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Schwerpunkt

Eigentlich ist alles klar

Die Arbeitszeiterfassung ist eine höchstrichterlich längst geklärte Frage

Grafik: unsplash.com

Darüber, dass der Dienstherr oder andere Arbeitgeber am Zug sind, gibt es keinen Zweifel. Die Arbeitszeit muss erfasst werden. Und das schon seit 2019. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Mitgliedstaaten vor fünf Jahren aufgefordert, Arbeitgebern ein „objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung“ vorzuschreiben. Ohne Arbeitszeiterfassung kann der Arbeitgeber nicht dafür sorgen, dass die entsprechenden Schutzvorschriften der EU-Arbeitszeitrichtlinie eingehalten werden. Und ohne Arbeitszeiterfassung können die Beschäftigtenvertretungen ihre Kontrollfunktion nicht wirksam ausüben. 

BAG bestätigt EuGH

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat das EuGH-Urteil 2022 voll umfänglich bestätigt. Diese Verpflichtung gilt für alle und überall, auch im öffentlichen Dienst, auch bei Lehrkräften, auch bei Beamtinnen und Beamten. Die Erfassung der Arbeitszeit ist in weiten Teilen des öffentlichen Dienstes schon lange üblich. Nur in Schulen gibt es einen rechtlichen Rahmen, der bisher nicht zur aktuellen Rechtsprechung passt. Lehrkräfte haben eine Unterrichtsverpflichtung und der Dienstherr einen Gestaltungsspielraum, wie er das Verhältnis zwischen der Arbeitszeit für die Erledigung der Unterrichtsverpflichtung und derjenigen für die Erledigung der sonstigen Arbeiten einer Lehrkraft einschätzt. Aber der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.

Die Länder bremsen

Die GEW fordert deshalb die 16 Landesregierungen auf, unverzüglich Verhandlungen mit den Mittbestimmungsorganen und den Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes aufzunehmen, um das EuGH-Urteil im jeweiligen Beamtenrecht zu verankern. Denn die Länder müssten eigentlich schon längst die gültige Rechtsprechung umsetzen. Aber genau das unterlassen sie. Stattdessen spielen die Kultusministerien auf Zeit, auch Bremens Bildungssenatorin Sascha Aulepp. Sie kündigte im Februar an – gemeinsam mit anderen Bundesländern – eine Pilotstudie zur Erfassung der Arbeitszeit von Lehrkräften durchführen zu wollen. Erreicht werden sollen „moderne Arbeitszeitmodelle, die gerecht und flexibel sind“. Dies sei „fast eine Revolution“, so Aulepp. Passiert ist bisher nichts. Dabei würde eine einfache Erfassung in Stunden und Minuten vollkommen ausreichen.

Die Angst vor der Realität

Bremens Bildungsstaatsrat Thorsten Klieme gestand in Sachen Arbeitszeiterfassung Handlungsbedarf ein, nicht nur wegen der Rechtsprechung. Die Zeit sei „wahrscheinlich tatsächlich reif“ dafür. Allerdings machte Klieme keinen Hehl daraus, dass er um eine stabile Unterrichtsversorgung fürchtet. Zu Recht, denn wenn Lehrkräfte nach absolvierten 40 Stunden in der Woche die Arbeit einstellen würden, dann gäbe es noch viel mehr Unterrichtsausfall als sowieso schon. Mehrere Arbeitszeitstudien in den vergangenen Jahren haben deutlich aufgezeigt, dass Lehrkräfte im Durchschnitt weit mehr arbeiten, auch wenn man die Ferienzeiten mit einrechnet. Denn neben dem Stundendeputat müssen Lehrkräfte immer mehr unterrichtsferne Aufgaben erledigen. Das ist ein wesentlicher Grund für Mehrarbeit.

Unterrichtsverpflichtung runter

Und weil die verantwortlichen Bildungspolitiker:innen das alles ahnen, befürchten oder sogar wissen, treten sie beim Thema Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte auf die Bremse. Sie müssten stattdessen mächtig Gas geben. Aber die Bildungsarbeitgeber zögern aus Angst vor den drohenden Konsequenzen, nämlich der dann gebotenen Vermeidung von Mehrarbeit. Und das ist gar nicht schwer: Unterrichtsverpflichtung runter oder Lehrkräfte von Zusatzaufgaben radikal entlasten. Beides derzeit – leider – komplett unrealistisch.