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50 Jahre Berufsverbote

Ein Aufruf zur Denunziation

Oberschulrat Eisenhauer und sein besessener Kampf

Foto: Karsten Krüger

„Sie haben im Februar 1975 an einer Vietnamveranstaltung des Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) und am 1. Mai 1975 an der KBW-Maidemonstration teilgenommen. Sie haben am 22. Mai 1975 vor dem Bremer Hauptbahnhof die Kommunistische Volkszeitung (KVZ), das KBW-Zentralorgan, verkauft. Sie haben mit anderen Lehrkräften am 8. August 1975 eine ‚Information über die laufenden Disziplinierungen von Bremer Lehrern‘ herausgegeben. Was wollten Sie damit erreichen?“ Diese und ähnliche Fragen sollten in sogenannten Dienstgesprächen zwischen dem Schulaufsichtsbeamten und der betroffenen Lehrkraft erörtert werden. Ein Rechtsanwalt sollte nicht anwesend sein, da das Gespräch in ‚vertrauensvoller‘ Atmosphäre stattfinden sollte. Der Katalog von Fragen, den mir Oberschulrat Eisenhauer vorlegte, umfasste 17 Fragen, die in dem Dienstgespräch einzeln abgearbeitet wurden.

Nicht ohne Rechtsanwalt

Das im Juni 1975 von Eisenhauer angeordnete Dienstgespräch konnte aber nach meinem Widerspruch erst im November stattfinden, nachdem in zweiter Instanz das Oberverwaltungsgericht Bremen entschieden hatte, dass ein Rechtsanwalt beim Dienstgespräch zuzulassen sei. Die Senatskommission für das Personalwesen hatte Widerspruch gegen die Anwesenheit eines Rechtsanwalts beim Dienstgespräch eingelegt, scheiterte beim Verwaltungsgericht und auch in der Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht. Wie wichtig der Beistand eines Rechtsanwalts war, habe ich bei dem Gespräch erfahren, wenn der Rechtsanwalt nach Rücksprache mit mir Fragen abwies oder modifizierte, um dem Inquisitor kein Einfallstor zu bieten, das mich in eine verzwickte Lage gebracht hätte. Zweck eines solchen Gesprächs war weniger das rechtliche Gehör (stimmen die vom Verfassungsschutz der Behörde mitgeteilten Erkenntnisse?), sondern vor allem das Aushorchen über Gesinnung und Auffassungen des Bewerbers. Somit würden weitere Fakten geschaffen, die dann zur Verwendung für die Bewährungsbeurteilung herangezogen würden. Weigerte sich der Betroffene solche Ausforschungsfragen zu beantworten, war es auch zu seinem Nachteil: dann verblieben eben weiterhin Zweifel am jederzeitigen Eintritt für die freiheitliche Grundordnung.

Hatz auf Kollegen

Es mussten aber gerichtsverwertbare Tätigkeiten sein, die von der Behörde gesammelt und vor den Gerichten Bestand haben sollten. Demnach musste der Kreis der potentiellen Informanten der Behörde vergrößert werden. Die Hatz auf Kollegen, deren Verfassungstreue bezweifelt wurde, sollte intensiviert werden. Oberschulrat Eisenhauer, seinerzeit Leiter der Schulaufsicht, war geradezu besessen davon, solche Kollegen aufzuspüren und aus dem Schuldienst zu entlassen. Er schrieb eine Anleitung (Rundschreiben 196/75 V), den sogenannten Eisenhauer-Brief, in dem er zur Bespitzelung und Denunziation aufforderte. Es heißt dort: „Bei einer Bewährungsbeurteilung ist der Schulleiter neben eigenen Beobachtungen u.a. bei schulischen und außerschulischen öffentlichen Veranstaltungen auch auf Mitteilungen von Kollegen, Schülern und Eltern angewiesen. Hat der Schulleiter Zweifel, sollte er dem nachgehen. Je offener und direkter dies geschieht, desto schneller zerfällt der Vorwurf der ‚Schnüffelei‘ oder ‚Zuträgerei‘.“

„Trompete unter dem Arm“

Eventuelle Skrupel, die bei dem schäbigen Geschäft der Bespitzelung auftreten könnten, versuchte er zu zerstreuen, wenn es heißt: „Dieser Vorwurf der Schnüffelei ist ohnehin Ausdruck einer angsterzeugten und angsterzeugenden Tabubildung; ein solches Tabu ist aber in dem Bereich politischer Aktivität unangebracht. In dieser Hinsicht haben wir alle noch viel zu lernen.“ Wie viele Schulleiter dieser unverhohlenen Aufforderung zur Denunziation gefolgt sind, konnte man schlecht ermessen, die Mehrheit jedenfalls nicht. Mein damaliger Schulleiter Dr. Koch am Alten Gymnasium hat diesen schäbigen Ratschlag nicht befolgt, obwohl er Mitglied im ‚Bund Freiheit der Wissenschaft‘ war. Allerdings gab es einige Beispiele an der Schule, wie Denunziation in meinem Fall funktionierte.  Ein Vorgang zeigte, wie Fakten geschaffen und zusammengetragen wurden: Eine Kundgebung des KBW vor der Bürgerschaft gegen Fahrpreiserhöhungen wurde von einem CDU-Abgeordneten beobachtet, der mich mit einer Trompete unter dem Arm erkannte, denn er war Elternsprecher in meiner Klasse. Er rief OSR Eisenhauer an, um ihm diese Entdeckung mitzuteilen. Dieser hielt in seiner Akte fest, dass Koke bei dieser KBW-Demonstration mitgewirkt habe. Daraus ergäbe sich, dass Koke weiterhin für den KBW aktiv sei. Diese Notiz hat Eisenhauer vergessen aus meiner Akte herauszunehmen.

„Solche Lehrer wollen wir nicht sein“

Die Empörung in den Bremer Schulen über den unsäglichen Eisenhauer-Brief war groß, denn dieser Erlass sah eine weitreichende Einschränkung der demokratischen Rechte der Lehrer vor. Der Erlass war an die Schulleiter gerichtet, den Lehrern wurde dieses für sie immens wichtige Schreiben nicht zur Kenntnis gebracht, was aber durch den Referendarrat am Studienseminar vereitelt wurde, denn er veröffentlichte dieses Dokument unter dem Titel „So nicht, Herr Eisenhauer, solche Lehrer wollen wir nicht sein! – Dokumente zur Gesinnungsschnüffelei und zum Berufsverbot.“ Senator Thape versuchte gegen die Herausgeber disziplinarrechtlich vorzugehen, denn die Veröffentlichung sei in ‚rufschädigender Absicht‘ gegenüber OSR Eisenhauer vorgenommen worden. Die Androhungen der Behörde haben im Gegenteil die eindeutige Verurteilung des Schreibens nicht verhindern können. Zahlreiche Beschlüsse wurden in GEW-Betriebsgruppen und auf Gesamtkonferenzen an vielen Schulen gefasst, die die angekündigte Praxis der Bespitzelung und Gesinnungsschnüffelei verurteilt