Schwerpunkt
Ein andauernder Rechtsbruch
Die Bildungsbehörde spielt bei der vorgeschriebenen Arbeitszeiterfassung in Schulen auf Zeit
Das bildungsmagaz!n hat die Vorsitzenden des Personalrats Schulen, Elke Suhr für Bremerhaven und Jörn Lütjens für Bremen, zum Gespräch gebeten. Die Gremien müssen sich schon lange mit der Arbeitszeiterfassung in Schulen befassen, weil es – trotz mehrerer eindeutiger Urteile – mit der Umsetzung der Vorgaben durch die Arbeitgeber in den beiden Städten nicht klappt.
Nach den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs 2019 und des Bundesarbeitsgerichts 2022 besteht beim Thema Arbeitszeiterfassung Handlungsbedarf. Was ist danach im Land Bremen passiert?
Jörn Lütjens: Nach dem BAG-Urteil 2022 haben wir dem Arbeitgeber gesagt „Jetzt mach‘ bitte“. Da wurden wir vertröstet. Es gab kein Entgegenkommen. Unsere Reaktion war dann: „Ihr müsst aber“. Das haben wir ein Jahr lang wiederholt. Dann plötzlich gab es einen Schwenk beim Staatsrat Torsten Klieme und Signale, dass sie es angehen wollen. Eine Arbeitsgruppe wurde eingerichtet, zuerst ohne Bremerhaven. Ab Ostern 2024 dann mit Vertreter:innen aus beiden Städten. Es wurde nur über einzelne Aspekte der Arbeitszeiterfassung beraten. Es blieb alles im Ungefähren. Es wurde ein Projektmanager genannt, ein persönliches Gespräch mit ihm kam nicht zustande. Die Bildungshörde hat mitgeteilt, dass sie eine Lösung nur im Verbund mit anderen „willigen Bundesländern“ anstreben wolle. Ergebnisse aus diesen Länder-Treffen wurden nie mitgeteilt.
Aber es gab die Idee der Bildungsbehörde, mit Pilotschulen die Arbeitszeiterfassung zu starten.
Lütjens: Ja, stimmt. Man hätte natürlich auch mit allen Schulen starten können. Aber das wollten sie nicht und meinten, das sei zu kompliziert, gerade für Lehrkräfte. Es wurde in der Arbeitsgruppe auch nur über Lehrkräfte geredet. Wir haben gesagt, dass es um alle Beschäftigten geht. Und dann sagte Staatsrat Klieme, dass er jetzt „ganz stark auf die Bremse tritt“. Das war der Zeitpunkt, als Klieme von der Kultusministerkonferenz (KMK) eingenordet wurde. Daraufhin hat der Personalrat Schulen einen Initiativantrag gestellt. Es gab zuletzt eine Schlichtung. Es wurde uns inhaltlich kein Angebot gemacht, sondern nur die Nichteinigung festgestellt. Nichts anderes. Das ist ein Spiel auf Zeit. Ihnen ist klar, dass sie sich bewegen müssen, aber sie wollen nicht unser Tempo. Es wurde kein anderer Zeitrahmen vorgeschlagen. Sie wollten es einfach nur abblocken.
Wie waren die Geschehnisse in Bremerhaven? Gab es Unterschiede zu Bremen?
Elke Suhr: Der Arbeitgeber in Bremerhaven ist ein anderer als in Bremen. Wir verhandeln mit dem Magistrat. Aber der wird kein Arbeitszeiterfassungsmodell nur für eine Stadtgemeinde machen. Das ist dann wieder eine Landessache. Als wir mitbekommen haben, dass es da eine Landesarbeitsgruppe gibt, haben wir die Mitbestimmung für Bremerhaven in Bremen eingefordert. Erst mit unserer eingeforderten Beteiligung wurde auch der Magistrat beteiligt. Er war also genauso wie der Personalrat Schulen Bremerhaven lange außen vor, obwohl es um eine Landesangelegenheit geht. Wir als Personalräte haben immer gesagt, es muss erst mal nur die Arbeitszeit erfasst werden. Es gab von der Bildungsbehörde sehr engstirnige Vorgaben, was alles keine Arbeitszeit ist, wie zum Beispiel – kein Scherz – der kurze Blick aus dem Fenster. Sie versuchen alles, um Arbeitszeit weg zu definieren. Es gibt aber ein Grundsatzurteil aus Lüneburg. Danach ist alles Arbeitszeit, was Lehrkräfte als Arbeitszeit aufschreiben. Punkt. Das kannten sie in der Arbeitsgruppe noch nicht. Dann gab es parallel den Druck aus der KMK. Auf einmal kamen keine Einladungen mehr zur Arbeitsgruppe. Der Magistrat wollte abwarten, was in Bremen passiert, aber da passiert ja auch gerade wenig.
Das hört sich nach Stillstand an. Aber wie könnte man da wieder Bewegung rein bekommen?
Suhr: Wir in Bremerhaven diskutieren im Personalrat, ob die Arbeitszeiterfassung in Schulen genauso eingeführt werden soll wie für alle anderen Beschäftigten des Magistrats. Es geht bei dem Mitbestimmungsvorgang nicht mehr um das „Ob“, sondern um das „Wie“ der Umsetzung. Die Frage ist lediglich, ob es eine App, einen Chip oder handschriftliche Notizen gibt, um die Arbeitszeit zu dokumentieren.
Die Schlichtung in Bremen ist gescheitert. Wie geht es weiter? Wird es eine Einigungsstelle geben?
Lütjens: Ja, wir rufen die Einigungsstelle an. Das war von Anfang an der Plan. Die Frage ist, ob sie zustande kommt. Die Behörde argumentiert, dass wir gar keinen Initiativantrag stellen durften und dass er deshalb nicht einigungsstellenfähig ist. Die Finanzbehörde, die die Einigungsstellen organisiert, spricht sich oft mit der Bildungsbehörde ab, ist also häufig arbeitgebernah. Wir müssen da durchkommen, das ist die erste Hürde.
Suhr: Wir beraten im Personalrat, wie wir mit den Erfahrungen aus Bremen umgehen. Wir werden einen anderen Weg einschlagen, der dann auch Auswirkungen auf Bremen haben kann. Aber Details sage ich lieber noch nicht, damit der neue Dezernent Hauke Hilz nicht durch unser Magazin vorgewarnt wird.
Das ist ja ein ständiges Hin und Her, ein Gezerre.
Suhr: Das ist ein Rechtsbruch. Seit 2019 muss erfasst werden. Recht haben und Recht bekommen ist leider nicht das Gleiche.
Lütjens: Auf diesen Rechtsbruch könnte man mit einer Feststellungsklage reagieren. Dadurch könnte negative Publicity für die Bildungsbehörde entstehen. Wenn das leidige Spielchen so weitergeht, dann müssen wir das über die Öffentlichkeit voranbringen.
Stimmt der Eindruck, dass die Behörde dann am ehesten reagiert, wenn Medien eingeschaltet werden?
Lütjens: Man muss es als das darstellen, was es ist. Das ist eine komplette Missachtung der Beschäftigtenrechte, ein Ignorieren der Tatsache, dass Jahr für Jahr Unmengen von Überstunden gemacht werden, die nicht ausgeglichen werden. Die Beschäftigten werden gesundheitlich belastet, das wird alles in Kauf genommen, nur weil sie politisch nicht an die Arbeitszeiterfassung heranwollen, weil sie nicht für die nötigen Geldmittel sorgen wollen und weil sie Angst haben, dass sie nicht das Personal bekommen. Es ist ein politisches Versagen. Das muss klargestellt und die Verantwortlichen müssenüber die Öffentlichkeit zur Rechenschaft gezogen werden.
Suhr: Es ist gut, wenn öffentlichkeitswirksame Aktionen geplant werden. Die Personalräte beider Stadtgemeinden und die GEW müssen hier mit einer Stimme sprechen.
Wie ist denn die Stimmung in den Kollegien?
Lütjens: Wir hatten gerade große Teilpersonalversammlungen. Die übergroße Mehrheit wünscht sich eine Arbeitszeiterfassung. Das war das klare Feedback. Und es ist bemerkenswert, dass Arbeitnehmer:innen in so großer Anzahl für eine Arbeitszeit-erfassung sind, denn einige befürchten, dass sie mit der Erfassung kontrolliert werden könnten.
Suhr: Es gibt so viele, die sagen, wir arbeiten zu viel. Die Leute kriechen am Stock. Der Arbeitsschutz kommt zu kurz. Die Arbeitszeiterfassung hat in diesem Zusammenhang einen weiteren Vorteil. Den Beschäftigten wird dann bewusst, wie viel sie eigentlich arbeiten. Und dass sie ständig über ihre eigenen Grenzen gehen.
Lütjens: Ja, die Beschäftigten neigen zur Selbstausbeutung.
Wie sieht ein positives Szenario aus, das ihr als Personalräte unterschreiben würdet?
Suhr: Kurz und knapp. Die Arbeitgeber müssen einfach mit der Arbeitszeiterfassung anfangen. Das geltende Recht muss umgesetzt werden.
Lütjens: Ja, die Geschwindigkeit ist wichtig. Es darf nicht noch zwei Jahre dauern. Wichtig ist, ins Machen zu kommen.
Und was ist realistisch? Wo stehen wir im Jahr 2026 bei diesem Thema?
Lütjens: Es ist alles andere als einfach, Arbeitszeiterfassung umzusetzen, aber ich hoffe, dass wir in zwei Jahren bei einem Großteil der Beschäftigten Arbeitszeit erfassen. Wir werden nicht warten, bis der Arbeitgeber sich rührt. Wir werden den Druck schrittweise weiter erhöhen.
Suhr: Ich hoffe auf eine Dienstvereinbarung, die gerade in Hessen verhandelt wird. Wenn die umgesetzt wird, dann läuft dort die Arbeitszeiterfassung. Das würde uns mächtig Rückenwind geben. Ich wünsche unseren hessischen Kolleg:innen deshalb viel Erfolg. Wenn erst mal ein Bundesland beginnt, dann könnte das der Durchbruch sein.
Im Jahr 2027 ist Bürgerschaftswahl. Kann die Politik das Thema bis dahin aussitzen?
Lütjens: Ich glaube schon, dass Aussitzen die Strategie ist. Ob das mit Blick auf die Wahl sinnvoll ist, sei dahingestellt. Die Grünen und die CDU zum Beispiel haben sich im Gespräch mit uns klar für die Arbeitszeiterfassung mit allen möglichen Konsequenzen ausgesprochen. Wir müssen dafür sorgen, dass das Thema weiter eine Rolle spielt und sich in Wahlprogrammen wiederfindet.
Suhr: Die Arbeitgeber wissen, dass es mit einer Erfassung zu einer Arbeitszeitreduzierung kommen müsste. Sie ignorieren, dass, wenn weniger gearbeitet wird, effektiver gearbeitet werden kann. Man wird auch seltener krank. Das alles ist mit vielen Studien belegbar.