Kolumne
Endlich kommt die Arbeitszeiterfassung – ach nee, doch nicht …
Was ich schon immer mal sagen wollte – Eine Kolumne von Angelika Hanauer
Vor mehr als zwei Jahren habe ich hier schon einmal zur Arbeitszeit geschrieben. Damals hatte das Bundesarbeitsgericht gegrade bestätigt, dass auch in Deutschland alle Arbeitszeiten von Beschäftigten erfasst werden müssen, und zwar aus Gründen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Daraufhin haben die Kultusminister:innen gleich mal versucht, für Lehrkräfte eine sogenannte Bereichsausnahme zu erwirken. Dem hat das Arbeitsministerium allerdings eine Absage erteilt. Also: allez hop!
Kurz gezuckt, dann Vollbremsung
Zwischenzeitlich gab es in Bremen tatsächlich – wie ich zugeben muss, zu meiner nicht unbeträchtlichen Überraschung – erste Zuckungen hin zur Arbeitszeiterfassung bei Lehrkräften. Auf eine Anfrage der CDU zum Thema antwortete der Senat im Februar, es sei „geplant, in Kürze mit dem Projekt Arbeitszeiterfassung zu starten“. Und tatsächlich wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, es gab zwei Sitzungstermine, zuletzt im April. Pilotschulen wurden vorgeschlagen, Termine für den Beginn gesetzt und dann passierte … nichts (siehe bildungsmagaz!n-Interview auf Seite 15-17). Na gut, dann hat sich das mit meiner Überraschung ja wieder erledigt – Weltbild zurechtgerückt.
Anscheinend glauben die Kultusminister:innen, es wäre nicht schlimm, wenn alle zusammen gegen rechtskräftige Urteile verstoßen. Mit diesem Verhalten ähneln sie einigen meiner Schüler:innen, die annehmen, wenn sie gemeinsam zu spät kämen, hätte das keine Folgen. Da täuschen sich allerdings Lernende und Kultusministernde gleichermaßen.
Die Umsetzung der Arbeitszeiterfassung liegt in der Verantwortlichkeit der einzelnen Länder und nicht des Bundes. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat auf seiner Webseite klargestellt, dass Arbeitgeber nicht mit der Umsetzung warten dürfen, bis das Arbeitsrecht angepasst wurde und dass die Dokumentation der Arbeitszeit und Vertrauensarbeit (wie sie bei Lehrkräften üblich ist, „Anm. d. Verf.“) einander nicht ausschließen. Die Frage ist, wie wir es schaffen, aus der Rechtsprechung Wirklichkeit werden zu lassen, während unsere Bildungsbehörde mit allen zur Verfügung stehenden Tricks und Kniffen versucht, das zu verhindern?
Aua, mein Rechtsempfinden
Ein Betriebsrat ist vor Gericht bereits mit einem Antrag auf Erfassung der Arbeitszeit gescheitert. Ihm wurde das Initiativrecht mit der Begründung abgesprochen, die Arbeitgeber seien ja bereits zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Das könne von der Interessenvertretung also nicht beantragt werden. Ich finde, da wurde eine Klitzekleinigkeit übersehen: SIE MACHEN ES ABER EINFACH NICHT!!!
Es gibt also höchstrichterliche Rechtsprechung, auf der sich alle Bundesländer bezogen auf schulisches Personal gepflegt ein Ei pellen. Konsequenzen? Eiersalat? Fehlanzeige! Ich muss schon sagen, das nagt mein Rechtsempfinden ganz schön an. Aber Jammern nützt nix. Wir müssen und werden eben weiter nach Wegen suchen, die Umsetzung zeitnah zu erzwingen.
Denn eins ist klar: Mit jedem Tag ohne Arbeitszeiterfassung bleiben Beschäftigte weiterhin der ungebremsten Überlastung ausgeliefert und Arbeitsschutz ihr ganz persönliches Problem. Außerdem gehen massenweise Überstunden in Schulen unbezahlt und unwiederbringlich den Orkus runter.
Verkehrte Welt
Arbeitgeber:innen wehren sich also gegen die Erfassung der Arbeitszeit. Klingt zwar nicht logisch, denn normalerweise wollen sie doch sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter:innen auch genügend arbeiten, aber die Gründe sind offensichtlich: So eine feine Arbeitszeitflatrate, in die man immer mehr reinstopfen kann fürs gleiche Geld, wird man nicht ohne Gegenwehr aufgeben.
Arbeitnehmerverbände dagegen begrüßen die Erfassung, und auch das liegt nicht unbedingt auf der Hand. Aber die Vorteile überwiegen eben deutlich die Nachteile. Klar gibt es Kolleg:innen, denen das Bauchschmerzen bereitet, zum Beispiel, weil sie Sorge vor Kontrolle haben oder vielleicht befürchten, die Arbeitszeit nicht zu erfüllen. Ich denke, die allermeisten können da ganz beruhigt sein. Alle bisherigen Studien zur Arbeitszeit von Lehrkräften haben gezeigt, dass ein erheblicher Teil dauerhaft Überstunden leistet, und nicht wenige sogar über das gesetzlich geregelte Höchstmaß hinaus.
Während des Referendariats hatte ich ein wirklich gutes Seminar zum Zeitmanagement, bei dem wir aufzeichnen sollten, was wir an einem Arbeitstag typischerweise so machen. Ich war richtig verblüfft darüber, wie enorm viel Zeit die Arbeit einnahm - denn mein Gefühl war damals und ist es eigentlich immer geblieben, dass ich zu wenig mache. So geht es in sozialen Berufen vielen.
Das liegt aber nicht am zu-wenig-machen, sondern am eigenen Anspruch, dem man aufgrund der zu vielen Aufgaben und zu hohen Unterrichtsverpflichtung kaum gerecht werden kann. Dieses Gefühl ist deswegen besonders stark, weil wir es mit jungen Menschen zu tun haben, die wir unterstützen wollen und dies oft nicht in dem Maße können, wie wir es richtig fänden. Aufzuzeichnen, wie viel man wirklich arbeitet, kann insofern entlastend wirken.
Wer betrügt hier wen?
Umso unverschämter finde ich, dass möglicher Arbeitszeitbetrug zu den ersten Themen gehörte, über die die Arbeitgeberseite sprechen wollte. Also, das ist ein starkes Stück: Diejenigen, die uns seit Jahrzehnten um unsere geleisteten Überstunden betuppen und Arbeits- und Gesundheitsschutz derjenigen missachten, für die sie die Fürsorgepflicht haben, unterstellen uns potenziellen Betrug – noch bevor wir die Gelegenheit hatten, mit dem Betrügen überhaupt anzufangen. Nee Freunde, da fasst euch mal an die eigenen Schnarchnasen. Wir wissen ganz genau, was unsere Pflicht ist und gehen zum Wohl der uns Anvertrauten viel zu oft über unsere Belastungsgrenzen hinaus. Mal ehrlich: Könnt ihr das auch von euch selbst behaupten?
Bremen auf Platz eins - ein Traum!
Bei Bildungsvergleichen sind wir regelmäßig letzte, und wenn das mal nicht klappt, wenigstens vorletzte - jeah! Man muss eben feiern, wo es geht. Aber wie wär‘s denn mit einem Perspektivwechsel? Wir sind doch das kleinste Bundesland, also schon mal vorne - wieder jeah! Das hat Vor- und Nachteile. In dieser Angelegenheit könnten die kurzen Wege uns aber schneller zum Ziel führen.
Lasst uns mal träumen: Stellt euch vor, Bremen würde als erstes Bundesland mit der Arbeitszeiterfassung beginnen. Dadurch würden Überstunden und unnütze Aufgaben abgebaut. Lehrkräfte hätten wieder Zeit, sich auf Unterricht zu konzentrieren und der würde dadurch womöglich besser - huch!? Es gäbe genügend Zeit für die Kooperation in Teams, weil die Zeiten dafür fest eingeplant würden, und Erzieher:innen hätten nicht mehr nur durchschnittlich sechs Minuten für ihre Vor- und Nachbereitung. Teilzeitkräfte könnten Stunden aufstocken, weil sie nicht mehr für alles und jedes herangezogen werden. Alle sind zufriedener, dadurch seltener krank und gehen später in den Ruhestand. Damit wäre auch das Fachkräfteproblem gelöst. Bremen würde außerdem für Kolleg:innen aus anderen Bundesländern besonders attraktiv ... Jetzt hab ich Gänsehaut.