GEW Bremen
Die zivile Orientierung der Hochschulen ist sinnvoll und notwendig
Ein Antrag der CDU-Fraktion, die Zivilklausel im bremischen Hochschulrecht abzuschaffen wird heute in der Bürgerschaft diskutiert (Drs. 21/370).
Dazu stellt die GEW fest: Mit fast schon ritueller Regelmäßigkeit wird von verschiedenen Seiten die Forderung erhoben, die Zivilklausel im Bremischen Hochschulgesetz abzuschaffen. Dabei wird behauptet, die im Bremischen Hochschulgesetz enthaltene Zivilklausel sei nicht mehr zeitgemäß und Militärforschung an Hochschulen sei unabdingbar. Die GEW Bremen nimmt dies zum Anlass, auf einige Aspekte hinzuweisen, die von Kritiker*innenn der Zivilklauseln ausgeblendet oder geleugnet werden:
1. Zivilklauseln sind Beschlüsse der Hochschulen
Der kritisierte Paragraph 7b („Zivilklausel“) wurde erst im Jahr 2015 in das Bremische Hochschulgesetz (BremHG) aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die staatlichen Bremischen Hochschulen in ihren Gremien längst schon in eigener Initiative konkrete Beschlüsse gefasst, nach denen sie jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung ablehnen (z.B. Universität Bremen 1986, Hochschule Bremen 2012), sich dem Frieden verpflichten und ihre Tätigkeiten auf zivile Zwecke konzentrieren (z.B. Universität Bremen 1991, Hochschule Bremerhaven 2012). Dieses Selbstverständnis findet sich teilweise auch in den Leitbildern bzw. Leitzielen der Hochschulen.
Ralf Streibl, Sprecher der Fachgruppe Hochschule und Forschung des GEW-Landesverbands Bremen bringt es auf den Nenner: „Ich bin froh, dass sich die Universität Bremen bereits 1986 – als erste Universität in Deutschland – durch einen Beschluss im Akademischen Senat solch eine Selbstverpflichtung gab, diese mehrfach (1991 und 2012) erneuerte und präzisierte. Und in der 2023 einstimmig im Akademischen Senat beschlossenen Neufassung ihres Leitbilds hat die Universität erneut bestätigt: »Wir sind Demokratie und Frieden verpflichtet und verfolgen nur zivile Zwecke«“.
GEW-Landesvorstandssprecher Fabian Kinz ergänzt: „Es ist somit keineswegs so, dass die Zivilklauseln erst durch eine Änderung des Hochschulgesetzes initiiert wurden. Vielmehr hat das Hochschulgesetz bestehende Beschlusslagen und selbstbestimmte Entwicklungen an den Hochschulen als Impuls aufgenommen.„“
2. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler übernehmen Verantwortung
Das BremHG gibt den Hochschulen keine spezifische Zivilklausel vor. Es fordert sie vielmehr auf, sich selbst aktiv damit auseinanderzusetzen. Und dies ist nichts wirklich Neues. Denn das BremHG bringt in seinem Paragraph 7 schon sehr viel länger und erfrischend klar zum Ausdruck, dass zu Wissenschaftsfreiheit integral auch die Verantwortung gehört, sich mit Folgen und Auswirkungen des eigenen Tuns auseinanderzusetzen. Wörtlich heißt es dort u.a.: „Alle an Forschung und Lehre Beteiligten haben die gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnisse mitzubedenken. Werden ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit an der Hochschule Forschungsmethoden oder -ergebnisse bekannt, die die Menschenwürde, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, das friedliche Zusammenleben der Menschen oder die natürlichen Lebensgrundlagen bedrohen können, soll dies öffentlich gemacht und in der Hochschule erörtert werden.“
Ralf Streibl betont: „Die explizite Forderung nach öffentlichen Verantwortungsdiskursen im Bremischen Hochschulgesetz verdeutlicht, dass das Gesetz mitnichten ein »bürokratisches Hindernis« darstellt, welches militärischer Forschung an den Hochschulen im Weg steht, so wie es die CDU in ihrem aktuellen Antrag zur Abschaffung der Zivilklausel behauptet.“
Denn anders als Kritiker*innen von Zivilklauseln es oft darstellen, wirken diese an Hochschulen ja nicht als staatliche Anordnung, sondern es handelt sich um Selbstverpflichtungen, die letztendlich dazu führen, auf der Suche nach einer kompetenten Entscheidung individuelle, fachspezifische, institutionelle und gesellschaftliche Verantwortungsebenen in Bezug zueinander zu setzen. Im ersten Schritt sind hier zunächst jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler individuell gefragt und bei ambivalenten Forschungsvorhaben die ganze Institution. „Öffentliche Diskurse erlauben es, Hintergrund, Rahmenbedingungen, Ziele und mögliche Folgen von Projekten und Forschungsvorhaben im Austausch mit Kolleg*innen, Studierenden sowie mit der Öffentlichkeit genauer zu beleuchten und verschiedene Sichtweisen einander gegenüberzustellen und abzuwägen“, erläutert Streibl eine zentrale Bedeutung von Zivilklauseln. Denn solch ein Prozess sei gerade keine Einschränkung von Wissenschaftsfreiheit, sondern stellt das verantwortungsvolle Ausleben von Wissenschaftsfreiheit dar. Nicht jedes Projekt, was machbar wäre, müsse auch durchgeführt werden. Und die Frage ob es durchgeführt werden sollte, ist alleine kaum seriös zu entscheiden.
Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt beschrieb 2011 die notwendigen Prozesse in eindrucksvoller Weise: „Mit großem Interesse habe ich deshalb die »Regeln der Max-Planck-Gesellschaft zum verantwortungsvollen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken« des Jahres 2010 gelesen. Einen Kernsatz möchte ich zitieren: »Die Kenntnis der möglichen Risiken ist die Voraussetzung dafür, daß Forschung verantwortlich erfolgen kann«. Daß besonders in den Feldern der sogenannten Dual-Use-Forschung zwangsläufig Dilemmata entstehen, ist offensichtlich. Es hat mir moralisch imponiert, daß die Max-Planck-Gesellschaft den »Verzicht auf nicht verantwortbare Forschung« zur »ultima ratio« erklärt hat. Freilich hilft dieser generelle Ratschlag dem einzelnen Forscher in seiner konkreten Dual-Use-Situation nicht viel. Denn sein Problem ist zunächst: Hat er ausreichenden Überblick, reicht sein Weitblick aus?“.
3. Militärforschung steht im Widerspruch zu Offenheit, Innovation und wissenschaftlichem Austausch
Die Erfahrung zeigt: Militärforschung ist mit Öffentlichkeit nicht wirklich kompatibel: Als beispielsweise 1994 im niedersächsischen Hochschulgesetz ein Passus integriert wurde, der Vereinbarungen oder Zusagen für unzulässig erklärte, „durch welche die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen ausgeschlossen oder über einen die wissenschaftliche Entwicklung beeinträchtigenden Zeitraum hinausgeschoben wird“, wurde dies damals vom Bundesverteidigungsministerium aufs heftigste kritisiert. In Reaktion darauf machte das Niedersächsische Wissenschaftsministerium deutlich, dass Hochschulen Orte wissenschaftlicher Auseinandersetzung sein sollen und sich dies nicht mit geheimhaltungsbedürftigen Forschungsvorhaben vertrage.
„Die mit Militär- und Geheimforschung einhergehenden Rahmenbedingungen konterkarieren bzw. verhindern den offenen wissenschaftlichen Austausch an den Hochschulen und können damit sogar wissenschaftliche Weiterent Fachgruppe Hochschuke Und Forschungwicklung und Innovation behindern“, fasst GEW-Landesvorstandsprecherin Ramona Seeger zusammen und verdeutlicht die klare Position der Bildungsgewerkschaft: „Die GEW lehnt alle Maßnahmen ab, die zu einer Militarisierung von Bildung und Forschung beitragen“.
In diesem Sinne hat die GEW beispielsweise 2013 in einem Beschluss auf ihrem Bundesgewerkschaftstag unmissverständlich und deutlich formuliert:
„Die GEW fordert alle Beschäftigten von Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf, sich aktiv und kritisch mit Ambivalenzen des eigenen Fachgebietes und möglicher Forschungsthemen auseinanderzusetzen und Forschungsthemen mit militärischen Nutzungsbezügen bzw. Zielsetzungen abzulehnen sowie entsprechende Mittel oder andere Angebote zurückzuweisen“.
Beschluss und Existenz einer Zivilklausel nimmt alle Beteiligten an Forschung und Lehre in die Pflicht, sich hinsichtlich des eigenen Tuns frühzeitig und immer wieder Fragen zu stellen nach Intentionen und Verwertungszusammenhängen, nach Potentialen und Ambivalenzen, nach intendierten und nicht-intendierten Wirkungen und nach Alternativen. Das ist es, worauf es in verantwortungsvoller Wissenschaft ankommt.
Für Nachfragen stehen zur Verfügung:
Ralf E. Streibl | Fachgruppe Hochschule und Forschung und
Ramona Seeger - 0160 – 975 330 63 | Fabian Kinz - 0160-91053099 und Elke Suhr | Landesvorstandssprecher*innen der GEW Bremen
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist die Bildungsgewerkschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und vertritt bundesweit rund 280.000 Mitglieder, die in pädagogischen und wissenschaftlichen Berufen arbeiten. Die Bildungsgewerkschaft GEW ist mit gut 5.000 Mitgliedern der größte Interessenverband im Bildungsbereich des Landes Bremen.