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Schwerpunkt

Die Lehrkräfteausbildung muss sichtbarer werden

Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Christian Palentien im BLZ-Interview

Christian Palentien ist Professor für das Arbeitsgebiet "Bildung und Sozialisation" an der Universität Bremen. Er leitet seit Oktober 2021 das Zentrum für Lehrerinnen-/ Lehrerbildung und Bildungsforschung (ZfLB). Palentien war Vorsitzender der Sachverständigenkommission des 16. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung. Vornehmlich beschäftigt er sich mit der Ausbildung angehender Lehrkräfte, sein Augenmerk liegt dabei immer auf benachteiligten Kindern. Im Interview mit der BLZ nimmt er Stellung zur Zukunft der Lehrkräfteausbildung in Bremen.

Wie ist es derzeit im Land Bremen um die Lehrkräfteausbildung bestellt?

Ich kann sagen, dass es gut bestellt ist. Mit der Umstellung auf Bachelor und Master haben wir in den vergangenen Jahren vieles für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung bewerkstelligen müssen. Da gab es den einen oder anderen Stolperstein. Die sind aber jetzt überwiegend aus dem Weg geräumt.

Welche Stolpersteine waren das, die aus dem Weg geräumt worden sind?

Die Lehrerinnen- und Lehrerbildung ist ein komplexes Unterfangen. Im Land Bremen werden alle Lehrämter angeboten, auch inklusive Pädagogik. In den verschiedenen Studiengängen sind immer zwei Fächer beteiligt. Dann sind die Erziehungswissenschaften dabei und natürlich in jeder Ausbildungsphase die Schulpraktika. Das muss alles abgestimmt und koordiniert werden. Und zwar so, dass es passt. Dass die Studierenden das auch in zehn Semestern studieren können, dass keine Überschneidungen stattfinden und die jungen Menschen optimal für ihre zukünftige Tätigkeit vorbereitet werden.

Die Verzahnung aller Beteiligten in der Lehrkräfteausbildung ist also nicht so leicht?

Nein, denn dazu kommen noch die Schulen und andere Einrichtungen wie zum Beispiel das Landesinstitut für Schule oder die Behörden. Um dieses zu koordinieren, gibt es am ZfLB verschiedene Gremien, wie beispielsweise einen Rat, in dem alle an der Lehrkräfteausbildung Beteiligten der Universität zusammenkommen. Hierneben ist es das Ziel aller, das Profil der Lehrerinnen- und Lehrerbildung zu schärfen und die Bildungsforschung zu stärken.

Was bleiben für Ziele? Was kann noch besser werden?

Sich immer weiter zu verbessern, ist schon ein Ziel. Hinzu kommt, dass die Lehrerinnen- und Lehrerbildung auch innerhalb der Uni immer wieder sichtbar gemacht wird. Hierzu sollen beispielweise die schon vorhandenen Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Bereich der Lehrerinnen- und Lehrerbildung weiter ausgebaut werden. Bremen ist ja eine sehr forschungsstarke Universität. Kommuniziert werden muss aber auch nach außen. Die Uni Bremen befindet sich in der Nachbarschaft zu anderen Standorten wie Oldenburg, Hamburg oder darüber hinaus. Die Stärken des Bremer Standorts zu stärken, wie zum Beispiel die Vorbereitung unserer Studierenden auf den Umgang mit Heterogenität in den Schulen oder Inklusion, ist ein weiteres Ziel.

Lehramtsstudierende müssen in Theorie und Praxis ausgebildet werden. Wie bekommt man diese Bereiche so vermittelt, dass ein nachhaltiger und befruchtender Prozess entsteht?

Dies betrifft ja nicht nur die Lehrerinnen- und Lehrerbildung, sondern auch viele andere Studiengänge. Wir haben es so gelöst, dass die Studierenden, wenn sie anfangen zu studieren, erst mal ein Orientierungspraktikum absolvieren müssen. Also sie müssen in die Schulen und beobachten, was dort passiert und was die Lehrkräfte dort machen. Danach gibt es weitere Praxisphasen in den Fächern und im Masterstudium dann ein komplettes Praxissemester. Diese Praxisphasen finden nicht losgelöst vom Studium statt, sondern sind eingebettet in Module. Dort kommen die Studierenden ins Gespräch mit Lehrenden und anderen Studierenden, es wird reflektiert und sie gehen dann mit einem Auftrag zurück in die Schulen. Das ist ein Ansatz, Theorie und Praxis miteinander zu vereinen. Die Studierenden für das Lehramt an Gymnasien und Oberschulen studieren zudem im Bachelor verstärkt ihre zwei Fächer und Erziehungswissenschaften, machen ihre Praktika und entscheiden sich erst im Masterstudium für die Lehramtsoption. Bevor sie diese ziehen, führen wir mit jedem Studierenden ein mindestens halbstündiges Gespräch über ihre Erfahrungen in Theorie und Praxis und versuchen dabei die Frage zu klären, ob das Lehramt die richtige Berufswahl ist.

In den 90er Jahren, als ich Lehramt studiert habe, hätte ich gerne solch ein Gespräch geführt.

Ja. Das ist auch ein sehr aufwendiges Verfahren, da wir große Studierendengruppen haben. Die Gespräche am Ende des Bachelorstudiums führen dazu, die Quoten der Abbrecherinnen und Abbrecher im Master gering zu halten. Und dass die Studierenden sich noch einmal selbst vergewissern, wollen sie wirklich mit dem Ziel Lehramt studieren.

Welche Rolle spielt die Bildungsforschung für die Lehrkräfteausbildung?

Am ZfLB finden bereits zahlreiche Projekte im Bereich der Bildungsforschung statt. So ist es beispielsweise einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen unter der Leitung meiner Vorgängerin gelungen, mehrere Millionen Euro Forschungsgelder vom Bund einzuwerben, mit dem Ziel, die Qualität der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung noch weiter zu verbessern. Da sind wir jetzt dabei, die Projekte, die stattfinden, fortzuführen und zum Teil zu verstetigen und wir sind bemüht, neue Projekte zu starten. Das ist ein Prozess, auf den ein Hauptaugenmerk ausgerichtet sein wird, und zwar für die nächsten Jahre.

Wie sieht die Zukunft der Lehrkräfteausbildung aus. Geht es in Richtung Individualisierung?

Ja, das ist ein richtiges Stichwort. Wir haben eine zunehmende Heterogenität an den Schulen, aber auch eine zunehmende Heterogenität der Schulen. Darauf gilt es die angehenden Lehrkräfte fachlich und didaktisch vorzubereiten. Darüber hinaus gibt auch noch übergreifende Themen, von denen alle zukünftigen Lehrkräfte gehört haben sollten, wie zum Beispiel die Inklusion, die Weltreligionen, Demokratiebildung oder auch die Berufsorientierung.

Sascha Aulepp ist jetzt gut 100 Tage im Amt. Haben Sie Wünsche an die neue Bildungssenatorin?

In den Leistungsvergleichen liegen Bremens Schülerinnen und Schüler oftmals hinter denen anderer Bundesländer. Gerade Kinder aus ärmeren Haushalten drohen vielfach abgehängt zu werden. Da muss mehr passieren. Bremen investiert zwar mehr Geld in Bildung, aber verglichen mit den Stadtstaaten Hamburg und Berlin immer noch wenig. Das wäre ein Wunsch. Darüber hinaus: Bremen baut gerade ein Institut für Qualitätsentwicklung auf; hier wünsche ich mir eine stärkere Kooperation mit der Uni bzw. dem ZfLB. Und der dritte Wunsch: Mehr im Bereich Bildungsforschung zu investieren. Von entsprechenden Mitteln im Bereich der Bildungsforschung würde auch die Bildungspraxis profitieren.