Kolumne
Entspricht nur eingeschränkt den Anforderungen
Was ich schon immer mal sagen wollte – Eine Kolumne von Angelika Hanauer
Im Januar tritt eine neue bremische Beurteilungsverordnung in Kraft. Dadurch sollte sich auch für Lehrkräfte einiges ändern – oder vielleicht auch nicht? Das Thema dienstliche Beurteilung beschäftigt mich schon lange, denn hier liegt doch einiges im Argen. Ein Teil davon ist zugegeben der grundsätzlichen Problematik von Beurteilungen geschuldet.
Ein Liedchen singen
Bei der Beurteilung bremischer Lehrkräfte gibt es aber ein paar spezielle Probleme. Dazu könnte und werde ich ein höchst unweihnachtliches Liedchen singen. In Beurteilung steckt ja das Wort Urteil und für Betroffene ist es genau das - im positiven wie im negativen Sinne. Findet man die eigene Tätigkeit nicht oder falsch gesehen, kränkt und schmerzt das nachhaltig. Ich behaupte übrigens nicht, dass die Eigenwahrnehmung von Beurteilten immer stimmt und fordere auch nicht, alle positiv zu beurteilen. Aber Beurteilungen erhalten nicht selten Einschätzungen, die sich nicht auf belastbare Grundlagen stützen und es kommt vor, dass sie als Macht- oder Maßregelungsinstrument missbraucht werden.
Im Verlauf der Jahre habe ich eine Menge Beurteilungen zu Gesicht bekommen, die mehr oder weniger fehlerbehaftet waren. Bei der „positiven Beschreibung der dienstlichen Tätigkeit“ werden Aspekte nicht selten einfach weggelassen. Die Beurteilungsgrundlagen, also die konkreten Anlässe, auf die sich die Beurteilung stützt, sind oft ziemlich mickrig und lassen konkrete Daten vermissen. Die Zuordnung von Text und Kreuzchen stimmt auch so manches mal nicht oder der Text bezieht sich nicht auf das zu beurteilende Merkmal. Liebe Behörde: Das entspricht nicht den Anforderungen!
Der oder die doppelte Lottch:en
Einmal hat ein Schulleiter zwei Personen (Das sind natürlich nur die, von denen wir wissen.) exakt gleich beurteilt. Es gab nur einen kleinen Unterschied. Welchen? Na ja eben den kleinen - es waren nämlich Mann und Frau. Aber wenn es sich nicht um ein biologisches Wunder von eineiigen Zwillingen mit unterschiedlichem Geschlecht handelte, ist eine solche Ähnlichkeit inklusive persönlicher Kompetenzen und allem Zipp und Zapp doch sehr erstaunlich. Aber auch beanstandenswert? Die Behörde fand: Nein. Auch hier komme ich leider zu der Einschätzung: Das entspricht nicht den Anforderungen. Manchmal fällt eine fehlerhafte Beurteilung dann auf, wenn in einem Auswahlgespräch der oder die hochgelobte Bewerber:in fachlich weit hinter dem zurückbleibt, was in der Beurteilung steht. Aber vielleicht hatte betreffende Person ja eine hübsche Nase.
Instrument der Personalführung und Personalentwicklung
Das Ziel dienstlicher Beurteilungen ist „ein aussagefähiges Bild über die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“ zu erhalten und „Die Beurteilung stellt ein Werturteil dar und bildet die Grundlage für personen- und sachgerechte Personalentscheidungen. Sie ist auch ein Instrument der Personalführung und Personalentwicklung.“ Es ist also keine Gemeinheit, wenn eine dienstliche Beurteilung die wesentliche Grundlage für eine Verbeamtung oder Beförderung darstellt, sondern genau deren Zweck. Umso bedeutsamer, dass hiermit kein Schindluder getrieben wird. Hierbei entspricht die Behörde aber nur eingeschränkt den Anforderungen.
Vergleichbarkeit fördern und Diskriminierung vermeiden
Bevor Geschrei aufkommt: Natürlich gibt es viele Beurteilungen, die ok und nach bestem Wissen und Gewissen erstellt sind. Aber hierbei sind die Beurteilten sehr stark von Können und Einstellung der Beurteilenden abhängig. Genau hier setzt die Neuregelung an. Sie hat sich eine bessere Vergleichbarkeit und einen Schutz vor bewusster und unbewusster Diskriminierung auf die Fahnen geschrieben. Für Diskriminierung werden auch Beispiele genannt, z. B. die Unterbewertung von Teilzeitbeschäftigten, die Anwendung von Geschlechterstereotypen oder die Annahme, Nichtbehinderte seien leistungsfähiger.
Um zukünftig Vergleichbarkeit besser zur gewährleisten und Diskriminierung zu vermeiden, gibt es mehrere Ansätze. Einmal wird die Zuständigkeit verändert, vom Vorgesetzten zum Dienstvorgesetzten. Das klingt nicht dramatisch, ist aber ein entscheidender Unterschied. Denn Vorgesetzte für Lehrkräfte sind die Schulleitungen und für diese sind es die Schulaufsichten. Dienstvorgesetzter nach bremischer Lesart ist jedoch der Staatsrat als Leiter der Verwaltung. Es müssten also alle dienstlichen Beurteilungen über seinen Tisch oder den einer von ihm beauftragten Person laufen. Ist das geplant? Wo denkt ihr hin – natürlich nicht! Einerseits wäre das angesichts der großen Zahl von Beschäftigten für den Leiter der Verwaltung kaum zusätzlich zu schaffen, aber beauftragen könnte er ja jemanden, der oder die, so die Neuregelung, „aufgrund ihrer Funktion einen breiten Überblick über die für die oder den Dienstvorgesetzten tätigen Beamtinnen und Beamten hat“. Tut er aber nicht. Stattdessen biegt man sich das Ganze so zurecht, dass alles bleibt wie bisher. Das entspricht nicht den Anforderungen.
Es bleibt unvergleichlich
Die Beurteilung erfolgt weiterhin durch die Schulleiter:innen, heißt jetzt aber nicht mehr „Beurteilung“ sondern „Beurteilungsbeitrag“. Das ist ja soweit noch ok, weil außerhalb der Schule in der Regel niemand die zu beurteilende Person kennt. Aber dann sehen sich wie bisher nur noch die einzelnen Schulaufsichten die Beurteilung an, die das eben nun mal sehr unterschiedlich angehen – und Ende. Keine weitere Instanz prüft. Das entspricht nicht den Anforderungen.
Auf konkrete Nachfrage des Personalrats hieß es zuletzt, man wolle vielleicht eine, nach Verordnung mögliche, Beurteilungskommission mit beratender Funktion einrichten. Das wäre immerhin ein Schritt in die richtige Richtung, aber das glaube ich erst, wenn ich es sehe.
Weitere Neuerungen sind die Evaluation durch anonymisierte digitale Auswertung und Fortbildungen. Fortbildungen sollen und werden wohl jetzt kommen. Ob auch es auch ein allgemeines Angebot für alle Beschäftigten und den vorgesehenen regelmäßigen Erfahrungsaustausch der Beurteiler:innen geben wird, – da bin ich skeptisch.
Ebenso sieht es mit der digitalen Auswertung aus. Erst war die Antwort, das werde aus Kostengründen nicht kommen – nun kann man es sich doch vorstellen. Was das konkret bedeutet, bleibt abzuwarten.
Krasses Fehlurteil
Bei der Gelegenheit habe ich einen Blick in meine bisher einzige Beurteilung geworfen. Dort steht, dass ich mich engagiert für die Belange meines Fachbereichs eingesetzt habe (klasse, gell?), die Schulleitung aber dabei inhaltlich nicht einbezogen wurde (auweia!). Ansonsten sei mein Verhalten gegenüber Vorgesetzten von Offenheit und Interesse geprägt. Letzteres ist allerdings eine krasse Fehleinschätzung: so doll interessiert haben mich meine Vorgesetzten nun auch wieder nicht. Aber insgesamt entspreche ich (zumindest war es damals so) voll den Erwartungen und habe der Bildungsbehörde damit einiges voraus.