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„Die Senatorin sollte sich nicht vom GENO-Vorstand einlullen lassen!“

Interview: Roman Fabian, BR-Vorsitzender des Klinikums Links der Weser, kritisiert die Kürzungspolitik im Gesundheitswesen.

Seit drei Jahrzehnten ist Roman Fabian als Gewerkschafter aktiv und hat seit vielen Jahren auch den Vorsitz des Betriebsrats im Klinikum links der Weser inne. Er ist bekannt für seine kämpferische Haltung und dafür, dass er Probleme klar benennt. Dies tut er auch im Interview mit der BLZ.

Du bist Mitunterzeichner eines Offenen Briefes, in dem im Frühjahr 2020 aus betriebsrätlicher Sicht die Zustände im Klinikbereich beklagt wurden. Worum ging es?

Die Klinik verkommt immer mehr zur Fabrik. Was geleistet wird, muss sich rechnen und gegenrechnen. Viele Bereiche von Pflege und Behandlung lassen sich so gar nicht erfassen. Das Instrument sind die Fallpauschalen (DRG), die vor Jahren eingeführt wurden. Deren erklärtes Ziel war in Deutschland von vornherein die Bereinigung des 'Marktes': Krankenhäuser sollen vom Netz gehen, übrig bleiben nur noch die im betriebswirtschaftlichen Sinn 'optimierten'. Anstatt die gesundheitliche Versorgung, wie es sinnvoll wäre, politisch zu planen, überlässt man die Entscheidung dem Markt. Um noch ein Gegenbeispiel von früher zu nennen: Das Klinikum links der Weser wurde konzipiert, weil es an der A1 lag und nicht nur einen bestimmten Einzugsbereich abdecken sollte, sondern auch schnelle Versorgung von Unfallopfern bieten. Ein solches gesundheitsstrategisches Herangehen geht heute verloren.

Wie wirken sich die Fallpauschalen aus?

Die Bewertung der verschiedenen Behandlungsformen ist in sog. Katalogen festgehalten. Dort wird etwa eine bestimmte onkologische Behandlung höher eingestuft als eine bestimmte kardiologische. Ändern sich dann die Bewertungen, so gibt es den statistisch nachweisbaren 'Katalogeffekt': Rein zufällig nehmen dann die höher bewerteten Behandlungen zu. Für mich stellt sich die Frage, ob Wertschöpfung damit nicht über dem Patientenwohl steht. Ich jedenfalls trete für die Abschaffung der Fallpauschalen ein.

Welches Modell würdest Du vorschlagen?

Der tatsächliche Bedarf für eine gute (nicht nur ausreichende) Patent:innenversorgung, mit seinen Personal- und Sachkosten müsste von den Krankenkassen vergütet werden . Und eine gute Bezahlung aller Tarifgruppen wäre nötig, die als Personalentwicklungskosten auch ausfinanziert sein müssten, was bei den DRG nicht der Fall ist. Sonst kommt es zu einer Erosion des Krankenhauswesens, wie sie momentan zu beobachten ist. Von der Reinigungskraft über technisches und medizinisches Personal, Pflegekräfte, alle Zahnrädchen leisten ihren unverzichtbaren Beitrag zu diesem 'Uhrwerk', das die Klinik ist. Doch Einsparungen und Outsourcing haben zu Personalmangel, überbordender Leiharbeit und prekären Arbeitsbedingungen geführt.

Und die Folgen für das Personal?

Jeder neue Dienstplan erweist sich heutzutage, sobald er rauskommt, im Grunde als fiktiv. Seine Lücken müssen durch Sonderschichten und Bereitschaftsdienste gestopft werden. Eine normale Lebensplanung für die Beschäftigten ist gar nicht mehr möglich. Die KollegInnen sind vollkommen entnervt, kulturelle Teilhabe, Entspannung im Sportverein – nicht mehr zu machen. Wer psychisch und physisch derart ausgelaugt ist, überlegt sich den Wechsel. Tatsächlich sehen wir eine Abwanderung aus den Kliniken, teils in andere Bereiche, teils in die Leiharbeit, die mittlerweile oftmals bessere Konditionen bietet als eine Festanstellung.

Erstaunlich..

Ja, anfangs war es umgekehrt und eine Strategie von Betriebsräten und gewerkschaftlich Aktiven bestand darin, die KollegInnen in die Stammbelegschaft zu holen. Heutzutage ist es umgekehrt, viele haben als Angestellte bei Leiharbeitsfirmen noch mehr Einfluss auf die Arbeitszeit, den Ablauf des Schichtdienstes u.ä. Sie wollen gar nicht mehr in die Festanstellung, und auch Festangestellte wandern ab. Das ist nur eine der Schieflagen in diesem Gesundheitswesen – das alles muss nach der Bundestagswahl angegangen werden.

Wie könnte ein Notprogramm nach der Bundestagswahl gegen die gröbsten Schieflagen aussehen?

Zunächst wäre der Abrechnungsmodus zu ändern. Die Idee der DRG kam aus Australien – dort hat man sie übrigens schon wieder abgeschafft. Sie sind gescheitert. Menschen sind unterschiedlich, und die einzelne Behandlung sollte individuell abgerechnet werden – wobei Grenzen eingezogen werden müssten, um keine unnötige Verlängerung von Klinikaufenthalten zu stimulieren.

Eine gute Gesundheitsversorgung muss der Gesellschaft etwas wert sein. Und die Kolleginnen und Kollegen müssen vernünftig vergütet werden.

Und auf tarifvertraglicher Ebene?

So richtig ich es finde, dass man die Altenpflege durch Sonderzahlungen gewürdigt hat – als Krankenhausvertreter war ich von unserem aktuellen Tarifabschluss doch enttäuscht: Erst wenn auch hier die Gehälter steigen und humane Arbeitsbedingungen geschaffen werden, wird der Fachkräftemangel sinken; er stieg schon vor der Pandemie und wurde durch sie noch einmal verstärkt. Es braucht keine weiteren Untersuchungen, wir haben kein Erkenntnisproblem. Es muss praktisch umgesteuert werden, im Interesse aller! Da muss sich die Arbeitgeberseite bewegen. Und zu allererst müssten die Dienstpläne stabilisiert werden.

Du bist selbst bei einem Betrieb der Gesundheit Nord (GENO) angestellt. Wie stellen sich die Probleme dort dar?

Nun, die Gesundheit Nord ist ja ein kommunales Versorgungsunternehmen, eine GmbH, die zu hundert Prozent vom Land kontrolliert wird. Frau Dreizehnter, Frau Penon und Herr Beekmann bilden die Geschäftsführung und steuern mit einer relativ großen Machtfülle die Krankenhäuser. Wir als Betriebsrat des Klinikums links der Weser sind damit recht unzufrieden. Die Steuerung erfolgt zwar in unterschiedlicher Ausprägung, aber seit 2004 werden wir durchsaniert, trotzdem ändert sich nichts zum Positiven. Früher war noch eher flexibles Reagieren fast in Echtzeit möglich, etwa wenn es um schnelle Entscheidungen ging und sich Leitung und Betriebsrat einig waren. Heute muss das Anliegen erst einmal über die Weser, wird in der Kurfürstenallee bearbeitet, zurückgespiegelt und nach einer Woche bekommt man eine Antwort. Umgekehrt wird von den Kolleginnen und Kollegen flexibles Handeln auf die Sekunde und die Minute erwartet.

Und die strukturellen Probleme?

Die Beschäftigten haben jahrelang ihren Part erfüllt und übererfüllt. Dass dennoch Fehlbeträge aufgehäuft wurden, liegt aus unserer Sicht an Fehlentscheidungen des Managements. Gespart wird natürlich an uns. So warten wir etwa auf die 'Leistungsbezogene Bezahlung' (LoB), welche  nach Tarifvertrag ausbezahlt werden müsste. Und aktuell sollen 440 Vollzeitstellen im ärztlichen Bereich abgebaut werden. Auf unsere Frage, wie das im Klinikum links der Weser funktionieren soll, wurde angedeutet, es handele sich um überflüssige Stellen und es werde zu wenig geleistet. Ich kann für unser Haus sagen, dass auch das ärztliche Personal hundertprozentige Leistung bringt! Der Abbau wird einen verschärften Leistungsdruck bei den Verbliebenen bewirken. Die offizielle Darstellung behauptet zwar, die Pflege sei davon nicht betroffen, doch wer auf diesen hanebüchenen Trick hereinfällt, hat nicht verstanden, wie ein Krankenhaus funktioniert: Die zu erbringenden Leistungen werden ja nicht weniger – sie müssen dann eben von denen erbracht werden, die übrig sind, auch von denen in der Pflege.

Wie schätzt du die Rolle des Senats ein?

Senatorin Bernhardt hat bei Amtsantritt, wie schon ihre Vorgängerin, freiwillig die Leitung des Aufsichtsrates der Gesundheit Nord übernommen. Aus meiner Sicht hat sie sich da auf eine unguten Loyalitätskonflikt eingelassen. Sie war gut beraten und hat sich schlecht entschieden. Jetzt steht sie unter dem Einfluss der Leute um die Geschäftsführung und hat sich auf den problematischen Sanierungskurs eingelassen, übrigens auch gegen Widerstand aus der eigenen Partei. Sie hat zu wenig 'Erdung', zu wenig Kontakt mit den Beschäftigten und zum Alltag der Kliniken. Der Beirat Obervieland richtet demnächst einen Runden Tisch ein, wo genau über die Veränderungen an den Standorten beraten werden soll. Ich hoffe, sie wird das Gespräch suchen.

Nehmen wir etwa die Schließung von Klinikteilen, perinatalen und palliativen Kapazitäten, wie es gerade durch die Gazetten ging. Das müsste eigentlich auch vor Ort mit den Beiräten und Betroffenen sowie Personalvertretungen besprochen werden. Es wird über unsere Köpfe hinweg entschieden. Das muss man Frau Dr. Dreizehnter ins Stammbuch schreiben, die in schändlichster Weise Mitbestimmung missachtet. Und die Senatorin sollte sich nicht von der Geschäftsführung einlullen lassen.