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Iran-Revolte

„Diese Generation hat ihre Angst abgelegt!“

Ein Gespräch mit Parisa F. und Padideh F. über die Proteste im Iran

Sie sind vor Jahren aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet, leben und arbeiten in Bremen, die eine als Ärztin, die andere als Ingenieurin. Im Gespräch mit dem Bildungsmagazin berichten Parisa F. und Padideh F. über ihre Erfahrungen während der Machtübernahme Khomeinis und ihre Einschätzung der gegenwärtigen Situation. Heute wollen sie im Ausland die Stimme der iranischen Protestierenden sein, die seit dem Tod von Jina Mahsa Amini auf die Straße gehen.

Wie habt ihr den Umsturz 1979 erlebt?

Padideh: Ich war Dreizehn, als die 'Revolution' ausbrach. Als ein Jahr später der Kopftuchzwang verhängt wurde, ist meine Mutter auf Demonstrationen gegangen, um sich dagegen zu wehren. Ich hatte immer Angst um sie. Die letzte Instanz von Frauenwiderstand war das Auto, eine Zeit lang konnte man sich sicher sein, dass man während der Fahrt kein Kopftuch zu tragen brauchte. Irgendwann haben sie angefangen, die Autos anzuhalten. In einigen Fällen wurde unverschleierten Frauen Säure ins Gesicht gespritzt. Ich erinnere mich an einen Moment, wo wir im Stau standen und ich meine Mutter angefleht habe, weiterzufahren, weil von weitem schon die Sittenpolizei zu sehen war.

Das vorherrschende Gefühl in dieser Zeit war Angst. Ich kann mich an Szenen erinnern, als die Verhaftungen angefangen haben. Wir waren eine politische Familie und hatten Bücher und verbotene Schriften. Wir mussten sie heimlich in der Badewanne verbrennen. Es waren so viele Bücher, dass die Wanne zerbrochen ist. Die Angst war allgegenwärtig. Alle demokratischen, oppositionellen Familien kennen solche Geschichten. Mit sechzehn habe ich Flugblätter verteilt, wurde von regierungstreuen Männern verfolgt und mit dem Messer bedroht. Auch ein zweistündiges Verhör musste ich über mich ergehen lassen. Mit siebzehn Jahren habe ich beschlossen, den Iran zu verlassen und bin alleine nach Deutschland gegangen.

Parisa: Eine meiner Erinnerungen stammt aus der Schule. Es wurden damals regimetreue Erziehungsorgane zur Überwachung der Schulen gebildet. Sie konnten auch den Lehrkräften Anweisungen erteilen oder Lehrerinnen wegen ihres Schleiers zurechtweisen. Heute noch habe ich die Gesichter dieser Leute vor Augen – bösartige, aggressive Gesichter. Sie suchten, unter anderem anhand von Kleidung, nach sogenannten Taghouti, also Menschen, die sie als verwestlicht ansahen. Um zu verhindern, dass wir 'Verbotenes' mitbringen, durften diese Kontrolleure uns abtasten, dabei ging es nicht nur um Politisches sondern auch um Dinge wie Lippenstift und Kassetten. Deosprays, wie Teenager sie haben, waren verboten. Solche Leibesvisitationen waren alltäglich. Wenn sie etwas fanden, bekamen wir Minuspunkte. Irgendwann hatten wir Angst, zur Schule zu gehen.

Meine schlimmste Erfahrung ist, dass meine Freundin, ihre Schwester und ihr Schwager hingerichtet worden sind. Ihre Schwester war schwanger. Das ist für mich immer noch sehr präsent.

Was ist für euch das Neue an der Revolution jetzt?

Padideh: Da gibt es mehrere Faktoren. Es geht nicht mehr nur um den Schleierzwang, sondern weit darüber hinaus. Das Ziel im Lande ist ein Wechsel des Systems und ein Ende des Regimes. An den Protesten nehmen alle Schichten teil, im Mittelpunkt steht allerdings die, wie man sie nennt, Generation Z. Sie hat ihre Ängste abgelegt, das ist erstaunlich und hängt wohl mit einer steigenden Perspektivlosigkeit zusammen. Im Zuge der Sanktionen konnten sich die Eliten unglaublich bereichern, die Mittelschicht ist weiter verarmt. Gleichzeitig herrscht starke Inflation. Unzufriedenheit mit Wahlbetrug und religiöser Unterdrückung hat schon früher Leute auf die Straße gebracht. Heute kommt noch diese Perspektivlosigkeit hinzu. Der Protest hat die Massen erfasst. Deshalb glaube ich an den Wandel, vielleicht nicht morgen, aber auf lange Sicht ist er nicht mehr aufzuhalten. Junge Menschen berichten oft in Interviews, dass sie keine Zukunft mehr für sich sehen. Die Verzweiflung ist so groß, dass sie bereit sind, auf die Straße zu gehen und erschossen zu werden.

Parisa: 2009 hofften die Demonstrierenden noch auf Reformen innerhalb des Systems. Vor drei Jahren führten steigende Benzinpreise zu Aufruhr und es wurden Tausende erschossen. Zu den Versprechen der islamischen Republik hatte immer die günstige Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Energie gehört. Ärmere und wenig gebildete Schichten hatte das ans Regime gebunden. Nun kam es auch zum Bruch mit diesen Leuten. Viele von ihnen haben sich dem Widerstand angeschlossen.

Spielen die digitalen Medien auch eine Rolle?

Padideh: Auf jeden Fall. Nicht nur für die Demonstrationen, auch der Luxus der Oberschichten lässt sich nicht mehr verheimlichen. Die Kinder der Mullahs und Generäle werden oft zum Studieren in den Westen geschickt, feiern Parties in St. Tropez und haben Yachten in Kanada. Sie pflegen einen modernen Lebensstil, werden dabei aber regelmäßig fotografiert und auf Seiten wie 'The Rich Kids of Iran' gestellt.

Viele iranische Stimmen beklagen die Gleichgültigkeit der Deutschen.

Parisa: Vor einigen Wochen habe ich das auch so empfunden, mittlerweile wird die Unterstützung stärker, bleibt allerdings noch etwas zögerlich. Manche Leute glauben nicht, dass ihre Hilfe etwas bringt. Sie fragen, wie oft sich die Frauen ihre Haare noch abschneiden sollen. Ich möchte dem klar widersprechen: Wenn die Menschen im Iran Solidaritätszeichen aus dem Ausland sehen, bekommen sie noch mehr Mut und Kraft, weiterzumachen. Mein Dank gilt in diesem Zusammenhang den Bremer Theatern, die uns zwei Abende zur Verfügung gestellt haben. Das Theater am Goetheplatz gehörte zu den ersten Institutionen, die das Banner mit 'Frau. Leben. Freiheit' aufgehängt haben. Das schafft Aufmerksamkeit. Wir planen weitere Aktionen.

Was können wir zur Unterstützung der Revolution tun?

Padideh: Auch in den europäischen Ländern gibt es Probleme und wir können nicht erwarten, dass alle Aufmerksamkeit sich auf den Iran richtet. Manche Menschen sind guten Willens, wissen jedoch wenig über die Lage im Land. Wir Iranerinnen im Exil haben deshalb auch die Aufgabe, zu informieren. Zudem müssen wir uns Verbündete schaffen. Ein wichtiges Feld sind die Sozialen Medien. Durch Projekte wie Snowflake können wir die iranische Zensur unterlaufen und Zugang zum Internet ermöglichen. So dass wir die Menschen dort sehen können und sie uns – das kann Leben retten! Auch Schulen führen Aktionen durch, indem sie etwa das Lied Baraye einstudiert und die Aufnahme ins Netz gestellt haben. Durch viele solcher Aktionen können wir dazu beitragen, dass die Flamme nicht erlischt.