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Eine Große Koalition für die „kleinen Leute“?

Das am 16. Dezember 2013 von CDU, CSU und SPD geschlossene Regierungsbündnis hat bei Teilen der Bevölkerung nicht zuletzt auf sozialpolitischem Gebiet hoch gesteckte Erwartungen geweckt.

Dabei zeigen die Großkoalitionäre für das Kardinalproblem unserer Gesellschaft, nämlich deren zunehmende Spaltung in Arm und Reich, keinerlei Sensibilität. Vielmehr kommt das Wort „Reichtum“ im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode auf 185 Seiten nur als „Ideenreichtum“ bzw. als „Naturreichtum“ und der Begriff „Vermögen“ nur als „Durchhaltevermögen“ bzw. im Zusammenhang mit der Vermögensabschöpfung bei Kriminellen vor.

„Armut“ taucht zwar 10-mal auf, größtenteils aber in fragwürdiger Art und Weise. „Altersarmut verhindern“ firmiert als Zwischenüberschrift zur Rentenpolitik der künftigen Regierungskoalition. Die sozialen Sicherungssysteme schützten vor Armut, heißt es weiter. Das legt den Schluss nahe, Altersarmut existiere in Deutschland (noch) nicht, denn von der Notwendigkeit ihrer Bekämpfung, Verringerung oder Beseitigung ist nirgends die Rede.

Von Armut keine Rede

Während von Kinder- und Jugendarmut an keiner Stelle die Rede ist, wird der Begriff „Bildungsarmut“ als Synonym für Analphabitismus verwendet. Dem hierzulande vorherrschenden Armutsverständnis gemäß wird Armut hauptsächlich mit der sog. Dritten Welt in Verbindung gebracht. Nicht weniger als vier Mal taucht Armut in diesem Zusammenhang, weitere drei Mal in der Zusammensetzung mit Zuwanderung bzw. Migration auf. Gemeint sind Bulgaren und Rumänen, denen man eine „ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Sozialleistungen“ vorwirft, wodurch deutsche Kommunen übermäßig belastet würden. Auch wenn die sozialen Problemlagen einzelner Großstädte, etwa Duisburg und Dortmund, bei der Unterbringung, Existenzsicherung, Gesundheitsversorgung und Integration treffend beschrieben werden, leistet der Koalitionsvertrag rassistischen Ressentiments dadurch Vorschub, dass er der „Migration in die sozialen Sicherungssysteme“ entgegentritt, ohne Not und Elend der Herkunftsländer zu erwähnen und zu berücksichtigen, dass die Mehrheit der zugewanderten EU-Bürger teilweise hoch qualifizierte Arbeitskräfte in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen sind.

Glaubt man dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, gibt es in Deutschland gar keine Armut. Vielmehr existiert diese offenbar nur außerhalb unserer Wohlstandsinsel, es sei denn, sie wird durch Zuwanderer rechtswidrig importiert. Mit dem im Koalitionsvertrag auch von der bisher größten Oppositionspartei bestätigten Merkel-Mantra „Keine Steuererhöhungen – für niemand!“ wird die selbst im 4. Armuts- und Reichtumsbericht der schwarz-gelben Koalition eingeräumte Verteilungsschieflage akzeptiert und das Auseinanderfallen der Gesellschaft forciert. Selbst der Mindestlohn, dessen flächendeckende Einführung per Gesetz die Koalitionspartner bis 2017 vereinbart haben, steht für sie nicht im Kontext der Armutsbekämpfung, obwohl der ausufernde Niedriglohnsektor das Haupteinfallstor für heutige Erwerbs- und künftige Altersarmut bildet. Sonst hätten CDU, CSU und SPD die offizielle Lohnuntergrenze kaum bis zum 1. Januar 2018 bei 8,50 Euro festgeschrieben. Denn schon heute reicht diese von weniger prosperierenden EU-Staaten längst überschrittene Höhe nicht aus, um bei Vollzeiterwerbstätigkeit in Würde leben und eine Familie ernähren zu können.

Die neoliberale Standortlogik dominiert

„Deutschlands Zukunft gestalten“ (Titel des Koalitionsvertrages) heißt für CDU, CSU und SPD in erster Linie, die deutsche Wirtschaft zu stärken. „Wettbewerb“ lautet das Schlüsselwort, welches in dem Dokument häufiger auftaucht als die meisten anderen Begriffe und die marktradikale Leitlinie vorgibt, der die Regierungspolitik auch in den nächsten vier Jahren folgen wird. Wie üblich werden Globalisierung und demografischer Wandel – die zwei Großen Erzählungen unserer Zeit – im Koalitionsvertrag als quasinatürliche Begründung für die vermeintliche Notwendigkeit herangezogen, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, die Regelaltersgrenze zu erhöhen und die Altersrenten zu kürzen. Keine der früheren Entscheidungen unterschiedlicher Regierungskoalitionen, die das Rentenniveau gesenkt und Altersarmut hervorgebracht haben, wird in Frage gestellt.

Das einzig Gute an der „solidarischen Lebensleistungsrente“, die voraussichtlich ab 2017 erhalten soll, wer 40 Jahre lang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt und weniger als 30 Rentenentgeltpunkte erreicht hat, ist der Name. Denn in Zeiten lückenhafter Erwerbsbiografien kommen nur wenig Geringverdiener/innen in den Genuss dieses kärglichen Rentenzuschusses. Wer ihn erhält, wird angesichts der Höhe von ca. 850 Euro brutto weiterhin armutsgefährdet sein. Für den Sozialstaat, die „kleinen Leute“ und ihre Alterssicherung verheißt die 3. Große Koalition also wenig Gutes.

Der Autor:

  • Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln.
  • Soeben ist die 5., aktualisierte Auflage seines Standardwerkes „Krise und Zukunft des Sozialstaates“ erschienen.
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Karsten Krüger
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