Er tanzt auf vielen Hochzeiten: Aktiv in der GEW und für diese im PR Schulen tätig, ist er außerdem noch Lehrer sowie einer der Macher des preisgekrönten Kinder-Wissenspodcasts „Schlaulicht“. Er wirkt bei einer einer Vereinigung mit, die an der Entlarvung pseudowissenschaftlicher Ideologien arbeitet. Seit Jahren setzt er sich kritisch mit der Lehre Rudolf Steiners sowie mit den darauf aufbauenden Waldorfschulen auseinander. Jüngste Frucht dieser Anstrengungen ist ein Buch zum Thema. Darüber hat die blz mit ihm gesprochen.
blz: Wie bist du eigentlich zu diesem Thema gekommen?
Durch Zufall stieß ich vor Jahren als junger Lehrer auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung, in dem von der Anthroposophie berichtet wurde. Ich war ziemlich überrascht, dort von Engeln, Geistern, Dämonen und anderem kruden Zeug zu lesen. Bis dahin hatte ich die Waldorfschulen eher im Bereich links-grüner „Kuschelpädagogik“ verortet. Daraufhin habe ich innerhalb der GWUP (Gesellschaft für die wissenschaftliche Untersuchung der Parawissenschaften) vorgeschlagen, jemand möge doch etwas dazu publizieren – na ja, das blieb am Ende an mir hängen, mein erster Aufsatz dazu entstand, 'Versteinerte Pädagogik', heute noch im Netz zu finden.
blz: Spielen Steiners Gedanken denn im Alltag der Waldorfschulen überhaupt noch eine Rolle?
Die Rolle der Anthroposophie ist größer, als man von außen denken würde. Sie bildet als Menschenbild das Fundament der dort ausgeübten Pädagogik, ist daher auch gar nicht wegzudenken. Zentrale Gedanken sind die einer 'kosmischen' Evolutionsgeschichte, man glaubt an Wiedergeburt, Karma und Schicksal, selbst Klassen werden als Schicksalsgemeinschaften verstanden, die acht Jahre lang zusammengehalten werden müssen. All das liegt wie eine Folie über dem Unterricht. Auch wenn es für Unbeteiligte nicht immer sichtbar ist, empirirsche Untersuchungen belegen, dass die große Mehrheit der Lehrkräfte in Waldorfschulen diese Vorstellungen im Kopf hat.
blz: Dennoch gibt es ja gelegentlich Berichte von Ehemaligen, die im Unterricht niemals mit solchen Ideen in Berührung gekommen sind. Im Einzelfall kann es also durchaus Lehrkräfte geben, die damit nichts am Hut haben?
Ja, hinzu kommt, dass es schon von Steiner die Direktive gibt, sich mit offen anthroposophischen Äußerungen zurück zu halten. Ich habe das selbst erlebt, wenn ich an Informationsabenden teilgenommen habe. Wer Konzepte wie die Charaktertypen oder den Glauben an 'siebenjährige' Entwicklungszyklen bei Kindern kennt, findet sie in verklausulierten Formulierungen wieder. Fragt man selbst genauer nach – wie ich es gemacht habe – wird man auf Einzelgespräche verwiesen, findet sich auch schnell als Störenfried wieder.
blz: Also eine Art von taktischer Umgang mit Interessierten?
Man muss bedenken, dass die Lehre Steiners stark elitäre Aspekte besitzt: Wer an ihr teilhat, gehört zu einer Elite und hat Wissen, das uns Normalsterblichen fehlt. Ein Anhänger der Lehre muss also gar nicht mit bewusster Vertuschungsabsicht vorgehen, eher soll die Lehre, die das ungeschulte Gegenüber noch gar nicht verstehen kann, adressatengerecht verpackt werden. Das mag sogar „gut gemeint“ sein. Im Effekt ist es trotzdem eine Art „Versteckspiel“ und führt dazu, dass viele Eltern sich solcher Hintergründe gar nicht bewusst sind. Mein Anliegen ist es, darüber aufzuklären. Natürlich können Eltern ihre Kinder auf die Waldorfschule schicken, sie sollten sich nur bewusst sein, womit sie es dort zu tun haben.
blz: Du sprichst in deinem Buch von irrationalen Aspekten der Lehre Steiners. Kannst du diesen Punkt etwas erläutern.
Das ist im Menschenbild angelegt und äußert sich etwa in der Lehre von den „Jahrsiebten“. Das Neugeborene unterliegt in Steiners Augen einer vorgezeichneten Entwicklung: Alle sieben Jahre wird eine neue „Körperhülle“ geboren, wonach der Unterricht sich zu richten hat. Im zweiten „Jahrsiebt“, also vom siebten bis vierzehnten Lebensjahr, spielt kritisches Denken keine wirkliche Rolle. Naturwissenschaftlicher Unterricht soll eher Erlebnischarakter haben. Man darf ein Phänomen kennenlernen, es vielleicht auch bestaunen und bewundern, aber nicht wirklich verstehen.
blz: Was Du an der Padagogik demonstrierst, steckt das nicht auch in der Anthroposophie selbst?
Für die Anthroposophie liegt das Ziel der Menschheit in einer Art Vergeistigung. Materialismus wird als etwas Böses angesehen, etwas „Ahrimanisches“ - „Ahriman“ ist im anthroposophischen Duktus ein Dämon. Die mit Sinnen erfahrbare Welt ist nur Schein, den Naturwissenschaften steht man daher mit systematischem Zweifel gegenüber.
blz: Die Diskussion zum Rassismus Steiners füllt Bände. Eigentlich wird niemand dies heutzutage noch bestreiten, oder doch?
Steiner war, da beißt die Maus keinen Faden ab, ein glasklarer Rassist. Innerhalb der anthroposophischen Bewegung wird dies jedoch immer noch heruntergespielt oder geleugnet. In der bekannten „Stuttgarter Erklärung“ der Waldorfschulen etwa ist von Stellen im Werk die Rede, die man „rassistisch verstehen“ könnte, nicht ausgeschrieben steht im Subtext, dass dies jedoch ein falscher Eindruck ist. Andere Stimmen aus dem Spektrum gestehen den Rassismus Steiners zu, verstehen ihn jedoch als „zeittypisch“. Und das mag ja auch stimmen, es wird nur etwas lächerlich: Während man sonst Steiner die hellsichtige „Schauung“ ewiger Wahrheiten zuschreibt, redet man sich an dieser Stelle auf Zeittypisches heraus. Sicherlich nehmen die einschlägigen Passagen keinen sehr großen Raum im Werk ein, sie sind aber zentral für das Menschenbild. In der Entwicklung des Menschen gebe es aufstrebende und untergehende „Rassen“, es ist die Rede vom „Neger“, dem es „im Hinterhirn kocht“. Aus einem solchen Weltbild Antirassismus abzuleiten, wie es die „Stuttgarter Erklärung“ tut, ist widersinnig.
blz: Du gehst in deinem Buch auch auf die Fälle ein, wo rechtsradikale Lehrer an Waldorfschulen gearbeitet haben. So hat etwa ein Herr Molau, inzwischen ausgestiegenes NPD-Mitglied, acht Jahre Politik und Geschichte unterrichtet, angeblich ohne dass es aufgefallen wäre.
Ein anderer Fall war der eines Geschäftsführers, privat im Reichsbürgermilieu zuhause, der in der Schule Flyer ausgelegt hat, was jedoch ebenfalls niemandem aufgefallen sein will. Ja, diese Fälle sind der Anlass, warum sich die anthroposophische Bewegung so vehement vom Rassismus abgrenzt und man eilig erklärt, es handle sich um Einzelfälle, die mit Waldorfpädagogik nichts zu tun hätten. Ich denke eben, es gibt sehr wohl Anknüpfungspunkte. Das ganze Gebäude der Anthroposophie ist nach links wie auch nach rechts anschlussfähig. Eine These meines Buches ist, dass das Bindeglied im verschwörungstheoretischen Denken liegt. Schon bei Steiner ist die Wirklichkeit bloßer Schauplatz von dahinterliegenden geistigen Mächten, es gibt eine „Hinterwelt“, in die dann Verschiedenes hineininterpretiert werden kann. Interessant auch: Die Stars der verschwörungstheoretischen Szene in Deutschland, Daniele Ganser und Ken Jebsen, wurden mehrfach in Waldorfschulen eingeladen und waren auch selbst Waldorfschüler.
blz: Wie steht es mit Antisemitismus, spielt er eine ernsthafte Rolle im anthroposophischen Denken?
Ich würde sagen: Ja. In Steiners Rassenlehre haben auch „die Juden“ ihren Platz. Die Legende vom ewigen Juden ist Teil seiner kosmischen Evolutions- und Reinkarnationsgeschichte. Und dies dann noch in Verknüpfung mit dem Schicksalsgedanken: Nehmen wir etwa die Vorstellung, die Seele suche sich ihren Körper selbst aus. Es gibt im anthroposophischen Schrifttum einzelne Entgleisungen, die allerdings auch in der Szene mehrheitlich abgelehnt werden, wonach die Juden im Holocaust sich ihr Schicksal gewissermaßen selbst ausgesucht hätten.
blz: Gibt es eigentlich Zusammenhänge zwischen Waldorfpädagogik und den Impfgegnern?
Schülerinnen und Schüler auf der Waldorfschule haben eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, an Masern zu erkranken. Es kommt regelmäßig zu Schulschließungen, weil die Impfquote oft nicht mehr als 50% beträgt. Material dazu gibt es im Internet, zum Beispiel auf Psiram (www.psiram.com/). Ich habe einmal anhand von Presseberichten und Zahlen des Robert-Koch-Instituts ausgerechnet, dass das Risiko, an Masern zu erkranken, in einem der letzten Jahre an Waldorfschulen um den Faktor 48 erhöht war. Waldorfschulen sind regelrechte Brutstätten für Masern.
blz: Denkst du, die Schule sollte sich insgesamt stärker gegen solche irrationalen Tendenzen positionieren, auch im Unterricht?
Auf alle Fälle. Das sollte schon in der Grundschule losgehen. Ich selbst arbeite beim Schlaulicht mit, einem Podcast, der versucht, kritisches Denken bei Kindern zu fördern.
blz: Danke für dieses Gespräch.
André Sebastiani: Anthroposophie. Eine kurze Kritik. Reihe Kritikpunkte. 176 Seiten, kartoniert, Euro 10.-. Alibri Verlag. Aschaffenburg, 2019. ISBN 978-3-86569-122-4.
André Sebastiani: Rechenkünste in Sachen Impschutz ungenügend. (https://blog.gwup.net/2015/03/09/waldorf-rechenkunste-in-sachen-impfschutz-ungenugend/)