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Eine erschreckende Bilanz

Die Jugendberufsagentur nach 2 Jahren

Nach kurzem Vorlauf und direkt vor den letzten Bürgerschaftswahlen ist auch in Bremen eine Jugendberufsagentur (JBA) eingerichtet worden. Zielrichtung laut Gründungsbeschluss (Deputationen SBW, SSAJF, SWAH vom 10.3.2015) ist das Wunsch, dass junge Menschen schneller eine Ausbildung beginnen und mehr junge Menschen einen Berufsabschluss erreichen. Für den Senat ist die Jugendberufsagentur das zentrale Reformprojekt, um die Langzeitarbeitslosigkeit nachhaltig zu verringern.

Dazu werden verschiedene Sozial- und Rechtsbereiche miteinander verknüpft, die Schulen, die Arbeitsagentur (Berufsberatung), das Jobcenter – U 25 für Jugendliche aus Bedarfsgemeinschaften,  MitarbeiterInnen der Jugendhilfe sowie - als neue Einrichtung – eine aufsuchende Beratung.

Rechtlich fraglich

Das Ganze natürlich vor dem Hintergrund, das der Ausbildungsstellenmarkt quantitativ nicht wächst und sich qualitativ hin zu höheren Niveaus und gestiegenen Ansprüchen weiterentwickelt.

Der Zusammenschluss dieser Institutionen ist rechtlich fragil. Deshalb ist auch bisher schon viel Energie in die Diskussion der rechtlichen Rahmenbedingungen geflossen. So wurde z.B. das Schuldatengesetz so geändert, dass Daten von Jugendlichen, die nicht mehr schulpflichtig sind, im Rahmen der Jugendberufsagentur an andere Träger weitergegeben werden können. Dadurch können Jugendliche, deren Namen nicht in anderen Ausbildungslisten auftauchen, an die „aufsuchende Beratung“ weitergegeben werden, die die Jugendlichen dann kontaktieren und fragen kann, was sie machen.

Die Jugendberufsagentur ist eine Hülle ohne eigene Rechte oder Befugnisse. Die einzelnen Träger sind unter diesem Dach, haben aber jeweils für ihren Bereich ihre eigenen Zielsetzungen, Regularien, Personal- und Budgethoheit behalten. So kann das JobCenter die Jugendlichen weiterhin seinen Maßnahmen zuweisen, Sanktionen androhen oder aussprechen (Sozialgesetzbuch SGB 2). Die Arbeitsagentur kann weiterhin die Jugendlichen als ausbildungsreif oder auch nicht einstufen (SGB 3), die Schulpflicht wird weiterhin kontrolliert (oder auch nicht), die Jugendhilfe hat auch weiterhin ihren rechtlichen Rahmen im SGB 8. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen und damit Aufträge oder Selbstverständnisse der einzelnen Institutionen sind weiterhin vorhanden. Dabei bleibt es den einzelnen MitarbeiterInnengruppen (und deren Vorgesetzten) überlassen, diese Grenzen einzuhalten oder zu überwinden, sich darauf zurückzuziehen oder sie zu erweitern.

Die Visionen bei der Gründung waren ausgeprägt: In einem einladenden Ambiente halten sich viele Jugendliche auf, es gibt ein breites Angebot an unterstützenden, begleitenden, qualifizierenden Maßnahmen, Beraterinnen und Berater der verschiedenen Institutionen treffen sich in gemütlichem Rahmen in gemeinsamen Aufenthaltsräumen und der Teeküche, tauschen sich über einzelne Beratungsfälle aus und entwickeln gemeinsam neue Lösungen, unabhängig davon, in welchem Zusammenhang der junge Mensch bei der JBA auftaucht.

Politisches Interesse

Nicht nur bei der (überstürzten) Gründung im Frühjahr 2015, sondern auch im weiteren Verlauf bis in die Gegenwart ist das hohe politische Interesse der Parteien auffällig. Häufige Besuche durch Parteienvertretungen oder FunktionsträgerInnen, hohe Präsens und vielfältige Bezüge in den kommerziell - wirtschaftlichen, politischen und öffentlichen Raum setzen die JBA unter Erfolgszwang: Die JBA muss um jeden Preis erfolgreich sein.

Das Spannungsfeld zwischen eigener Institution und neuer (JBA) Struktur

  • Ob bei der Entwicklung des neuen Logos oder der Weiternutzung der eigenen Markenzeichen,
  • ob bei Diskussionen über Verfahrensabläufe, Verantwortungsbereiche und Übergaben,
  • ob bei dem Beibehalten oder Ändern eigener Definitionen und Statistikvorgaben
  • ob bei der Übernahme bisher schon praktizierter Maßnahmen in die Konstruktion JBA als „Neu“erfindung oder der weiterhin eigenständigen Durchführung,

ist ein ständiger Balanceakt in den beteiligten Institutionen. Um das immer wieder auszutarieren wird gerade auch auf Ebene des Leitungspersonals viel Energie ver(b)raucht.

So gab es bei Entwicklung der Entwicklung der Einwilligungserklärung nicht nur die Diskussion um den Aufbau der Erklärung, (was muss da rein, was genau wird erklärt, was wird wo beschrieben, verwiesen oder offengelassen), sondern auch großes Gerangel um das Verteilen, Einsammeln, Festhalten und Archivieren.

Oft werden als erstes die Schulen mit Lehrerinnen und Lehrer verantwortlich gemacht, angewiesen, angedroht. Wie überhaupt die (allgemeinbildenden) Schulen die Hauptverantwortung tragen: Wenn sie nur die Jugendlichen besser erzögen und vorbereiteten auf die Ausbildung und das Berufsleben, dann hätte man die Probleme nicht. Wirtschaftliche Situation und Ausbildungsstellenmarkt spielen keine Rolle.

Der Over-head

Nicht die Verbesserung der Beratung oder Betreuung der Jugendlichen steht bisher im Mittelpunkt, sondern die Gestaltung des over-heads: Wer nimmt was auf, gibt was und wie weiter, wie erfolgt die Post- und Informationsweitergabe, haben die Zettel der Institutionen verschiedene Farben? Mitarbeiterverzeichnisse mit Bild oder ohne oder eher doch gar nicht oder nur pauschal mit E-Mail, aber ohne Angaben von Telefonnummern, Schwerpunkten oder Anwesenheitstagen?

Fragen der Datenweitergabe und der lückenlosen Erfassung der Jugendlichen sind wohl am intensivsten diskutiert und entwickelt, mit der Einverständniserklärung (Verfügung 62/2017), aber auch z.B. mit dem Projekt KDS (Kerndatensystem), mit dem ein intensiver Datenaustausch mit Schul- und Beratungsdaten der Agentur für Arbeit geplant wird.

Es werden sehr viel mehr Daten über SchülerInnen, Jugendliche und junge Menschen bis 25 Jahren gesammelt, abgeglichen und verfügbar gehalten – aber ob das dazu führt, dass für die Jugendlichen Orientierungsmöglichkeiten größer, Beratungen intensiver, Ausbildungsangebote besser oder eine Weiterqualifizierung eher möglich wird, ist überhaupt nicht sicher!

Im Unterschied zur intensiven Diskussion auf der Leitungs- und Steuerungsebene steht auch das mangelnde Einbeziehen der Kolleginnen und Kollegen in die Prozesse. Oftmals wurde vermittelt, dass sich gar nichts ändert, sondern nur ein neues zweites Dach übergebaut wird. Kein Wunder, dass vielen Kolleginnen und Kollegen die neue Konstruktion eher lästig ist und sie in ihren alten Strukturen weiter verfahren. Sie werden zu wenig einbezogen, neue zu entwickeln. Um sich mit anderen auszutauschen, muss ich sie kennen lernen und in gemeinsame Prozesse gehen können. Dazu muss auch von der Leitungsebene Raum gegeben werden. Wenn man von den Arbeitsabläufen keine Zeit hat, sich mit anderen auszutauschen, nützt das gemeinsame Dach nichts. Kooperation braucht Raum und Zeit.

In den drei Standorten der Jugendberufsagentur (Bremen Mitte, Bremen Nord und Bremerhaven) gibt es durchaus unterschiedliche Stände der kollegialen Zusammenarbeit und Gestaltung. Gemeinsame Fortbildungen, regelmäßiger kollegialer Austausch, informelle Treffen, vielfältige Formen der Zusammenarbeit sind neben institutionell verankerten Formaten wie Dienstbesprechungen und kollegialen Fallberatungen unabdingbare Formen, die eine gemeinsame Entwicklung fördern. Dass es zügig gelingt, diese Prozesse des Zusammenwachsens auf kollegialer Ebene zu beschleunigen, ist entscheidend für das Gelingen der Jugendberufsagenturen, nicht der perfektionierte und gesteigerte Datenaustausch.

Wo wird die Jugendberufsagentur in den Schulen sichtbar?

  • Hoffentlich über regelmäßige, verlässliche Besuche der Berufsberatung (gab es vorher auch schon, soll aber jetzt regelmäßiger und verbindlicher erfolgen)
  • Über die Einverständniserklärung zur Datenweitergabe, die über alle Klassenlehrerinnen und –lehrer an die Jugendlichen ausgegeben. Sie soll besprochen und unterschrieben werden und wird dann an die Behörde zurückgegeben werden.
  • Über verpflichtende Beratungen an der ZBB, (die es vorher auch schon gab).
  • Über die BO-Kräfte an den Oberschulen und Gymnasien, die Berufsorientierung koordinieren und befördern sollen (die es auch schon mal gab, aber dann abgeschafft wurden)
  • Über verschiedene Orientierungs- und Beratungsangebote auf Messen, Börsen, Infotagen (die es vorher auch schon gab, vielleicht mal mit anderem Namen)

Eine ernüchternde Bilanz!

Eingeschränkte Möglichkeiten

Im Sek II Bereich, vor allem im beruflichen Bereich hat sich dagegen sehr viel verändert. Durch die parallel entwickelte neue Verordnung für ausbildungsvorbereitende Bildungsgänge ist das Bildungsangebot deutlich reduziert. Gab es bisher mehrere Möglichkeiten, einen schulischen oder Bildungsweg zu gehen, sind die Möglichkeiten jetzt sehr eingeschränkt, insbesondere für die Jugendlichen mit schwächeren Abschlüssen im einfBBR/erwEBBR-Bereich, die vielleicht mehr Zeit brauchen. Jede und jeder, der oder die nicht einen reibungslosen Übergang schafft oder „auf den letzten Drücker“ noch einen Schulabschluss erhalten haben, werden in Praktikumsklassen gesteckt und erhalten am Ende des Schuljahres ein Allgemeines Zeugnis und die Bescheinigung, dass sie die Schulpflicht erfüllt haben. Diese Reduzierung des Bildungsangebotes ist gewünscht und erstrebt. Damit – scheint es - hat die JBA einen Teil ihrer Zielsetzung erfüllt.

Eine erschreckende Bilanz!

Zusätzliche Ansprache
Und die Jugendlichen?
Aus den Zielen der Jugendberufsagentur (Transparenz auf dem Ausbildungsmarkt Deputation SKB vom 29.11.2017):
Junge Menschen können aktiv angesprochen werden und erhalten Angebote zur Unterstützung;

  • Selbstverständlich kann es hilfreich für viele Jugendliche sein, wenn sie noch mal zusätzlich angesprochen werden, Unterstützung bei der weiteren Lebenswegplanung anzunehmen. Aber der Weg zu einer „fürsorglichen“ Belagerung oder „steuernden“ Beratung ist nicht weit – vor allem vor dem Hintergrund, dass Sanktionierungsinstrumente wie Kürzungen der Sozialhilfe oder die Androhung eines Bußgeldes aktiv eingesetzt werden.

 Die Zusammenarbeit der Partner vereinfacht den Zugang junger Menschen zu den Angeboten, die diese als einheitliches Unterstützungsangebot erfahren;

  • Solange nicht sichergestellt ist, dass die Beratung und Begleitung an den Interessen und der Motivationslage der Jugendlichen ansetzt, sondern an zufällig verfügbaren freien Plätzen in Maßnahmen oder Bildungsgängen, bleibt die Befürchtung des Missbrauchs und der Kontrolle. Solange die Zusammenarbeit nicht auf der Ebene der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter funktioniert, werden die Jugendlichen die Unterstützung nicht als einheitlich erfahren, sondern als eher zufällig und willkürlich

 Präventives und abgestimmtes Handeln ermöglicht bruchfreie Bildungs- und Erwerbsbiographien und senkt das Risiko der Jugendarbeitslosigkeit;

  • Dafür braucht es eine gute Bildung in Schule, überzeugende, bewährte und an den Jugendlichen orientierte Informations- und Ausbildungsangebote, eine große Vielfalt an Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten, sowie einen stabiler Ausbildungsmarkt.

 

Forderungen und Erwartungen:

Eine ganzheitliche, an den Interessen der Jugendlichen orientierte Unterstützungs- und Begleitungsinstitution kann hilfreich sein. Solche Beratungseinrichtungen sind dezentral strukturiert, haben einen durchgängig einladenden Charakter und bündeln eine Vielzahl an Unterstützungsangeboten. Sie arbeitet ohne irgendwelchen Sanktionierungsinstrumente oder Instrumentalisierungen und Steuerungen im Sinne der Schaffung und Erhaltung eines prekären Arbeitsmarktes.

Das Wissen und die Kompetenzen der Kolleginnen und Kollegen werden in die Prozesse und die Kooperationsbeziehungen einbezogen. Für die Zusammenarbeit stehen Zeit, Raum und Ressource bereit.

Mögliche Evaluations- und Statistikinstrumente sind – bei klarer Kriterien Beschreibung – transparent und überschaubar. Sie werden von unabhängigen Einrichtungen entwickelt, ausgewertet und veröffentlicht. Im politischen Raum ist eine breite, zieloffene Diskussion möglich. Ergebnisse fließen in politische Entscheidungsprozesse ein.