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Schwerpunkt

Die Angst und die sichtbaren Spuren

Schulsozialarbeiterin: Bildungseinrichtungen sind keine Orte des Vertrauens und der Sicherheit

Foto: privat

Im Rahmen einer Klassenstunde zum Thema Gewaltprävention stellte der dazu eingeladene Kontaktpolizist den Schüler:innen die Frage, woran sie erkennen würden, dass sie Angst hätten. Die Kinder schilderten erwartungsgemäß körperliche Merkmale wie „Zittern“, „Herzklopfen“ oder „Bauchgrummeln“. Als die zehnjährige Dania (Name wurde geändert), die 2016 aus Syrien geflohen war, an der Reihe war, antwortete sie sehr leise: „Meine Haare werden weiß!“ Für einen Moment war es totenstill in der Klasse. Viele Kinder blickten betreten zu Boden, einige auch erschrocken auf Danias ergrauten Haaransatz, der in der Schule nicht selten für Spott und hämische Bemerkungen gesorgt hatte. Nie zuvor waren mir der Krieg in Syrien und die Folgen von Flucht und Vertreibung gegenwärtiger als in diesem Moment. Und niemals zuvor wurde mir deutlicher, wie sehr Angst sichtbare Spuren hinterlassen kann.

Leistungsdruck und Mobbing

Wenn ich über Angst in der Schule nachdenke, fällt mir nicht als erstes die konkrete Furcht vor einer spezifischen Bedrohung ein. Ich denke vielmehr an ein Unbehagen, an das subtile und unangenehme Gefühl, das sich einschleicht, wenn wir uns unsicheren und herausfordernden Situationen ausgesetzt fühlen, in denen wir allein und isoliert agieren müssen. Wenn es um Angst von Schülerinnen und Schülern geht, denkt man zuerst an Versagensängste, die eng mit großem Leistungsdruck verbunden sind. Diese Ängste entstehen, wenn Schüler:innen versuchen, zu hohe Erwartungen von Eltern, Lehrkräften oder sich selbst zu erfüllen. In meiner Arbeit treffe ich vor allem auf Ängste von Kindern, die starkem sozialen Druck ausgesetzt sind. Erfahrung mit Mobbing, Gewalt oder das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, lösen bei Kindern – neben der konkreten Furcht vor erneuten negativen Erlebnissen – oftmals Verlassens- oder Beschämungsängste aus. Und die Folgen von Angst können weitreichend sein: Konzentrationsprobleme, ein Rückgang der schulischen Leistungen oder psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Schlafstörungen. Im extremsten Fall können Depressionen oder Schulabstinenz eine Folgeerscheinung sein. Um derart gravierende Auswirkungen zu verhindern, sind Prävention, Schutzkonzepte und geschulte multiprofessionelle Fachkräfte erforderlich. Vor allem die Schulsozialarbeit bietet ein wertvolles und leicht zugängliches Unterstützungsangebot für die Schülerinnen und Schüler.

Zu wenig Schulsozialarbeit

Seit Langem fordert die GEW, dass an Bremer Schulen ausreichend Schulsozialarbeit bereitgestellt wird, mindestens eine Vollzeitstelle pro 150 Schülerinnen und Schüler. Zwar verfügen die meisten Schulen mittlerweile über eine Schulsozialarbeiterin oder einen Schulsozialarbeiter, doch die Realität zeigt, dass die Versorgung weiterhin unzureichend ist. Zu vielfältig sind die Problemlagen, die sich im Schulalltag auftun und die die Sozialarbeit im Einzelkämpfertum beheben soll. In meiner Funktion als Personalrätin habe ich Kolleg:innen der Schulsozialarbeit unterstützt, die sich von ihrer Arbeit überlastet fühlten und den Eindruck hatten, den Bedürfnissen der Schüler:innen nicht mehr gerecht werden zu können.

Auch Fachkräfte betroffen

Doch nicht nur die Angstbewältigung der Schüler:innen sollte Anlass geben, über die gegenwärtige Institution Schule nachzudenken. Auch den Umgang mit Ängsten und Unsicherheiten der Fachkräfte im schulischen Kontext gilt es zu überprüfen. Ein typisches Szenario: Am Morgen schaue ich auf den Vertretungsplan, und es zeigt sich, dass ich in der dritten Stunde eine als herausfordernd bekannte Klasse zu betreuen habe. Neben meinem Ärger darüber, dass ich wiederholt von meinen sozialpädagogischen Aufgaben abgezogen werde, spüre ich vor allem eine unbestimmte Beklommenheit. Fragen wie „Was erwartet mich?“ oder „Werde ich ernst genommen?“ gehen mir durch den Kopf. Wenn ich dann versuche, mein Unbehagen zu entwirren, wird mir bewusst, dass sich hinter diesen Gefühlen Ängste verstecken, nämlich Versagensangst oder die Angst vor Beschämung.

Natürlich kann ich meine Arbeit und mein pädagogisches Handeln hinterfragen. Ich kann versuchen, die Gefühle, die situativ in mir aufkeimen, zu reflektieren. Das tue ich aber im Regelfall alleine und ohne die Rückmeldung einer anderen erfahrenen Person. Und schlimmstenfalls stelle ich mich und meine Arbeit als Pädagogin infrage. Solange Gefühle von Angst und Unsicherheit am Arbeitsplatz zur Privatsache erklärt werden, agieren wir in einem sozialen Vakuum. Ich bin überzeugt, dass ein regelmäßiger Austausch im Kollegium hilfreich wäre, um das Gefühl von Isolation zu vermeiden. Doch die Teams in den Schulen sind durch unzählige organisatorische Aufgaben vollständig ausgelastet, sodass für einen echten Dialog keine Zeit mehr bleibt. Unzureichende Ressourcen und schlechte Rahmenbedingungen in Schule führen nicht nur zu Überforderung und Druck, sondern schüren auch unsere Unsicherheit. Diese wirkt sich negativ auf die Motivation und das Vertrauen in die eigene Arbeit aus und kann langfristig die Qualität von Bildung gefährden. Um dem entgegenzuwirken, braucht es gezielte Investitionen, klare Strukturen und eine unterstützende Arbeitskultur.

Qualität der sozialen Arbeit in Gefahr

Die Landesarbeitsgemeinschaft Schulsozialarbeit (LAG) hat mit bewundernswerter Beharrlichkeit über lange Jahre ein bremenweites Konzept für Schulsozialarbeit eingefordert. Letztlich wurde ein Arbeitskreis, bestehend aus LAG, Schulleitungen, Bildungsbehörde und natürlich mit Beteiligung der Berufsgruppe, ins Leben gerufen. Entwickelt wurde dabei das „Rahmenkonzept Schulsozialarbeit“. Es dient als Grundlage zur Qualitätssicherung der sozialen Arbeit an Bremer Schulen und bildet dabei die Basis für die Erstellung schuleigener Konzepte. Solch ein Rahmen gibt den Kolleginnen und Kollegen Orientierung und schafft in ihrem Arbeitsalltag Handlungssicherheit. 

Ein Konzept für die Arbeit von Erzieherinnen und Erziehern im Grundschulbereich ist bisher nicht vorgesehen. Das ist erstaunlich, insbesondere da Eltern ab 2026 einen gesetzlichen Anspruch auf einen Ganztagsplatz für ihr Kind haben und damit ein flächendeckender Ausbau von Ganztagsgrundschulen erforderlich ist. Eine klare Arbeitsplatzbeschreibung für Erzieherinnen und Erzieher an Schulen? Fehlanzeige! Gegenwärtig kann niemand genau sagen, wie ein professionelles und einheitliches Konzept für den Ganztag aussehen soll, wie die Fachkräfte den Ganztag gestalten oder mit den vielschichtigen Herausforderungen bei Grundschulkindern umgehen sollen. Derzeit existieren in Bremens Ganztagsschullandschaft so viele Konzepte, wie es Schulen gibt. Selbst die langjährige Ausbildung, die Erzieherinnen und Erzieher absolviert haben, bereitet sie auf die spezifischen Anforderungen des Arbeitsplatzes Gantztagsgrundschule nicht vor. Das wiederum produziert im Arbeitsalltag Unsicherheit und diffuse Angst.

Fazit

Angst in der Schule ist also ein vielschichtiges Problem, das eine ebenso differenzierte Antwort erfordert. Gefühle wie diffuse Angst dürfen dabei nicht als Privatangelegenheit betrachtet werden. Schulsozialarbeit, durchdachte Konzepte und ausreichende Ressourcen sowie Supervision und Zeit für Austausch könnten aber dazu beitragen, dass Schule ein Ort des Vertrauens und der Sicherheit wird – für alle Beteiligten.