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Die „Einheit“ und die Frauen...

„Kein Anschluss unter dieser Nummer!“ - mit diesem Aufruf demonstrierten ostdeutsche Bürgerrechtler gegen Artikel 23 des Grundgesetzes, das „in anderen Teilen Deutschlands...nach deren Beitritt in Kraft zu setzen“ sei, und dieser Stoßrichtung wurde nach dem Mauerfall zunächst auch gefolgt: im Osten vom im Dezember 1989 gegründeten „Runden Tisch“, im Westen vom „Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder“, der im Juni 1991 bereits seinen 3. Kongress abhielt. Beide wollten Errungenschaften der DDR-Verfassung übernehmen, z.B. das Recht auf Arbeit, aber während der „Runde Tisch“ eine „Neue Verfassung der DDR“ anstrebte, ging es dem Kuratorium um eine Verfassung „für das gesamte deutsche Volk“.

Wie bekannt, ist die ostdeutsche Initiative, die im Westen von den Grünen und Teilen der SPD unterstützt wurde, gescheitert: Am 28.11.89 trug Bundeskanzler Kohl sein „Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas“ im Bundestag vor; am 1.7.90 wurde die D-Mark in der DDR eingeführt, und in der Nacht vom 22. zum 23. August beschloss die am 18. März gewählte Volkskammer (CDU 41%, SPD 22%, Grüne und UFV 2%) den Beitritt der DDR zur BRD.
Dieser „Ko(h)lonianismus“ (Lafontaine), der auf der Kundgebung des Bundeskanzlers am 19.12.89 in Dresden von einer Deutschlandfahnenschwenkenden Menge gefeiert wurde, gab den Gegnern einer „Einverleibung der DDR“ nachträglich Recht. Zwar war die Befreiung von Einparteien- und Stasiterror ein unschätzbarer Gewinn, aber der Einbruch der Industrieproduktion, Arbeitslosigkeit, Auflösung sozialer Einrichtungen und nicht zuletzt der die Menschen der „neuen Länder“ demütigende Elitenaustausch in Militär, Wirtschaft, Politik, und Wissenschaft erzeugten den zunehmenden Eindruck, dass die „Wiedervereinigung“ misslungen sei. Die renommierte Autorin und Mitbegründerin des „Demokratischen Aufbruchs“ Daniela Dahn sagte in einem Interview, dass „die Ostdeutschen über den Tisch gezogen wurden“, und der westdeutsche SPD-Politiker Björn Engholm schrieb – 20 Jahre nach der Wende - : „In den ersten Monaten...dachten wir noch, wir könnten...einen Staat...aufbauen...der aus dem Sozialismus übernimmt, was demokratisch... ist... Doch all diese Pläne sind wie von einer Dampfwalze überrollt worden.“
Die eigentlichen Wendeverlierer aber waren die Frauen: “81% der ostdeutschen Frauen meinten, dass sich ihre Situation seit 1990 verschlechtert habe“, und die „Schering-Frauenstudie“ von 1993 wie die Langzeitstudie „Ohne Arbeit keine Freiheit“ der Universität Leipzig gaben als Gründe dafür die Streichung der Fristenregelung an, Einschränkungen von Kinderbetreuung, Familien- und Gesundheitsförderung sowie von Erwerbsangeboten auch durch die geschlechtsspezifischen Strukturen des neuen Arbeitsmarktes.
Schulabgängerinnen, die sich beim Arbeitsamt in Rostock nach Lehrstellen für technische Berufe erkundigten, erfuhren, dass „die nur für Jungs (sind) !“Eine Frau aus Sachsen-Anhalt bekam auf eine Bewerbung die Antwort, dass „lieber ihr Mann kommen (solle), der habe doch sicher auch keine Arbeit.“ Typische Arbeitgeberfragen wie „Wollen Sie noch Kinder bekommen?“ oder „Haben Sie Betreuungsmöglichkeiten?“ führten bei arbeitssuchenden Frauen zu radikalen Reaktionen. In den ersten Jahren nach der Wende ging die Geburtenrate um „über zwei Drittel (!) zurück.“ Dagegen stieg die Zahl der Sterilisationen schlagartig an. „Frauen würden derzeit alles machen, um Jobs zu kriegen“, sagte eine Frauenbeauftragte dazu.

(In ihrem Buch „Die Einheit beginnt zu zweit“ (1991) vergleichen die Verfasser – der eine aus Halle, der andere aus Frankfurt am Main – das wiedervereinigte westliche und östliche Deutschland mit „dem klassischen deutschen Paar“: „Die Ossis spielen dabei den traditionellen Part der Frau... Die Wessis dagegen entsprechen dem üblichen Männerbild – sie sind dynamisch, dominant und oftmals auch großspurig.“)
Dabei waren die Frauen an der Wende maßgeblich beteiligt: Sie arbeiteten mit am Verfassungsentwurf des „Runden Tisches“, desgleichen an dem des westdeutschen Kuratoriums. Die Demonstration, die kurz vor dem 3. Oktober 1990 in Berlin „Gegen die Einverleibung der DDR“ stattfand, war von Frauen organisiert – als Redner traten ausschließlich Frauen auf – und da sie für ihre Forderungen nicht ausreichend Gehör fanden, veranstalteten sie vom 29. - 30.9.90 in der Frankfurter Paulskirche einen ost-westdeutschen Kongress, auf dem das „Frankfurter Frauenmanifest“ beschlossen wurde. Darin forderten sie – in Erweiterung der Beschlüsse des „Runden Tisches“ und des Kuratoriums als einklagbare Grundrechte die Garantie des Staates für „die gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen“, das Recht jeder Frau, über die Fortsetzung einer Schwangerschaft selbst zu entscheiden, angemessene Betreuungseinrichtungen für jedes Kind, das Recht auf Arbeit und auf gleichen Lohn, Quotierung für den Bundestag und die -ministerien und – zum Schutz der Umwelt – Vorrang von ökologischen vor ökonomischen Interessen.
Die Verfassungskommission, die nach Bundestags- und Bundesratsvertretern quotiert war, aber aus 54 Männern und nur 10 Frauen bestand, nahm bei der Novellierung des Grundgesetzes lediglich die Forderung der „tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ auf, und dies auch nur in unverbindlicher Form.
In der ersten Sitzung des gesamtdeutschen Bundestags am 4. Oktober 1990 brachte Antje Vollmer, Abgeordnete der Grünen, die Erfahrungen der Bürgerrechtlerinnen – unter wiederholtem Beifall ihrer Fraktion und der der SPD und PDS – zur Sprache:
„Es waren vor allem die Frauen, die die Revolution in der DDR zu einer friedlichen gemacht haben... Ohne sie hätte diese Revolution nie gelingen... können. Und das ist immer so... Gerade in den Anfangszeiten, wenn es besonders schwierig ist... sind die Frauen unentbehrlich... Auffällig dagegen ist, wie schnell sie aus der ersten Reihe vertrieben werden, wenn es darum geht, aus der Revolution wieder feste Strukturen zu machen... Wir melden hier schon einmal vorbeugend an, dass mit uns Frauen weiter zu rechnen sein wird. Wir lassen uns nicht noch einmal ins zweite Glied zurückschieben, wie es unseren Müttern am Anfang der autoritär-patriarchalischen Adenauer-Ära und auch in den Männerkasten des DDR-Regimes passiert ist...“.