Religionskritik
Exkursion in die Hölle
Mit dem ewigen Höllenfeuer, verbrennendem Fleisch und splitternden Knochen sind Generationen von Kindern unter Anleitung durch Bibel und Koran traumatisiert worden. Authentisch ist an der Figur des Teufels nichts, sie ist das Produkt eines jahrhundertelangen Synkretismus. Grund genug, sie mithilfe der historisch-kritischen Methode im Unterricht zu dekonstruieren.
Religiöse Traumatisierung
„Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alles, was zum Abfall verführt, und die da Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein.“ So steht es geschrieben im Evangelium des Matthäus (13,42). Kindern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit müssen solche Schilderungen Alpträume verursacht haben. Und das galt nicht nur für den Zuständigkeitsbereich des Papstes. Im Koran heißt es: „Diejenigen, die nicht an Unsere Zeichen glauben, die werden Wir im Feuer brennen lassen: Sooft ihre Haut verbrannt ist, geben Wir ihnen eine andere Haut, damit sie die Strafe kosten. Wahrlich, Allah ist Allmächtig, Allweise.“ (4:56) Was die sadistische Ausmalung sinnloser Strafen angeht – denn eine mit Reue verbundene Läuterung ist hier gar nicht vorgesehen – so offenbart sich dem unvoreingenommenen Blick eine frappierende Ähnlichkeit klassischer christlicher und muslimischer Überlieferungen.
Im Licht der Vernunft
Seit der Aufklärung sind solche Passagen zunehmend in Verruf geraten. Sie waren weder mit dem Postulat eines liebenden noch mit dem eines vernünftigen Gottes vermittelbar. Letzterer würde Strafe ja allenfalls als Mittel zur Besserung anwenden, also nicht in aeternam. Ewig andauernd wäre sie gleichbedeutend mit Folter. Ein skeptischer Geist wie David Hume wandte sich der tröstlichen Vorstellung zu, dass mit dem Glauben ans ewige Leben auch die Angst vor dem Teufel ad acta gelegt werde. Wem solche Nüchternheit zu weit ging, der mochte nach einer theologischen Rationalisierung suchen, mit der man die eigenen Dogmen in die Moderne hinüberretten konnte: Recht eigentlich, hieß es dann, seien die Feueröfen des Menschensohns nichts anderes als Metaphern für jene Gewissensqualen, die ein Mensch nach sündiger Tat eben durchzustehen hat. So mutierte die Hölle zum innerpsychischen Geschehen, einer Art von Katharsis. Den mutmaßlichen Endpunkt dieses Säkularisierungsprozesses liefert der deutsche Schlager. Im Musikvideo zu „Wahnsinn“ von 1983 tänzelt Wolfgang Petry leicht unbeholfen durch etwas, was wie ein Stahlwalzwerk aussieht. Als Hölle galt ihm gemäß dem Liedtext die Trennung von seiner letztmaligen Freundin. Im Hintergrund hantieren Arbeiter im Blaumann missmutig an Hochöfen. „Tod, wo ist dein Stachel?“, möchte man angesichts solcher Bilder ausrufen. Die Hölle schien ebenso im Niedergang begriffen wie die deutsche Stahlindustrie. Sie starb den Tod durch Verniedlichung.
Die Wiederkehr des überwunden Geglaubten
Je mehr Risse die globale linksliberale Blase durch den seit Jahren fortschreitenden Rechtsruck bekommt, desto klarer wird, dass auch die Dämonen einer unreflektierten Religiosität niemals wirklich besiegt waren. In dunklen Ecken des amerikanischen Bible Belt und anderswo konnten sie überwintern, sind als evangelikale Bewegung rechtskonservativ politisiert worden und haben mit Trump nun ihren vorläufigen Siegeszug angetreten. Auf dem Forum der sozialen Medien tummeln sich zahlreiche Influencer, die ein literalistisches Verständnis der Bibel propagieren. Säkular Gesinnte wie der Bibelwissenschaftler Dan McClellan halten dagegen und pflanzen tapfer die historisch-kritische Fahne auf. Anlässe gehen ihnen nicht aus. Spiegelbildlich die Entwicklung in der islamischen Welt, wo seit Jahrzehnten salafistische Propaganda, finanziert durch türkisches Staatsgeld oder saudische Petrodollars, in die europäische Diaspora hineinwuchert. Beiden Lagern gilt das Reich des Teufels als handfeste Realität. Was dürfte der gemeine Märtyrer denn noch hoffen, wenn auf ihn im Paradies nicht siebzig Jungfrauen und auf die Ungläubigen nicht das Feuer warten würde? Wie weit solche Ideen bereits ins Bewusstsein der jungen in Europa lebenden Generation eingesickert sind, zeigt sich an einem zunehmenden, auch in Klassenzimmern spürbaren religiösen Abgrenzungsbedürfnis.
Theologische Folklore
Würden Menschen auf der Straße befragt, wer Adam und Eva zum Konsum der verbotenen Frucht animiert habe, so hätten nicht wenige in ihrer Antwort vermutlich den Teufel parat. Konsultiert man allerdings den hebräischen Originaltext der Schöpfungsgeschichte, handelt es sich bei der Schlange um nichts anderes als – eine Schlange. Ihre Gleichsetzung mit Satan ist ein Akt rückwirkender theologischer Umdeutung, vorgenommen erst Jahrhunderte nach der Abfassung der Genesis-Bücher. Was den Motivbereich des Teuflischen anbelangt, ist unser Alltagsbewusstsein von einem Sammelsurium an historisch disparaten Bildern erfüllt, die erst im Laufe von Jahrtausenden durch kirchliche Autorität zu einem theologischen System verschmolzen wurden. Er ähnelt hierin den Weihnachtskrippen. Deren übliches Inventar ist unterschiedlichen und widersprechenden Quellen entnommen. Die heiligen drei Könige sind im griechischen Original Magier und kommen auch nur in einem der Evangelien vor, bei Matthäus. Ochse und Esel entstammen einem apokryphen Text, wo sie übrigens vermeintlich heidnische Stumpfheit und jüdischen Starrsinn symbolisieren, also Gruppen diffamieren, die sich nicht sofort in die Arme der neuen Offenbarung geworfen haben. Der Stall ist eigentlich ein Übersetzungsfehler, Haustiere wurden gemäß dem in Judäa gängigen Gebäudetyp im Erdgeschoss gehalten, nicht in einem separaten Raum. Gleiches gilt für die Insignien des Teufels, seine Hörner oder den Klumpfuß. Deren Ursprünge liegen weder in der Bibel noch im Koran, vielmehr in literarischen Werken wie Miltons „Paradise Lost“ von 1667. Sofern wir alle popkulturellen Requisiten gedanklich abstreifen, bleibt die abstrakte Idee übrig, das Böse sei personifiziert in einem Gegenspieler Gottes und lokalisiert an einem Ort, wo Verstorbene ewiger oder vorübergehender Strafe ausgesetzt sind. Aufgekommen ist auch sie erst relativ spät, etwa ab dem zweiten Jahrhundert vor Christus. Und es mussten noch viele Jahre vergehen, bis sie kraft des Machtwortes von Konzilen zum strafbewehrten Lehrgebäude ausgebaut wurde. In den frühen biblischen Schriften findet sich davon nichts.
Die Geschichte des Höllenfeuers
Zieht man die unbestechlichsten Quellen heran, nämlich materielle Hinterlassenschaften, aufgearbeitet in geduldiger archäologischer Kleinarbeit, so gab es im Entstehungsgebiet der abrahamitischen Religionen, dem alten Israel, ab dem 9. Jahrhundert vor Chr. eine vage Vorstellung vom Nachleben der Gestorbenen. Grabbeigaben zeugen davon ebenso wie die beliebte Kunst der Nekromantie, eine Variante der Wahrsagerei, die Lebenden zum Kontakt mit Toten verhelfen und deren überlegenes Wissen zugänglich machen sollte. Doch war dieses Überdauern anfangs noch keineswegs mit der Hoffnung auf Belohnung oder Bestrafung durch eine göttliche Instanz verbunden. Ausgleichende Gerechtigkeit erhoffte man sich von Jahwe zu Lebzeiten, wofür eine gewissenhafte Einhaltung der Opferpraktiken und aller anderen Gesetze nötig war. Das hebräische Wort Scheol bezeichnete eine „Unterwelt“, in der die Vorfahren lediglich ein schattenhaftes Dasein fristeten, dem griechischen Hades vergleichbar. Ab dem zweiten Jahrhundert vor Chr. ist im Judentum ein Umschwung zu beobachten. Den größten Teil ihrer Geschichte waren die jüdischen Staatswesen von auswärtigen Mächten okkupiert worden. Höhepunkt dieser demütigenden Erfahrung war die regelmäßige Schändung oder gar Vernichtung des Tempels in Jerusalem. Das Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit war dadurch über Gebühr strapaziert. Zwar erging man sich unter prophetischer Inspiration in Selbstvorwürfen: Jahwe hatte die Feinde gewähren lassen, da seine Gesetze nicht genügend eingehalten wurden. Gleichwohl war es schwer zu verdauen, wie das Böse so triumphieren konnte. Beschwichtigung fand man in der Hoffnung, mit dem vergangenen Übel werde in der Zukunft abgerechnet, beim jüngsten Tag, wo nur die Guten zum ewigen Leben erweckt, die Bösen jedoch zum Tode verdammt werden. Hier könnten Einflüsse aus dem persischen Zoroastrismus wirksam geworden sein. Andererseits, wollte man die Frevler so leicht davonkommen lassen? Musste nicht weitere schmerzhafte Rache an ihnen geübt werden? An die Stelle des diffusen Scheol tritt in hebräischer Terminologie nun „Gehenna“, jener Ort, der später als Hölle übersetzt werden wird. Etymologisch leitet er sich von einem Gebirge im heutigen Israel ab, wo die sagenhaften jüdischen Könige aus grauer Vorzeit ihre Kinder in Brandopfern Gott dargebracht haben. Darin könnte das Bild des Höllenfeuers seinen Ursprung haben.
Die Karriere des Teufels
In der hebräischen Bibel ist ein „Satan“ eine zum Hofstaat Gottes gehörige Figur, die als Ankläger oder Gegenspieler fungiert, was der Semantik des Wortes entspricht. Es handelt sich, salopp gesprochen, um eine Funktionsbezeichnung. Im Buch Hiob tritt ein solcher auf und überredet Gott, die Treue seines gleichnamigen Knechtes auf die Probe zu stellen. Mit Reichtum und familiärem Wohlstand gesegnet, erfüllt Hiob seine religiösen Pflichten vorbildlich. Vielleicht, so argwöhnt der zuständige Satan, tut er das eben nur, weil Gott ihn so reich beschenkt hat. Ein drastisches Experiment soll die Wahrheit ans Licht bringen. Hiob muss als erwählte Versuchsperson nun Schreckliches erleiden, verliert Kinder und Reichtum, auf dass er Glaubensstärke beweise. Nach einigem Hadern und klärenden göttlichen Drohgebärden bleibt er bei der Stange. Neue Kinder sowie neuer Reichtum winken. Treue in schwerer Zeit wird am Ende doch erhört. In gewisser Weise markiert die Geschichte bereits den Übergang zum Konzept eines „zweiten“ Lebens nach dem ersten, wo über die Standhaftigkeit im ersten Leben befunden wird. Satan ist jedoch noch ganz Staatsanwalt und Folterknecht in göttlicher Mission.
Teufel als Gegenpol
Das frühe Christentum ist vom hellenistischen Milieu des Nahen Ostens geprägt. Alexanders Feldzüge hatten sich als Transmissionsriemen für die Verbreitung griechischer Philosophie erwiesen. In ihrem Einflussbereich popularisierte sich platonisches Gedankengut, demzufolge Gott als vollkommenes Wesen gedacht werden musste. Gefühle wie Hass oder Wut bei Göttern befeuerten in antikem Verständnis den Verdacht des Anthropomorphismus, d.h. einer vermenschlichenden Sicht auf die göttlichen Attribute. In solcher griechischen Bildungstradition wuchsen auch Mitglieder der jüdischen Oberschicht wie Philo von Alexandria oder der spätere christliche Theoretiker Paulus auf, was sich in ihren jeweiligen Lehren niederschlug. Das Böse hatte von nun an als etwas Gott Fremdes angesehen zu werden. Dementsprechend musste dessen Verkörperung aus ihrem Dienstverhältnis zum Allerhöchsten herausgelöst werden. Erst jetzt wird aus „Satan“ ein Eigenname für die Personifikation des Bösen, und die Geschichte vom abgefallenen Engel, der gegen seinen Schöpfer rebelliert und zum Anführer der Armee der Finsternis aufsteigt, liefert den heilgeschichtlichen Hintergrund dafür. In der Offenbarung des Johannes tobt dann der Endkampf. Irgendwann wird Satan in die Hölle verbannt. Als im sechsten Jahrhundert der Koran entsteht, kann er bereits auf dieses entwickelte Szenario zurückgreifen. Dort ist es von vornherein der „Scheitan“, der bei der Vertreibung aus dem Paradies den Part des Verführers übernimmt. Er hat die Schlange gewissermaßen historisch überschrieben.
Das Böse und der Monotheismus
Die Widersprüchlichkeit der Teufelsfigur liegt in ihren beiden Polen: Sie ist Knecht und Feind Gottes zugleich. Jenes Dilemma entspringt dem wohlbekannten Problem der Theodizee, das sich eine Religionsgemeinschaft einhandelt, sobald sie den Schritt zum Monotheismus vollzieht. Im strengen Sinn muss ihr einzigartiger Gott die ganze Welt aus dem Nichts geschaffen haben. Wäre da beispielsweise eine präexistente Materie, die er nur zu ordnen hat – wie in griechischen oder assyrischen Schöpfungsmythen – dann mangelte es ihm an Omnipotenz. Hat er freilich alles erschaffen, dann ebenso das Böse, obgleich er doch Inbegriff der Gerechtigkeit ist. Beauftragt er nun seinen Satan, die Menschen zu verführen, ist er nicht allgütig. Betreibt letzterer sein teuflisches Geschäft auf eigene Rechnung, ist wiederum Gottes Allmacht angekratzt: Schließlich könnte er dem Teufel ja wohl in die Parade fahren, tut es aber nicht. Ist die Hölle das Gefängnis für den Teufel oder der Platz, an dem er sich selbst verwirklichen, nämlich seine Lust an Grausamkeit im Dienste des Allerhöchsten ausleben kann? Beides trifft zu. Die Lösung, auf welche sich der Mainstream christlicher und muslimischer Traditionen fixiert hat, ist das Postulat einer Freiheit zum Bösen, welche dem Menschen gegeben sei. Damit verlegt sich der Widerspruch in die Menschennatur, deren Verführbarkeit – unter Voraussetzung der Omnipotenz – ja ebenfalls aus dem Willen ihres Schöpfers entsprungen sein muss. Wie immer man es dreht und wendet, die alte Hassliebe zwischen Gott und Satan ist logisch schwer aufzulösen. Eine Moral von der Geschichte und damit würdiges Bildungsziel könnte es sein, die knappe Lebenszeit nicht mehr mit der Furcht vor satanischen Mächten zu verschwenden.