleme haben, muss die Ausbildung massiv intensiviert werden. Dies ist eine Aufgabe von Universität, LIS und Schulen gleichermaßen. Zweitens: Den Wettbewerb um qualifiziertes Personal annehmen, indem die Arbeitsbedingungen an Schulen verbessert werden. Fachkräftemangel bekämpfen statt Fachkräfte durch die Mangel drehen! Das bedeutet: Runter mit dem Deputat bzw. der Betreuungszeit! Da dies den Fachkräftemangel kurzfristig verschärft, braucht es im Übergang Arbeitszeitkonten. Die Konzepte dazu liegen auf dem Tisch. Sie müssen jetzt schnell angegangen werden.

Jede Entlastung zählt

Aber auch das kleine Rad zu drehen lohnt sich, denn jede Entlastung kommt direkt der Arbeit mit den Schüler:innen zugute. Verhandlungen über neue qualifizierende Seiteneinstiege zählen für den PR deswegen ebenso dazu wie Vereinbarungen zur Einstellung von Lehrkräften mit ausländischer Ausbildung. Hier haben die Vertretungsgremien kürzlich eine wichtige Dienstvereinbarung mit der SKB abschließen können. Weitere Vorschläge des PR betreffen die Abschaffung überflüssiger Aufgaben wie z. B. die übermäßige Fortbildungsverpflichtung und deren Dokumentation.

Das IQHB – Dienstleister oder Hemmschuh?

Apropos Bildungsqualität – war da nicht noch etwas? Ach ja, wir haben ja jetzt ein Bremer Institut für Bildungsqualität (IQHB)! Brauchen wir das? Welche Rolle könnte es spielen, zumindest sobald es vollständig besetzt ist, insbesondere an der Spitze? Helfen würde, was die Beschäftigten entlastet. Also keine Arbeit durch neue Vergleichstests, sondern mehr Unterstützung, indem Dienstleistungen wie Lernstandserhebungen und Analysen zu individuellen Fördermaßnahmen bereitgestellt werden. So könnte das IQHB ein kleiner Baustein zu mehr Qualität werden. Den Lehrkräften neue Arbeit aufbürden hieße aber: weniger Zeit, schlechtere Bildungsqualität. Dafür brauchen wir das IQHB nicht!