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Schwerpunkt

Ein normales Abitur unter unnormalen Umständen

Schülersprecher aus Bremerhaven kritisiert realtitätsferne Abiturorganisation

Wenn man sich vorstellt, was alles passieren müsste, damit die Reaktionsinstitution KMK (lang: „Kultusministerkonferenz“) sich dazu entscheidet, die Prüfungen maßgeblich an die herrschenden Verhältnisse anzupassen oder für eine Erhöhung der Bildungszeit ihrer Schüler*innen entfallen zulassen, dann scheint eine Pandemie globalen Ausmaßes nicht auszureichen. Es müsste also mehr passieren als lange Schulschließungen, massiv eingeschränkter Unterrichtsbetrieb, mangelhafter Distanzunterricht und ein hohes Infektionsrisiko an den Schulen.

Als Entgegenkommen verkauft

Aber es wurde reagiert: Eine verlängerte Prüfungszeit und beigefügte Operatorenlisten sollen den ausgefallenen Unterricht kompensieren. Man bekommt folglich mehr Zeit, um die Frage nach dem, was man nicht gelernt hat, besser zu verstehen. Vom Wirrwarr um die zwei Prüfungstermine ganz zu schweigen. Mehr war allerdings auch nicht zu erwarten, nachdem uns Bildungssenatorin Claudia Bogedan diese „Anpassungen“ als historisch und als massives Entgegenkommen verkaufen wollte. Mehr war wahrscheinlich auch nicht in den Sphären der KmK zu machen. Sich ausnahmsweise am Schülerinteresse in Form eines Durchschnittsabiturs, für welches die Abschlussnote auf Basis der Ergebnisse der letzten vier Schulhalbjahre berechnet würde, zu orientieren, scheint von nahezu keinem der 16 Bildungssenator*innen und Kultusminster*innen in Erwägung gezogen worden zu sein. Nicht grundlos fragen wir jungen Menschen uns, wofür es diese Einrichtung der KMK benötigt, wenn sie nicht einmal in Krisenzeiten eine Ausnahme vom strengen Korsett, was sich Abitur schimpfen sollte, macht. Stattdessen hält man weiter an der Abstraktion von jeglichen Realitäten und individuellen Umständen qua zentraler Abschlussprüfungen fest und erwartet, dass die Abiturient*innen, die glücklicherweise das Wahlmindestalter schon erreicht haben, sich in naher Zukunft von ihrer Forderung nach gerechten Bildungsabschlüssen in Zeiten einer globalen Pandemie kritisch distanzieren.

„Immer schon so gemacht“

Dieser Konservatismus in Bezug auf die Abschlussprüfungen („Wir haben es ja schon immer so gemacht“) kann und muss abgeschafft werden. Die Abiturjahrgänge 2022-20xx sehen sich in ihrer Lernzeit stark eingeschränkt und je länger die Pandemie anhält, desto stärker sind auch die Auswirkungen auf die Bildungslaufbahn der Schüler*innen. Diese Auswirkungen gilt es zu mindern und das schafft man nur, wenn endlich anerkannt wird, dass das programmgemäße Durchführen von Abschlussprüfungen nicht notwendige Bedingung für den Bildungserfolg ist.

Lennox Püchel (18), Mitglied des Stadtschülerrings Bremerhaven und Schülersprecher am Lloyd Gymnasium in Bremerhaven