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Schwerpunkt

Der große Fachkräftemangel zum Schuljahresanfang

Wenn das Gerede von Qualität zum Zynismus wird Von

In der Stadtgemeinde Bremen weist die Presseerklärung der Senatorin zum Schuljahresanfang 96 unbesetzte Lehrer*innen-Stellen und 170 Stellen aus, die durch 453 Studierende und einige Master-Absolvent*innen vertreten werden. Das heißt 266 Stellen sind nicht regulär besetzt (ca. 5,5 Prozent von ca. 5000). Von 146 Stellen für Soziale Arbeit sind zehn unbesetzt. Der Bereich der Pädagogischen Mitarbeiter*innen ist gänzlich ausgespart. Auch hier ist der Fachkräftemangel groß. Für Bremerhaven wurde die Zahl von 66 unbesetzten Stellen gemeldet (ca. fünf Prozent). Erfahrungsgemäß ist die Lage hier aufgrund mangelnder Bewerbungen noch deutlich schlechter, als in der Stadtgemeinde Bremen. Häufig werden Seiteneinsteiger*innen beschäftigt, die erst später eine pädagogische Qualifikation erhalten. Inzwischen sind dort ca. 20 Prozent auf diesem Weg in die Schulen gekommen.

Die Perspektiven im Lande Bremen

Die Bildungsbehörde hat 2019 aufgrund der Schüler*innenzahl-Steigerung und der Pensionierungen im allgemeinbildenden Bereich in der Stadtgemeinde Bremen einen Einstellungsbedarf von 768 Stellen bis 2025 errechnet (Deputations-Bericht L184/19). Für Bremerhaven muss ca. ein Fünftel hinzugerechnet werden. In der Prognose der Behörde sind die Mehrbedarfe durch bereits laufende oder geplante Maßnahmen (verbindlicher Ganztag in den Grundschulen, ausreichende Ausstattung der Inklusion, Stärkung von Schulen in herausfordernder sozialer Lage) noch nicht enthalten. Seit der Aufstockung der Plätze auf 600 verlassen jährlich bis zu 400 Absolvent*innen das LIS (ohne das Berufsschullehramt ca. 340). Dies scheint gegenüber den offenen Stellen eine ausreichende Versorgungsperspektive zu sein. Es gibt aber viele Fragezeichen: Erstens gilt diese Annahme höchstens für die Stadtgemeinde Bremen, die Bewerbungen nach Bremerhaven sind spärlich. Zweitens gibt es zurzeit jährlich nur ca. 470 Uni-Absolvent*innen für das Lehramt und 25 Prozent davon bleiben nicht in Bremen. Drittens können bestimmte Fachbedarfe nicht gedeckt werden. Und viertens wird sich die Mangelsituation bundesweit verschärfen, die Konkurrenz der Länder um die wenigen Lehramtsabsolvent*innen wird zunehmen.

Die Prognosen über die bundesweite Situation

Die Kultusministerkonferenz rechnet sich die Versorgungslage schön: In ihrer Vorausberechnung des Lehrkräfte-Bedarfs bis 2030, verglichen mit den zu erwartenden Absolvent*innenzahlen der Hochschulen, geht sie von einer Lücke von 21.000 Lehrkräften aus. Demgegenüber ermittelte der Bildungsforscher Prof. Klaus Klemm unter realistischer Einschätzung der schlechten Ausbildungssituation an den Hochschulen eine Lücke von 63.000 Lehrkräften. Hinzu kommt nach seiner Berechnung ein nicht gedeckter Zusatzbedarf von bundesweit ca. 68.000 Stellen zur Realisierung bereits beschlossener oder geplanter Maßnahmen (s.o.).

Die Ursachen des Fachkräftemangels

Die Ausbildung von Lehrkräften wurde und wird sträflich vernachlässigt. Die schlechte Ausstattung bewirkt zudem hohe Studienabbrecherquoten, was den Mangel verschärft. Hinzu kommt, dass die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte in den Schulen so hoch ist, dass die Neigung von Abiturient*innen, sich für das Lehramtsstudium zu entscheiden, gering ist. Beim Mangel an pädagogischen Fachkräften wirken ähnliche Faktoren: Zu geringe Ausbildungskapazitäten für Erzieher*innen und Soziale Arbeit, Arbeitsüberlastung und darüber hinaus schlechte Bezahlung. Verschärfend kommt hinzu, dass die staatlichen Arbeitgeber und die Schulleitungen bevorzugt Teilzeitverträge vergeben, um möglichst viele Personen flexibel einsetzten zu können. Vielen in Teilzeit beschäftigten Erzieher*innen droht die Altersarmut.

Der gute und der schlechte Lösungsweg

Diese Negativ-Spirale aus Fachkräftemangel und Überlastung des Personals kann nur gestoppt werden, wenn eine Reihe von aufeinander abgestimmten Maßnahmen von der Politik eingeleitet wird. Kernpunkte sind dabei eine Entlastung des Personals, hierdurch die Erhöhung der Attraktivität der pädagogischen Berufe und verstärkte Investitionen in die Ausbildung von Nachwuchskräften. Zu befürchten ist jedoch, dass die Politik die zweite Variante forciert: Schon jetzt gibt es immer mehr Versuche, die Standards zu senken und immer mehr „angelerntes“ Personal einzustellen. Die Versorgung ist dann scheinbar gesichert und die Gehälter können niedriger gehalten werden. Wenn dann noch von Schulqualität geredet wird, ist das reiner Zynismus.