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Stichwort Israel

Erwiderung auf eine Erwiderung

Eine Leserbrief-Diskussion zu dem Artikel „Der vergessene Jahrestag der Okkupation“ (BLZ 2/18)

Vorbemerkung: Ich sehe ein, dass die BLZ kein Spezialorgan zur Diskussion des Nah-Ost-Konflikts ist, ich denke aber, dass durch den bisherigen „Briefwechsel” zwischen Werner Pfau und mir ein Interesse an unserer Auseinandersetzung geweckt wurde, das weiter besteht. Ich schlage deshalb vor, dass die Internetpräsenz um eine Seite erweitert wird, auf der die Diskussion weitergeführt wird und auf die in der Print-Ausgabe der BLZ hingewiesen wird. Man hätte dann sogar die Möglichkeit, das Interesse zu quantifizieren, weil gezählt werden kann, wie oft die Seite angeklickt wird. Nach dieser Vorbemerkung nun meine Entgegnung:

Lieber Kollege Pfau,

etwas erstaunt war ich über die Überschriften, unter der mein Leserbrief und deine Entgegnung veröffentlicht wurden. „Okkupation?” erweckt den Eindruck, als hätte ich gegen die Tatsache argumentiert, dass das Westjordanland durch Israel okkupiert worden sei. Ich habe gegen deine Formulierung argumentiert, mit der du Westbank und den Gazastreifen als Gebiete charakterisierst, „die nach dem Staatsgründungskrieg 1949 noch unabhängig gewesen waren.” Ich hoffte damit, die Frage zu provozieren, ob der Wechsel der Beherrscher für die Beherrschten vorteilhaft oder nachteilig gewesen war (z. B. in den Bereichen Gesundheit und Bildung), ob also die Betonung auf 50 Jahre bei der Okkupation gerechtfertigt ist. Es ist auch heute nicht Israel, das die Gleichberechtigung der Frauen verhindert, die palästinensischen Medien zensiert, die noch verbliebenen Christen drangsaliert … – was also ist gemeint, wenn Freiheit für Palästina gefordert wird?

Dein Satz: „Ich weiß nicht, was Du unter Selbstbestimmung verstehst, ein Leben unter militärischer Besatzung fällt für mich jedenfalls nicht darunter,” gibt da auch keine Positivbestimmung. Außerdem kenne ich ein großes Land, in dem sich die Mehrheit der Bevölkerung durch die militärische Besatzung in ihrer Selbstbestimmung nicht eingeschränkt sah – ich rede von der Bundesrepublik Deutschland vor 1989. Vor dem zitierten Satz hattest du geschrieben, dass mit dem Teilungsplan auch ein Selbstbestimmungsrecht der in Palästina lebenden Araber statuiert worden sei – ob es dir passt oder nicht: Es waren die arabischen Staaten, die es 20 Jahre lang versäumt haben, diesem Selbstbestimmungsrecht Geltung zu verschaffen.

Vielleicht bin ich etwas pingelig bei Wortbedeutungen, aber „zurückgeben” kann man in meinem Verständnis etwas nur an jemanden, dem es vorher auch gehört hat. Wenn ich nicht so pingelig bin, diskutieren wir die Übergabe der Westbank und des Gazastreifens an „die Palästinenser”. Ich denke, dass das Zusammenleben so vieler Menschen, wie es ja auch die Palästinenser sind, nur staatlich organisiert erfolgen kann. Es muss Regeln geben, die anerkannt sind oder von einer Regierungsgewalt durchgesetzt werden können, eine funktionsfähige Verwaltung und noch einiges mehr. Ich denke, die gab es nicht. Wozu Menschen aus Fleisch und Blut neigen, wenn sowohl anerkannte Regeln als auch hinreichend starke Regierungen fehlen, ist an vielen Stellen der Welt zu besichtigen – ich denke, das sollte man den Palästinensern nicht wünschen.

Was der Mossad nach deinen Ausführungen vorhatte, klingt für mich, wie das, was in Oslo beschlossen wurde: Selbstverwaltung bei äußerer Kontrolle durch die israelische Armee. Was Israelkritiker dazu meinen könnten, hast du selbst gesagt: „Was im sog. Friedensprozess der Neunziger Jahre angeboten und teilweise verwirklicht wurde, nennt sich nicht ohne Grund Selbstverwaltung, denn volle staatliche Souveränität für die palästinensische Seite und ein völliger militärischer Rückzug aus den eroberten Gebieten war nie Verhandlungsgegenstand, allenfalls als fernes Endziel. ”

Ich habe mich gefragt, ob ich mich von deiner Spitze (Recherche(!)) getroffen fühlen muss und habe es bei Google mit „david kimche denkschrift palästina problem” versucht. Ganz oben stand deine Antwort auf meine Kritik. So hast du offenbar das Verdienst diesen Gesichtspunkt in die deutsche Diskussion um Westbank und Gazastreifen eingebracht zu haben. Übrigens nennen verschiedene Literaturverzeichnisse zu Israel und Palästina schon mal über 100 Bücher. Ich antworte dir aber, bevor ich eine der Literaturlisten abgearbeitet habe, dazu greife ich manchmal auch auf Wikipedia zurück. Statt sich darüber zu mokieren, hätte ich mir gewünscht, dass du aus anderen Quellen belegst, warum Wikipedia am fraglichen Punkt falsch liegt.

Es gibt Leute, die Israel beschuldigen, Resolutionen des UN-Sicherheitsrats nicht einzuhalten und sich dabei auch auf die Resolution 242 beziehen (was du nicht tust, wie du klargestellt hast). Mein Anliegen war, darzulegen, dass sich diese Resolution nicht als Beleg für diese Anschuldigung eignet – nicht mehr und nicht weniger. (Davon, dass beim Geschacher der Großmächte auch was herauskommen kann, das in sich nicht völlig widerspruchsfrei ist, sollten wir uns nicht den Blick auf die Realität vernebeln lassen.)

Ich halte übrigens nichts davon, statt aussagekräftiger Statistiken Einzelfälle oder die Aussagen Einzelner für typisch zu erklären und als Argument auszugeben. Zum Beispiel fragte ich mich, wie einflussreich die Nationalreligiösen tatsächlich sind, und habe mir die Zahl ihrer Sitze in der Knesset angesehen. Sie sind nie über 13 (von 120) hinausgekommen. Und die ewige Geschichte mit Hebron: Hebron ist eine Großstadt mit rund 200000 Einwohnern, die nach zahlreichen Vergehen gegen die zurückgekehrten Juden in zwei Gebiete geteilt wurde, H1 und H2. Im Gebiet H1 leben etwa 170000 Palästinenser, deren Bewegung in diesem Gebiet gar nicht eingeschränkt ist und keine Juden, denen der Zugang verboten ist und abgesehen vom Verbot lebensgefährlich wäre. In H2 leben etwa 30000 Menschen, zu einem geringen Teil Juden. Einige wenige Straßen sind für Nichtjuden gesperrt, um das Leben der Juden nicht zu gefährden. Auf im Internet abrufbaren Karten kann man sich Lage und Größe von H1 und H2 ansehen.

Um meinen 1. Leserbrief nicht noch länger werden zu lassen, bin ich nur auf die Fakten eingegangen, wo mir eine Klarstellung schnell möglich schien. Zwar ist die Deutung von Fakten wichtiger Bestandteil einer politischen Diskussion, aber für ebenso wichtig halte ich es, festzustellen, von welchen Fakten man gemeinsam ausgehen kann.

Vielleicht hast du einen Übergang zu deinen Aussagen über die Siedlerbewegung gebraucht, aber ich hatte nur geschrieben, dass es plausibel ist, wenn in der Nähe jüdischer Heiligtümer Juden wohnen – dass die das wollten, ist von dir. Dass der Messias schneller kommt, wenn ganz Palästina wieder jüdisch ist, mögen die Nationalreligiösen so sehen, die stärker säkular eingestellte Mehrheit sieht das sicher nicht so. Staatlich verbürgt ist nur die Zusicherung an jeden jüdischen Menschen in der Welt auf Wunsch die israelische Staatsbürgerschaft zu erhalten – Ausfluss der Erkenntnis, dass beim Schutz jüdischer Menschen nur auf Juden Verlass ist. Außerdem ist seit dem Oslo-Abkommen eine ungehemmte Besiedlung nicht mehr möglich, in den Gebieten (areas) A und B gibt es fast keinen israelischen Einfluss mehr (soviel ich weiß ist die Einteilung in die Gebiete A, B, C mit der PLO ausgehandelt worden). Was die Autonomiebehörde mit den dort lebenden Palästinensern (immerhin 90 % der Palästinenser aus dem Westjordanland) im Hinblick auf einen künftigen Staat Palästina zustande bringt, sollte Maßstab bei der Beurteilung sein, wie realistisch eine Staatsgründung ist, die auch zu einem lebensfähigen Staat führt. Ich gebe dir gern zu, dass ein Staat Palästina mit starkem Bevölkerungswachstum auch auf das Gebiet C angewiesen sein könnte.

Auch dieser Brief lässt viele Aspekte unberücksichtigt, ich werde auf weitere eingehen, wenn ich deine Kritik an diesem Brief kenne.

In Erwartung deiner Entgegnung

Werner Begoihn