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Kernfragen der GEW Teil 3

Es geht tatsächlich um die Zukunft

Anforderungen an eine hochwertige Lehrer*innenbildung

Die Auseinandersetzung um Bildung und Erziehung brandet in der Bundesrepublik seit deren Gründung an markanten Stellen der gesellschaftlichen Entwicklung immer wieder vehement auf. Ein frühes Beispiel ist der Sputnik-Schock von 1957. Damals, im »Kalten Krieg«, gab es in manchen politischen Kreisen ein Frohlocken über die Leistung der UdSSR, weit verbreitet in der öffentlichen Meinung allerdings war die Angst, im Kampf der Systeme gegen die Sowjetunion ins Hintertreffen zu geraten. Gekontert wurde der angenommene technische Vorsprung durch bildungspolitische Programme, mit denen ››der Westen« Boden gut machen wollte. Naheliegender Weise erhielten die Träger dieses Prozesses, Lehrerinnen und Lehrer, besondere Aufmerksamkeit. 
Ihre Tätigkeit wurde als ein wichtiger Hebel angesehen, schließlich sollte die kommende Generation Einfluss auf die Zukunft gewinnen.
Heute nun gibt es zwar keinen »Ostblock<< mehr, aber die Ausrichtung von Bildungsprozessen ist weiterhin umkämpft. Es kommt u.a. auf die Lehrkräfte an, nach wie vor.

Die Idee der GEW 
Der Bundesgewerkschaftstag 2013 legte sich fest und formulierte für die anstehende Arbeit in der folgenden Amtsperiode vier Schwerpunkte, einer davon war die Lehrer*innenbildung, für die die Delegierten einen Aktionsplan verabschiedeten.
Dieser beinhaltete einen Auftrag an den Hauptvorstand, ein bundeslandübergreifendes Zukunftsforum Lehrer*innenbildung einzurichten.
Dessen Ziel wurde darin gesehen, ››vor dem Hintergrund der Forderung nach einer Schule für Alle konkrete, innovative Leitlinien zu einer inklusiven, länder- und phasenübergreifenden Lehrer*innenbildung … zu formulieren« (Gewerkschaftstag 2013, Beschluss 3.8). Festzuhalten aus der damaligen Debatte ist die Entschlossenheit, inhaltliche Reformen durchsetzen zu wollen.
Mindestens hervorzuheben ist das gewünschte Ergebnis einer solchen Reform: ››Die kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit Theorieansätzen, Praxisphänomenen und der eigenen Lehrer*innenpersönlichkeit soll das Studium strukturieren, nicht das Training von Handlungsroutinen<< (ebenda).

Der Transport nach Bremen
Noch vor Ende des Jahres 2013, man kann es in der Oktober-BLZ nachlesen, wurde eine Initiative zu Gunsten eines bremischen Zukunftsforums angekündigt. Dies lag nahe, bewegte sich die Bundesdiskussion doch in einem Spannungsfeld zwischen Inklusion als Menschenrecht und weiter zu entwickelnden integrierten Systemen als richtiger Perspektive für die Praxis, aber auch in einer dem Kulturföderalismus geschuldeten Ausgangslage, in 16 verschiedenen Ausprägungen junge Menschen auf den Beruf einer Lehrkraft vorzubereiten. Walm/Wittek haben dieses einzigartige Modell der Qualifizierung von Lehrkräften in einer GEW-Studie penibel zerlegt. Der Bund musste sich deshalb zwangsläufig vor allem vornehmen, grundlegende Prinzipien herauszuarbeiten. Den Ländern war dagegen aufgetragen, eine Übersetzung hinsichtlich der dort vorzufindenden Verhältnisse vorzunehmen.

Start: Das Forum in Bremen
Den Ausgangspunkt bremischer Überlegungen bildete eine Sichtung der drei Phasen der heimischen Lehrer*innenbildung. Nur beispielhaft sei an einige der Hauptproblematiken erinnert:
•    Hinsichtlich der Universität verwiesen wir auf die Abkehr vom ursprünglichen Projektstudium hin zu einer Restaurierung traditioneller Lehrämter;
•    zum Referendariat zeigten wir Fehlentwicklungen auf, welche sich u.a. auf die Arbeits- und Lernbedingungen aller Beteiligten (z.B. „Mentor*in im Ehrenamt“) bezogen;
•    beim Berufseinstieg bezogen wir uns auf fehlende schonende Strukturen und eine angemessene Bezahlung unabhängig von der Schulstufe.
Es galt nunmehr Bundesimpulse und landesspezifische Anforderungen in Einklang zu bringen. Dazu gab der Bremische Gewerkschaftstag grünes Licht (Beschluss GT 8/13), so dass eine Vorbereitungsgruppe das erste Landes-Forum präparieren konnte.
Drei Behandlungsschritte zeichneten sich damals ab:
1. Analyse: Fahnden nach Widersprüchen (z.B. Ungleichheit von Schul- und Studienfächern)
2. Veränderungen Teil 1: Kurzfristig zu betätigende Hebel (Möglichkeiten zum phasen-, stufen-, fächer-und lehramtsübergreifenden Zusammenarbeiten)
3. Veränderungen Teil 2: Die „ideale“ Perspektive („Eine Schule für Alle“ als Maßstab und Kriterienquelle für notwendige Veränderungen).
In seiner Analyse ermittelte das Forum bei den Problemen folgende Prioritäten: Ressourcen, Inklusion, Referendariat und Übergänge zwischen den Ausbildungsphasen. Der zentrale Widerspruch wurde zugespitzt formuliert: „Die Ausbildung ist nicht mehr Ausbildung“.

Rückkoppelung mit Frankfurt - Zwischenstand: 7 zu 7
Der in Gang gekommene Prozess mit Landes- und Bundesforum verlief zeitlich parallel und dennoch verknüpft. Als bremische Teilnehmer des Bundesforums konnten Matthias Eckardt und Bernd Winkelmann den Austausch im Detail sicherstellen.
Wichtig war aber, dass der Ausgangspunkt aller Erörterungen, „die Vision von Bildung in einer demokratischen, sozialen und inklusiven Gesellschaft“ (Keller 2017, S.7) unumstritten war.
Es kann nicht deutlich genug unterstrichen werden, dass aus gewerkschaftlicher Sicht „Bildung die Basis für den sozialen Zusammenhalt und die demokratische Entwicklung der Gesellschaft (ist)“ (ebenda).
Vor diesem Hintergrund legte das Bundesforum dem Gewerkschaftstag 2017 Leitlinien vor, die u.a. sieben Eckpfeiler einer phasenübergreifenden Lehrer*innenbildung beschrieben: professionelles Selbstverständnis und Berufsethos, Fähigkeit zur Reflexion, phasenübergreifendes Spiralcurriculum, Diversität-Können, vertiefende Fächer, Kooperation und multiprofessionelle Teams sowie Qualifizierung der Lehrer*innenbildner*innen (vergl. Bericht des Zukunftsforums 2017).
Vergleicht man diese Texte nun mit dem von uns 2015 für Bremen vorgelegten „7-Punkte-Papier“, so sind die Übereinstimmungen eher beruhigend als überraschend. Den landesspezifischen Zugriff haben wir gelöst über eine Dreiteilung in der Argumentation: 
Eine Kernaussage wird ergänzt um Sätze „zum Nachdenken“ und mündet in Forderungen an die politisch Verantwortlichen.
Inhaltlich speisen sich die Aussagen und Forderungen einerseits aus dem Stand der Umsetzung des inklusiv angelegten Schulgesetzes dieser Jahre.
Inklusion, so steht es im ersten Satz des Papiers geschrieben, ist die Grundlage unserer Arbeit. Dort steht aber auch, dass die Bedingungen stimmen müssen. Andererseits heben sie immer wieder ab auf unser grundlegendes Verständnis einer Lehrer*innenausbildung. Begriffe wie Freiräume, eigenständiges Lernen, pädagogischer Optimismus und reflexive Lehrer*innenbildung werden gesetzt.

Zurück nach Bremen: Schritte der Konkretisierung 
Nachdem das Grundsatzpapier geschrieben, überprüft, beschlossen und verkündet war, widmete sich das bremische Forum den mit der Lehrer*innenbildung verknüpften Konflikten in der Praxis:
- Ein Kristallisationspunkt ist über die Jahre die jeweils aktuelle Fassung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung gewesen. Allein die enge Kopplung einer Reflexion an die Prüfung und die vollzogene Trennung der Planung / Durchführung von besagter Nachbetrachtung lässt uns fassungslos zurück und erweckt den Eindruck, dass die Anliegen einer aufgeklärten Ausbildung an dieser Ordnung spurlos vorübergegangen seien. In Stellungnahmen, Gesprächen mit Behörden und Diskussionsrunden hat die GEW klar Position bezogen und Änderungen eingefordert.
•    Durch öffentliche Veranstaltungen wurde von Seiten des Forums versucht, Themen zu setzen. Der Fachtag zur Kompetenzorientierung hinterließ mit dem Referat von Prof. Pollmanns einigen Wirbel bei Menschen, die in ihren Grundfesten getroffen schienen, ein Hearing mit Prof. Hoffmeister wies den langen (politischen) Weg zu einer Erweiterung der Lehrer*innenbildung auf und das Referat von Anja Bensinger-Stoltze, Vorsitzende der GEW Hamburg, über das dortige Institut für Qualitätsentwicklung stutzte den Vorbildcharakter der benachbarten Hansestadt auf ein realistisches Maß.
•    Gekümmert hat sich das Forum immer wieder um Zahlen. Studierende, Referendar*innen sowie Quer- und Seiteneinsteigende waren die Bezugsgruppen. Auch wenn es ernüchternd ist, so konnten wir einige besorgt stimmende Sachverhalte benennen: Nicht angewählte Studienfächer, Referendarsplätze, die nicht kriteriengemäß besetzt werden können, und Seiteneinstiege, deren Eingangsvoraussetzungen nicht mit den vorhandenen Qualifikationen der Bewerber*innen übereinstimmen, so dass die gewünschten Effekte zur Milderung des Lehrkräftemangels nur bedingt zu erzielen sind.
In einer unserer Zwischenbilanzen listeten wir aktuelle Themenfelder auf (vergl. Antrag zum Brem. Gewerkschaftstag 2018) unter den Rubriken “Qualität im Mangel“ und „Auswege, Maßnahme, Perspektiven“. Verbunden sind damit Arbeitsaufträge für unsere Organisation.
Der Stand der Dinge: Aus siebensind neun Punkte geworden
Jetzt, mehr als vier Jahre nach unserer Veröffentlichung und zwei Jahre nach Vorlage des Bundesabschlussberichtes, haben wir eine „Re-Lektüre“ unserer sieben Punkte vorgenommen. Manche Schärfung der Argumentation erschien uns angezeigt, die Ausrichtung unseres Anliegens wurde in der Einleitung präzisiert. Sie mündet in der Aussage:
„Eine Schule für Alle braucht Pädagog*innen, die die Gesellschaft gestalten können“.
Zwei neue Punkte wurden aufgenommen. Die Bedeutung der Bildungsinhalte sollte in Abgrenzung zur Kompetenzorientierung betont und flexiblere Wege in das Lehramt müssen angemahnt werden.
Dies ist der Realität im Jahre 2019 geschuldet. Schon zu hörende Einlassungen, Quereinsteigende blockierten Stellen für demnächst zu erwartende Massen ausgebildeter Lehrkräfte, sind absurd. Sie ignorieren die gestiegene Fluktuation, die veränderte Altersverteilung bei den Lehrkräften und das schlichte Fehlen von Personal. Bei einer anspruchsvollen Schulentwicklung müssen sich endlich die Berechnungsparameter ändern. Ebenso sind sinnentleerte Kompetenzorientierungen zu bekämpfen, die ihrerseits Erkenntnis behindern. - Der vollständige Text (››9-Punkte-Papier<<) findet sich im Übrigen in diesem Heft an anderer Stelle.

Zukunft in Bremen und Bremerhaven
In den Zeiten des Fachkräftemangels kommt der Anspruch an eine qualitativ hochwertige Ausbildung schnell unter Druck. Dies ist keine Kritik an den Kolleg*innen, die mit anderen Berufserfahrungen an die Schule wechseln, wohl aber an den Politikern. Sie müssen für eine „nachholende, berufsbegleitende und staatlich finanzierte Qualifikation“ (Pasternack 2017, S. 17) sorgen.
Zu aller erst geht es bei der Ausbildung von Lehrkräften jedoch um den Bildungsbegriff. Er muss der überragende Bezugspunkt bleiben. Die GEW will eine umfassende diskriminierungsfreie und demokratische Teilhabe der Menschen. Diese sollen eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeiten werden. In einer Demokratie haben Schulen die Aufgabe, eine an dem Verständnis des Grundgesetzes ausgerichtete Erziehung zu gewährleisten. Lehrkräfte werden diese Erziehung umsetzen. Sie selber müssen dazu gesellschaftliche Verhältnisse kritisch reflektieren und mitgestalten. 
Dies gilt es in der Ausbildung zu lernen. Zwischen Kompetenzen beliebig herum zu jonglieren reicht da nicht. Gerade Lehrkräfte müssen als mündige, solidarische und aktive Bürger*innen voranschreiten. Auch sie leisten einen Beitrag für den sozialen Zusammenhalt und die demokratische Entwicklung einer Gesellschaft, mithin für die Zukunft.
Quellen:
GEW 2013: Bundesgewerkschaftstag der GEW, Beschluss 3.8
GEW 2017: Gute Bildung für eine demokratische, soziale und inklusive Gesellschaft. Bericht des Zukunftsforums Lehrer_innenbildung, Frankfurt
Keller 2017: Einführung in den Bericht des Zukunftsforums Lehrer_innenbildung, Frankfurt
Pasternack u.a. 2017: Drei Phasen. Die Debatte zur Qualitätsentwicklung in der Lehrer_innenbildung, Bielefeld
Walm /Wittek 2014: Lehrer_innenbiIdung in Deutschland im Jahr 2014, Frankfurt