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Kernfragen der GEW Teil 15

Der „dritte Pädagoge“ verschafft sich Raum

Dies bedarf im Spannungsfeld von Sanierungsstau und architektonischem Aufbruch verschiedener Anstrengungen

Hell, luftig und licht sollen die Schulgebäude sein, nicht nur Kinder, auch Pflanzen wachsen in ihnen üppig. Als ein Ergebnis brachten Reisende aus Skandinavien schon vor Jahren mit, dass erfolgreiches Lernen und Schulbauten offenbar zusammenhingen. „Futurum“ nannte sich eine schwedische Schule in Blasta bei Stockholm und löste Begeisterung in der Berichterstattung über den dort vorzufindenden Alltag in multifunktionalen Lernlandschaften aus (vergl. Füller 2002). In der Folge wurde sie vor allem in den besagten skandinavischen Ländern oftmals zum Vorbild genommen. Wenngleich der ursprüngliche Gedanke dem Italiener Malaguzzi zugeschrieben wird, entfalte gerade dort im Norden, so wird geschildert, „der Raum“ pädagogische Wirkung als dritte Instanz neben Lehrkraft und Mitschüler: innen. Seitdem schärft sich das Bewusstsein auch bei uns zunehmend – erneut, wie man eingedenk der Geschichte des Schulbaus im Lande Bremen zugestehen sollte.

Ausgangssituation

Bereits wenige Daten geben Auskunft über die in Jahrzehnten praktizierte Vernachlässigung der baulichen Substanz – trotz getätigter Renovierungen und entstandener Erweiterungsbauten. Das KfW-Kommunalpanel weist einen unglaublichen Investitionsrückstand ausschließlich an Schulen in der Bundesrepublik von 44,2 Milliarden Euro aus (vergl. Busch 2021). Konkretisiert für die Stadtgemeinde Bremen sind das 675 Millionen Euro – „vorsichtig geschätzt“ (Hickel 2018), für Bremerhaven 175 Millionen (vergl. GEW Bremerhaven 2019). Trotz der Feststellung, man erlebe den „größten mehrjährigen Sanierungsmarathon an Schulen, den die Stadt je gestemmt hat“ (Schwan 2021), ahnt man an diesem kommunalen Ereignis beispielhaft die Differenz zum eigentlichen Bedarf, denn verbaut werden 2021 in Bremerhaven 20 Millionen Euro. Die Schlagzeile „70er-Jahre-Gammel weicht für neue Mensa“ (ebenda) verbindet immerhin die Not mit (etwas) Optimismus.

Stabile Neubauten

Letzterer, der Optimismus, bedarf allerdings noch einiger Stützen. In einer bundesweiten Umfrage der GEW ist nur ein Drittel der Antwortenden mit dem Zustand der Gebäude ihrer Bildungseinrichtung wirklich zufrieden. Eine hohe Relevanz hinsichtlich notwendiger Verbesserungen wurde u.a. bei dem Bedarf an Räumen für unterschiedliche Zwecke, dem Lärmschutz, dem hygienischen Allgemeinzustand und der Schaffung offener Lernorte gemessen (vergl. GEW 2018). Dies dürfte in unserem Landesverband auf Zustimmung stoßen, nimmt man die Aussagen bei Sitzungen der Betriebsgruppensprecher:innen zum Maßstab.

Dazu kommt: Die eben angesprochenen Schulen unseres Bundeslandes sind, ob nun saniert oder nicht, voll. Mittlerweile führen die Zahlen aus den Behörden unstrittig zu dem Schluss, dass neue Gebäude errichtet werden müssen. Angelangt sind wir damit unweigerlich bei der Frage, welches Bildungsverständnis materialisiert werden soll. Allerdings auch bei einer weiteren: Wie gelingt die Finanzierung? Neben privaten Investments sind vor einiger Zeit Alternativen dazu eingebracht worden: Die Bildung eines Sondervermögens, einer öffentlich-rechtlichen Schulbaugesellschaft oder die Einbindung von gemeinnützigem Wohnungsbau. Diese Vorschläge sind ihrerseits umstritten. Mechthild Schrooten verwies darauf, dass weder öffentlich-private Partnerschaften noch solche zwischen zwei öffentlichen Partnern das entscheidende Problem mangelnder Finanzkraft öffentlicher Haushalte löse. Das Geschäft dabei mache, so resümiert sie, ausschließlich das Kapital (vergl. Schrooten 2019). Die Kommunen benötigten deshalb eine höhere Finanzausstattung, dies bleibe der entscheidende Faktor! Dessen ungeachtet: Es wird gebaut!

Pädagogik und äußere Umstände

Nach dem Faschismus wurden unter der Maßgabe der Demokratisierung Vorstellungen der Reformschulbewegung für eine neue Architektur in Bremen aufgenommen. Die Ausbildung von Individualität und Gemeinschaftssinn sollten „im ausgewogenen Verhältnis gepflegt werden“ (Syring 2014, S. 76). Dies gelang durch eine ausgewiesene Raumqualität. Klassenräume lagen an offenen Galerien, wodurch zweiseitige Beleuchtung und, man beachte, Querlüftung gesichert waren. Das gesamte eingeschossige Schulhaus „öffnete sich ... großzügig und auf vielfältige Weise zum Außenraum“ (ebenda), die Klassen waren kammartig an einen Hauptflur angeschlossen (vergl. ebenda), durch einen quadratischen Grundriss und loses Gestühl sollte Frontalunterricht vermieden werden.

Weitere Typen neuer Schulen entstanden, Ideen wie der „Marktplatz“ als zentralem Ort in der Schule wurden umgesetzt, die ein Verständnis von Schule als „ein(en) Mittelpunkt der Nachbarschaft“ (ebenda, S. 78) beinhalteten.

Die demographische Entwicklung ab Mitte der 50er Jahre und ein verändertes Bildungsverständnis im Gefolge der von Picht benannten „Bildungskatastrophe“ führten dann zu einem Schulbau in Serie. Große Schulen ermöglichten ein vielschichtiges Differenzierungsangebot, industrielle Vorfertigungsverfahren wurden genutzt, um Quantitäten zu schaffen, Schulen wuchsen auch in die Höhe.

Syring nimmt in seiner Einschätzung dieses Wandels explizit Bezug auf den Gedanken des Raumes als drittem Pädagogen. Er konstatiert ausdrücklich den Verlust an „Leichtigkeit und Beschwingtheit des Fünfziger-Jahre-Stils“ (ebenda, S. 80). Die „besonderen pädagogischen Beiträge zu einer guten Pädagogik“ (ebenda, S. 338) gingen mit den Schulen von der Stange verloren und mit deren „atmosphärischen Defiziten“ (ebenda, S. 343) blieben Möglichkeiten ungenutzt.

Neue Chancen: Die Pädagogisierung des Schulhausbaus

Schulen im Lande Bremen, vielmehr deren Mitarbeiter:innen, sind aufgefordert, konzeptionell an deren Entwicklung zu arbeiten. Dies muss, soll es zum Erfolg führen, den Stadtbezirk einbeziehen, dessen Infrastruktur, die Bedürfnisse der dort wohnenden Menschen und einiges mehr. Wer sich gelegentlich den Luxus gönnt, durch die Städte unseres Bundeslandes zu spazieren, entdeckt spätestens jetzt, dass Schulen eine gewisse „Individualität“ bei allgemein verbindlichen Grundausstattungen vertragen können, sowohl pädagogisch als auch baulich.

Die Aktenlage dazu ist unterstützend. Die Senatskommission Schul- und Kitabau hat jüngst einen entsprechenden Leitfaden veröffentlicht. Von „fließender Raumnutzung“ wird darin gesprochen (Senatskommission (2020), S. 5), dem Inneren der Schule zugewandt, nach außen hin vom Einklang mit dem Umfeld „gemäß einer städtebaulichen Zielsetzung“ (ebenda, S. 6). Eine vielfältige Nutzung wird angestrebt, ebenso Wohlbefinden und Geborgenheit innerhalb einer pädagogischen Gemeinschaft bei Realisierung neuer Lernformen. Dazu bedarf es tatsächlich der Mühe einer intensiven Vorbereitung.

Die Phase Null

Zieht man nun Expert:innen heran, um dem Prozess auf die Spur zu kommen, mit dem aus dem pädagogischen Verständnis eines Kollegiums im Sinne der Etablierung gelungener Bildungsprozesse Schlussfolgerungen für die bauliche Umsetzung abzuleiten sind, so verweisen diese auf eine „Phase Null“, in der schulpolitische und räumliche Ausgangslagen, Zusammensetzung der Schüler:innenschaft und pädagogische Programme gesichtet werden, um dies alles und noch viel mehr in eine Schule für morgen zu übersetzen. Man kann das bis ins Detail präzise nachverfolgen, wenn man die Berichte von Anne Havliza und Frank Behrens als Schulbauberater:innen über entsprechende Projekte in Bremen und Bremerhaven zur Hand nimmt (vergl. Seestadt Immobilien (2019) und Senatorin für Kinder und Bildung (2019)). Im Ergebnis zeigen sie auf, was es heute bedeuten kann, sich auf den „dritten Pädagogen“ zu beziehen, und zwar eingedenk historischer Vorbilder.

So sind sowohl für den Kaisen Campus in Huckelriede als auch für das Schulzentrum Geestemünde ein inklusives Lernverständnis, eine Schulorganisation von der 1. bis zur 10. Klasse, die Unterrichtsqualität, eine Ausstrahlung in den Stadtteil, aber auch die Arbeitsbedingungen der multiprofessionellen Teams Basis für die Planung. Räume, die derartige Ideen unterstützen, müssen u.a. in ihrer Ausdehnung kleine und große Gruppen aufnehmen können, von der Leseecke bis zum Schulauditorium; in ihrer Gesamtheit Zonen der Ruhe und des Rückzugs für Lernende, Lehrende und soziale Arbeit oder gerade im Gegenteil Bereiche körperlicher Betätigung sein; die Chance eröffnen, eine wesentliche Idee des Schulgesetzes umsetzen zu können, d.h. „teamfähig“ sein, für Schüler:innen und pädagogische Kräfte, und dazu braucht man mehr als angespitzte Buntstifte; helfen, didaktische Vorstellungen Wirklichkeit werden zu lassen. So sehr wir unsere Phasen der Instruktion auch lieben, problem-, projekt- oder handlungsorientierter Unterricht erfordert Voraussetzungen auch bei Ausstattung und Material.

Die vielfältigen Bedürfnisse, das wurde bereits erwähnt, spielen beim Schulbau eine entscheidende Rolle. Sie zu ermitteln, ernst zu nehmen und nicht weg zu bügeln, das zeigen die Berichte, ist ein Erfolgskriterium. Solche Verfahren sind mühsam, konfliktreich, aufwändig, aber alternativlos. Die bundesweite GEW-Umfrage zeigt dagegen, dass im Allgemeinen die Zufriedenheit von Mitarbeitenden über eine wirksame Beteiligung beim Schul(um-)bau nur durchwachsen ausgeprägt ist (vergl. GEW 2018). Die geschilderten gelungenen Beispiele sollten ermutigen.

Die Schulen in ihrer Stadt

Schulen stehen nun nicht einsam in der Landschaft, sondern in unserem Bundesland in einer von zwei Städten und sind damit Teil einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung. In seinem Beitrag „Der Kampf um die Stadt“ zeigt Richard Sennett das Grundsätzliche darin auf. Sein Plädoyer für eine „radikal offene Stadt, die zu einem Ort gelebter Demokratie wird“ (Sennett 2018, S. 79) ist eindeutig. Der moderne Kapitalismus dagegen befördere ein entgegengesetztes Verständnis von Zusammenleben. Diese Feststellung hat unmittelbare Auswirkung auf Schule, Bildung und die dafür errichteten Bauten. „Die Machtverhältnisse sind in deren physische Gestalt eingeschrieben“ (ebenda, S. 83), sagt der Autor. Auch dies ist ein bedeutender Hinweis, denn die Menschen in den Schulen erfahren (äußere) Formen, die demokratische Prozesse befördern oder auch nicht. Diese Formen überhaupt wahrzunehmen und zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen, wäre dann eine weitere Aufgabe gewerkschaftlichen Handelns.

Die Bedingungen dafür sind erwartungsgemäß nicht einfach, zunehmend kämen Menschen mit der Komplexität der Welt schlecht zurecht, suchten „Benutzerfreundlichkeit“ und seien bequem (vergl. ebenda, S. 90f.).

Wir haben uns aber eines sehr aktiven Ansatzpunktes vergewissert: Beide oben geschilderten Planungen sind Ergebnis eines Mitwirkungsprozesses und, mindestens perspektivisch, eingebunden in die Stadtentwicklung. Dabei wird mancher Widerspruch aufgeworfen: Wenn das Quartier eine derart große Rolle spielt, welche Funktion hat dann die stadtweite freie Anwahl von Schulen ab Klasse 5? Wenn zum Bau von Schulen ein Abgleich zwischen Pädagogik und Architektur stattfinden muss: An welcher Stelle sind die Beteiligungsressourcen rechtssicher festgeschrieben? Und wenn die beschworene Öffnung in den Stadtteil gelingen soll: Wer betreut die Bibliothek, den Marktplatz, die Erkundungen in die Umgebung – abgesichert und nicht prekär bezahlt? Nur: Die Qualität von Schule in ihren verschiedenen Dimensionen, gerade auch hinsichtlich des „dritten Pädagogen“, bleibt Ergebnis politischer Auseinandersetzungen, welche die Schulgemeinde und ihre Gewerkschaft führen müssen. 

Quellen:
Busch (2021): Auf Durchzug, in: Süddeutsche Zeitung vom 26.04.21
Füller (2002): Das verschwundene Klassenzimmer, in: taz vom 6.02.2002
GEW (2018): Initiative Bildung. Weiter denken!", Drucksache HV-038/18, Frankfurt a.M.
GEW (2019): Gegen den Investitionsstau im Schulbereich - eineArgumentationshilfe, Frankfurt a.M.
GEW Bremerhaven (2019): Es gibt nicht nur einen Weg, Presseinformation des Stadtverbandes
Hickel (2018): Unter den gegebenen Bedingungen wäre ein Sondervermögen die beste Lösung, in: BLZ, Heft 1
Schrooten (2019): Schulneubau in Bremerhaven - aber wie?, Vortragsskript, Bremen
Seestadt Immobilien (2019): Phase Null Schulzentrum Hamburger Straße, Bremerhaven
Senatorin für Kinder und Bildung (2019): Phase Null Bauprojekt Kaisen Campus, Bremen
Senatskommission Schul- und Kitabau (2020): Leitfaden Schulbau Bremen, Bremen
Syring (2014): Bremen und seine Bauten 1950 -1979, Bremen
Schwan (2021): 70er-Jahre-Gammel weicht für neue Mensa, ln: Nordsee-Zeitung vom 23.08.21