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Der Studiengang Soziale Arbeit

Holger Kühl ist Vorsitzender der Studienkommission Soziale Arbeit und Studiendekan der Fakultät Gesellschaftswissenschaften an der Hochschule Bremen

BLZ: Mit der Sozialen Arbeit ist in den letzten Jahren eine zweite Profession endgültig in den Schulen eingezogen. Ist der Studiengang an der Hochschule Bremen auf dieses neue Arbeitsfeld eingestellt?
Holger Kühl: »Der Studiengang Soziale Arbeit vereint schon seit langem die Bereiche Sozialpädagogik und Sozialarbeit, beide Bereiche fassen wir seit den 70er Jahren unter dem Begriff Soziale Arbeit zusammen.
Damit repräsentiert Soziale Arbeit eine sehr große Vielfalt professioneller Handlungsfelder. Jugendamt, Psychiatrie, Drogenarbeit, Flüchtlingsarbeit, Arbeit mit Mädchen und Jungen, Streetwork,  Gemeinwesenarbeit sind nur einige Beispiele für Arbeitsfelder, die neben der Arbeit an Schulen für uns relevant sind.
Angesichts dieser Vielfalt haben wir uns, wie die meisten Hochschulen in Deutschland, entschieden, ein generalistisches Studium anzubieten: Unsere AbsolventInnen können in allen Bereichen der Sozialen Arbeit arbeiten. Natürlich haben sie nicht von allen Bereichen alles Wichtige im Studium hören und lernen können. Darum konzentrieren wir uns auf die Vermittlung von Grundkompetenzen und der Reflektion der Arbeit in einzelnen Handlungsfeldern, damit sie selbstständig in jedem Bereich der Sozialen Arbeit tätig werden können. In diesem Sinne ist der Studiengang Soziale Arbeit an der Hochschule Bremen bestens gerüstet für die Arbeit an Schulen, ob im Rahmen der direkten Einzelfallarbeit, der Arbeit mit Gruppen oder mit Familien oder auch der Netzwerkarbeit in der Institution Schule oder im Stadtteil. Und darüber hinaus bieten wir auch als Wahlmöglichkeit  Veranstaltungen zum Bereich Bildung und zur Schulsozialarbeit an.
Noch eine kurze Ergänzung zu den Berufen an der Schule: Soziale Arbeit ist darauf vorbereitet, mit anderen Berufen und Professionen zusammenarbeiten: LehrerInnen, ErzieherInnen, PsychologInnen, MensamitarbeiterInnen usw.«

BLZ: Worin bestehen aus Sicht des Studienganges die Aufgaben der Sozialen Arbeit an der Schule?
Holger Kühl: »Wir haben zwei Hauptquellen unserer Arbeit: Die eher am Einzelfall orientierte Arbeit im Sinne der Kinder- und Jugendhilfe, häufig mit dem Stichwort Kindeswohlsicherung verbunden, und die Arbeit mit dem System Schule, also mit ganzen Klassen, mit der Etablierung von speziellen Programmen wie Patenschaftsmodellen oder StreitschlichterInnenmodellen. Wir haben beides im Blick: Das einzelne Individuum und die die sozialen Einbindungen in und außerhalb der Schule. Zusammen stellt das die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen dar. In dieser ganzheitlichen, systemischen Sichtweise werden wir auf allen Ebenen aktiv und suchen Lösungen, Perspektiven, Kooperationen.
Soziale Arbeit rettet nicht die Welt. Aber wir unterstützen alle Beteiligten, selbst ein bisschen zu retten.«

BLZ: Welche Kompetenzen sind für dieses Arbeitsfeld besonders gefragt?
Holger Kühl: »Zunächst sind es Haltungen, die Soziale Arbeit mitbringt: Ganzheitliche Sichtweise, Blick auf Netzwerke, das Fragen nach den Bedingungen und den Zielen aller Beteiligten, Verzicht auf Schuldzuweisungen, und vor allem: Anwaltschaft gerade für die Stillen, Benachteiligten, Schwachen. Klingt vielleicht etwas überhöht, aber unsere ethische Grundorientierung leitet sich aus den Menschenrechten und dem Streben nach Sozialer Gerechtigkeit ab. Das ist tatsächlich ein hoher Anspruch.
Um so arbeiten zu können, ist eine Vielfalt von Kompetenzen nötig. Das Wissen um Soziale Sicherungssysteme, rechtliche Grundlagen, wissenschaftliche Erklärungen des Menschen und der Welt sind noch die einfacheren. Das genaue Hinsehen und Zuhören, das Verständnis von sozialen Zusammenhängen, die Fähigkeit, persönliche Ressourcen zu entdecken und zu fördern, das
Geschick, Vertrauen entstehen zu lassen, Motivation für Veränderungsprozesse entstehen zu lassen, Menschen in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken, naja, und dabei die geeigneten Methoden zu nutzen, die richtigen Netzwerke zu schaffen oder zu nutzen, all das gehört zum Kompetenzrepertoire der Sozialen Arbeit.«

BLZ: Im vierten bis sechsten Semester gibt es in der Ausbildung die Module »Praxis im Projektzusammenhang«. Was haben wir uns darunter vorzustellen?
Holger Kühl:
»Diese zentrale Veranstaltung in unserem Curriculum dient dazu, dass die Studierenden, von uns vorbereitet, begleitet und anschließend mit uns ausgewertet, erste intensivere Erfahrung in der professionellen Praxis der Sozialen Arbeit machen. Oft können sie dabei auch schon selbst aktiv werden und erleben, wie sich ihr Handeln auswirkt. Diese 540 Stunden Praxis bewerten wir nicht im Sinne von guter oder schlechter Praxis, sondern fragen nach der Reflektion ihres Kompetenzerwerbs. Die Studierenden sind hier also gezwungen, sich mit ihren eigenen Fähigkeiten auseinander zu setzen. Und das wird von uns Lehrenden in Praxisbesuchen, Gesprächen oder über ein umfassendes Portfolio erforscht. Diese Note geht dann auch mit 20% in die Endnote ein.

BLZ: Gibt es Rückmeldungen von AbsolventInnen, die jetzt in der Schule arbeiten?
Holger Kühl: »Wir pflegen weit über die Praktika hinweg Kontakt zur Sozialen Arbeit an Schulen, etwa über die LAG Schulsozialarbeit. Wir erleben, dass es in der Praxis der Schulen oft nicht einfach ist, unser sehr umfassendes Professionsverständnis umzusetzen. Unterrichtsvertretung oder Pausenaufsicht sind eben keine Schulsozialarbeit, wohl aber die Schaffung von Rückzugsräumen, oft Freizeitbereich genannt, informelle Gespräche etwa in der Pause, der Blick über die Schulmauern hinweg in den Stadtteil oder auch der freundliche Hausbesuch bei Eltern. Dort, wo Schulsozialarbeit in den Schulen nach eigener Fachlickeit wirken kann, merken alle Beteiligten meist wenn auch nicht immer sofort eine positive Veränderung des Schulklimas, ein größere Bereitschaft zur Zusammenarbeit, eine wachsende Offenheit im Umgang miteinander.«

BLZ: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, Herr Kühl?
Holger Kühl: »Die Chance für die Soziale Arbeit, an allen Schulen, egal ob Grund- oder Oberschule, Gymnasium oder Berufsschule, egal ob in Borgfeld oder Tenever, egal ob Halbtags- oder Ganztagsschule, in vernünftigen Arbeitsverhältnissen zu zeigen, was in ihr steckt! Ich bin mir sicher, dass wir eine wichtige Rolle im Zusammenspiel aller Berufe, Professionen und Beteiligten an den Schulen spielen, und das ginge noch viel besser und deutlicher, wenn wir überall vertreten wären!«

BLZ: Vielen Dank für das Interview.


Die Fragen stellte Jürgen Burger