Die Universität Bremen ist mittlerweile in ihrem fünften Lebensjahrzehnt. Von der Gründungsphase im Jahr 1971 bis heute erlebte die Hochschule in Bremen-Horn sehr lebhafte, kontroverse Zeiten, oft begleitet durch massive Proteste gegen die Wissenschaftspolitik. Die BLZ hat deshalb politisch engagierte Studierende der Uni Bremen aus alten und aktuellen Tagen zu einem Gespräch über die Protestkultur im Wandel der Zeit eingeladen. Zugesagt haben:
Bernhard Docke studierte ab 1975 Jura, war ein Jahr im damaligen AStA und ist heute Strafrechtsanwalt. Er erhielt 2006 die Carl-von-Ossietzky-Medaille für sein Engagement für die Befreiung von Murat Kurnaz ausGuantanamo. Er ist Sozius der Kanzlei Hannover und Partner in Bremen.
Manuel Cordsen engagiert sich seit mehreren Jahren in der Hochschulpolitik, seit 2014 auch bei den DGB-Studis. Er studiert Sozialpolitik.
Tom Robin Hoffmann ist seit drei Jahren im AStA der Uni Bremen aktiv. Er engagiert sich im Referat für Hochschulpolitik und studiert Biologie und Kunst auf Lehramt.
BLZ: Was ist Ihr erster Gedanke, wenn Sie an ihre Studienjahre und ihr politisches Engagement an der Uni zurückdenken?
Bernhard Docke: Es mag aus heutiger Zeit etwas grotesk klingen, aber wir waren stolz auf unsere so genannte rote Kaderschmiede, die als Gegenmodell zu anderen Unis galt. In der studentischen Interessenvertretung haben wir die Erfahrung gemacht, dass man versucht hat, dieses Modell zu schleifen. Die Hauptidee der Drittelparität, also dass Dienstleister, Studierende und Hochschullehrer gleichberechtigt über Fragen von Forschung, Lehre und über alles was an der Uni passiert, entscheiden, wurde auch mit massivem bundesweiten Druck bekämpft. Wir Studenten nahmen das damals unwahrscheinlich wichtig. Wir fühlten uns als Mittelpunkt der Welt, letztlich war es ein Sturm im Wasserglas.
BLZ: Und wie ist die Situation an der Uni heute?
Manuel Cordsen: Die Uni hat noch immer einen relativ linken Ruf. Für mich war das auch ein Motiv in Bremen zu studieren. Nach dem Fall der Drittelparität gibt es allerdings ein anderes Bewusstsein. Unsere Kämpfe heute gehen hauptsächlich um Kürzungen wie beim wissenschaftlichen Mittelbau, um Stellenstreichungen. Ich kann mich noch gut an die Umgestaltung des Exzellenztransparentes durch Graffitikunst erinnern. Aus dem Wort Exzellenz wurde Exkrement.
Tom Robin Hoffmann: An der heutigen Uni ist vieles anders als früher. Der Sonderstatus, die Vorreiterrolle ist weg. Das avantgardistische Bewusstsein existiert nicht mehr. Jetzt ist eine völlig normale Uni geworden. Sie hat kein Alleinstellungsmerkmal mehr. In der Exzellenzinitiative werden ja leider nicht Unis ausgezeichnet, die progressive Gesellschaftspolitik machen, sondern Unis, die Drittmittel für die Forschung einwerben.
Bernhard Docke: Ja, das alte Modell ist geschliffen geworden. Die Uni Bremen hat sich in das bundesweite Hochschulgefüge eingefügt. Protestformen wie die Sprengung von Lehrveranstaltungen, die Besetzung von Räumen und Büros auch beim Senator waren ganz normal. Ich kann mich daran erinnern, dass wir das Gebäude des Wissenschaftssenators besetzt hatten und da übernachten wollten. Im Gerangel mit der Polizei stürzte der gelieferte Riesentopf mit Erbsensuppe und ergoss sich an meinen Unterschenkeln. Meine Beine wurden verbrüht.
Manuel Cordsen: Auch wir haben die eine oder andere Veranstaltung gesprengt, zum Beispiel haben wir vor einer offiziellen Sitzung des Rektorats das gesamte Mobiliar aus den Räumen entfernt, um die Kürzungsbeschlüsse zu verhindern.
BLZ: Welche Auswirkungen hatten die Aktionen damals und heute. Wie viel Macht hatten die Proteste?
Manuel Cordsen: Durch die Proteste und den medialen Druck wurden weniger Stellen gestrichen. Wir hatten bis zu 2000 Leute auf der Straße und bei der Vollversammlung. Kürzungen wurden abgefedert. Aber im allgemeinen, politischen Betrieb haben wir durch den Fall der Drittelparität weniger Macht. Gestaltungsmacht müssen wir eher über die Quantität erkämpfen, mit großer zahlenmäßiger Anwesenheit.
Tom Robin Hoffmann: Ohne Druck auf dem Campus und auf der Straße kann man nichts an der Uni verändern. Der sanfte Weg über Lobbyarbeit die Entscheidungsträger zu überzeugen, bringt keine Ergebnisse. Wie zum Beispiel bei der Verschärfung der Prüfungsordnung, die zu vielen Exmatrikulationen geführt hat. Eine Reform war so nicht möglich.
Bernhard Docke: Ich sehe Parallelen zu früher. Das klingt verwandt. Wir konnten wesentliche Änderungen an der Uni auch nicht verhindern, aber unser starkes Engagement hat dazu geführt, dass die Eingemeindung der Uni in die allgemeine Hochschullandschaft verzögert wurde und ein Stück weit der alte Geist noch heute lebt. Ich höre hier gerade heraus, dass ein bisschen davon noch übrig geblieben ist.