Zum Inhalt springen

Schwerpunkt

Der Qualitätsbegriff der Behörde ist zu korrigieren

Bremen darf den Anschluss im Bildungsbereich nicht vollends verlieren!

„Bremen darf den Anschluss im Bildungsbereich nicht vollends verlieren!“ Mit diesem Titel brachte eine ganz große Koalition aus CDU, SPD und den Grünen im November 2017 einen Antrag in die Bremische Bürgerschaft ein. Vorangegangen waren erneut nicht zufriedenstellende Resultate in bundesweiten Vergleichsuntersuchungen des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Eine Qualitätsoffensive sollte deshalb auch die ausdrücklich erwähnten ´hausgemachten` Probleme der bremischen Schulen angehen. „Für ein ´Weiter so`“, da waren sich die drei Parteien einig, „kann es endgültig keine Option mehr geben“ (Bremische Bürgerschaft 2017, S. 1).

 

Ein Verlassen alter Wege mit dem Begriff „endgültig“ zu belegen, ist dabei nur zu berechtigt, denn „die Ergebnisse sind niederschmetternd“, wie Hayo Matthiesen in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vermerkte. Nur: Sein Artikel zur Leistungsbilanz deutscher Schüler*innen stammt vom 20. September 1974 und zeigt auf wie ehrenwert es ist, sich 43 Jahre später der Angelegenheit nun wirklich widmen zu wollen.

 

Die Qualität ist der Maßstab

Der Verweis auf Qualität ist nun seinerseits nicht frei von Gefahren, denn man bezieht sich auf einen „sehr vielschichtigen und interpretationsbedürftigen Begriff“ (Ditton 2007). Nutzt man diesen jedoch, dann gilt es, die Erwartungen an Bildungssystem und schulisches Lernen zu verdeutlichen und ebenfalls, wie man den Grad des Erfüllens dieser Erwartungen misst (vergl. ebenda).

Wie das geht, zeigte jüngst die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Für sie bestimmt sich Qualität danach, „inwieweit das Bildungssystem eines Bundeslandes zum Wachstum und Wohlstand der Wirtschaft beiträgt“ (INSM 2022). Nun können wir zu recht und auch in der notwendigen Deutlichkeit kritisieren, dass die Stichprobe der Befragung für Bremen nur 53 der mehr als 7.000 Lehrkräfte umfasst und sich die Daten zur Schulqualität auf hinlänglich bekannte IQB-Untersuchungen aus den Jahren 2016 und 2018 beziehen. Nur: Die Schlussfolgerungen werden bestens aufbereitet in die politische Auseinandersetzung eingegeben und befördern das enge funktionale Bildungsverständnis der Initiative, was bei einer Lobbyorganisation des Instituts der Deutschen Wirtschaft auch nicht verwundert.

 

Die Linie der bremischen Landesregierung

Schon der oben zitierte Antrag deutet an, wie angefasst mindestens die drei Parteien, die für diesen verantwortlich zeichnen, auf den Zusammenhang von Qualität und Ressourcen reagieren. Die Forderung nach zusätzlichen finanziellen Mitteln würde nach ihrer Sicht der Welt reflexhaft aufkommen und greife „inhaltlich allein zu kurz“ (Bremische Bürgerschaft 2017, S. 2). Letzteres ist unbestritten, macht es aber umso interessanter zu erfahren, worin der qualitative Entwicklungsprozess gesehen wird. Dieser beruht gemäß Senatsbeschluss auf drei Säulen: Verbindlichkeit, Lernzeit und Ressourcenverteilung. Diese Handlungsfelder also sollen den notwendigen Schub erzeugen:

1.            Mit „Verbindlichkeit“ ist insbesondere der „Umbau der Bildungsadministration zu einer strukturierten Qualitätsbegleitung“ (SfKB 2017, S. 2) gemeint. Diese konkretisiert sich in dem Aufbau eines Instituts für Qualitätsentwicklung.

2.            Die Lernzeit soll erhöht werden, u.a. durch Verstärkungsstunden in Mathematik, Unterstützungsstunden für Kinder mit Lernschwierigkeiten und einem weiteren Ganztagsausbau – dies in stabilen Lernsituationen.

3.            Die Ressourcen sollen ergänzt und nach Bedürftigkeit umverteilt werden.

 

Der Grundgedanke dieser Veränderungen besteht darin, durch eine „faktenbasierte Steuerung“ (SfKB 2018, S. 3) das bremische Bildungssystem zukunftsfähig zu machen. Datengestützt soll die Qualitätsentwicklung sein. Und Hamburg ist das Vorbild. Sieht man sich heute mit einigem Abstand die Vorlagen erneut an, dann drängt sich der Eindruck auf, dass der Geist, der sich in diesen Säulen herumtreibt, leider von etwas schlichtem Gemüt ist, vielleicht auch eher ideologisch befangen.

 

Der Realitätsgehalt zwischen den Säulen

Das 2017 beschlossene Institut ist nun im Februar 2022 gegründet worden. In seiner gültigen, aus fünf Punkten bestehenden Aufgabenbeschreibung dominieren – neben „Qualität“ - die Begriffe Evaluation, Steuerung, Diagnostik, Screeningverfahren und Berichterstattung. Die angekündigte Ausrichtung des Messens und Ermittelns wird eingehalten, zur inhaltlichen Ausgestaltung verweist der Deutsche Bildungsserver, angesiedelt beim Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, beim Stichwort „Bildungsqualität“ für Bremen allerdings weiterhin auf den „Orientierungsrahmen Schulqualität“ vom September 2007. Immerhin soll dieser in Kürze überarbeitet und neu konzipiert werden. Für die Behörde kommt es offensichtlich auf die Struktur an, präzise Gedanken zur eigentlichen Arbeit macht man sich später.

 

Die beiden weiteren Säulen, die Lernzeit und die Geldverteilung, sind zunächst quantitativ ausgelegt. Es bleibt ja richtig, Verstärkungs- und Unterstützungsstunden zu gewähren. Nur wo befinden sich die Kolleg*innen, die wir dafür dringend benötigen. Die Idee, auf Referendar*innen zu setzen, zerschlägt sich an jedem Einstellungstermin, wenn die vorhandenen Ausbildungsplätze nur mit Mühe besetzt werden können und man dabei die Fachbedarfe nicht zu eng auslegt.

 

Schließlich noch das Anschmeicheln an Hamburg. Unweigerlich landen wir bei dieser Bezugsgröße jedoch wieder beim Geld. Die ökonomischen Voraussetzungen nämlich verbieten eigentlich eine Bezugnahme auf die Nachbarhansestadt. Argumentieren wir faktenbasiert:

 

Jahr       Ausgaben Bremen

pro Schüler*in  Ausgaben Hamburg pro Schüler*in

2010      6.100,00 Euro    7.100,00 Euro

2015      6.800,00 Euro    8.600,00 Euro

2019      8.100,00 Euro    10.600,00 Euro

 

 

Das bedeutet: Hamburg setzte vor zwölf Jahren 16,4 Prozent mehr Mittel pro Schüler*in ein, vor sieben Jahren 26,5 Prozent und vor drei Jahren 30,9 Prozent (vergl. Schrooten 2021). Bremen holt also ganz und gar nicht auf. Und den Hamburger Kolleg*innen kann man in ihrer Einschätzung unbedingt dahingehend vertrauen, dass ein Institut nicht schon deshalb Gutes leistet, nur weil es erst einmal gegründet ist.

 

Es geht um die Qualität des Qualitätsbegriffs

Die Kritik an den „inneren“ hamburgischen Verhältnissen haben wir bereits vor einigen Jahren in der damaligen BLZ vorgetragen. Anja Bensinger-Stolze, seinerzeit Landesvorsitzende in Hamburg, sprach von geringem Nutzen für die Schulen, zusätzlichem Aufwand, unabgeleiteten Maßnahmen der Behörde und Ausrichtung auf Dezentralisierung durch Autonomie (vergl. Bensinger-Stolze 2018).

 

Was Bremen angeht, so fordert die GEW, bekräftigt durch einen Beschluss ihres Gewerkschaftstages, eine „kritische Qualitätsdiskussion“ mit dem Ziel einer Korrektur des „behördlichen Qualitätsbegriffs“ (vergl. GEW Bremen 2020). Dieses Anliegen der GEW ist nur zu berechtigt, folgt die bremische Behörde mit ihren Grundsätzen doch einer ökonomisierten Ausrichtung der Bildung im Sinne von Anpassung und Verwertbarkeit, durchgesetzt mit Standards und Kompetenzen. Dieses Verständnis steht in krassem Gegensatz zu gewerkschaftlichen Überzeugungen: Bildung ist demgemäß ein Menschenrecht, welches auf demokratischen und humanen Prinzipien beruht und jedem Menschen zusteht. „Jeder Mensch“ bezieht sich dabei auf Lernende und Kolleg*innen. Qualität wird folglich erst dann erreicht, wenn die Arbeits- und Lernbedingungen stimmen, es an gesunden Arbeits- und Lernorten genügend Zeit gibt, gut ausgebildete Fachkräfte dort arbeiten und mit den Daten nicht der bürokratische Aufwand steigt, sondern aus ihnen umsetzbare Konsequenzen abgeleitet werden. Dieser Beschluss ist weiterhin richtig. Er umfasst auch die Aufforderung gegen einen einseitigen Bildungsbegriff Widerstand zu leisten. Dies bleibt eine der herausragenden Aufgaben der GEW.

 

Quellen:

Bensinger-Stolze (2018): „Von Hamburg lernen … !?“, Hamburg

Bremische Bürgerschaft (2017): Pakt zur Verbesserung der Bildungsqualität, Mitteilung des Senats, Drucksache 19/1341, Bremen

Die Senatorin für Kinder und Bildung (2017): Bericht: Geplante Verwendung …, Deputation für Kinder und Bildung, Vorlage L 100/19

Die Senatorin für Kinder und Bildung (2018): Weiterentwicklung der Qualitätsentwicklung im Bremer Bildungssystem, Deputation für Kinder und Bildung, Vorlage L 124/19

Ditton (2007): Erwartungen verdeutlichen und Ergebnisse sichern, In: Pädagogik, Heft 9

GEW Bremen (2020): Qualitätsentwicklung ist ein schillernder Begriff …, Antrag GT 5/2020 zum Bremischen Gewerkschaftstag

INSM (2022): Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft: Bildungsmonitior 2022

Schrooten (2021): Bildung. Weiter denken! Bildungsfinanzierung – Fokus Schule, Frankfurt