Kein Bekenntnisunterricht
Um die spezielle Situation Bremens beim Religionsunterricht in Deutschland zu verstehen, sind einige kurze geschichtliche und rechtliche Erläuterungen notwendig. Die Bremer Landesverfassung wurde 1947 mit einem besonderen Artikel zum „Unterricht in Biblischer Geschichte“ versehen. Artikel 32 sieht vor, dass der Unterricht „bekenntnismäßig nicht gebunden“ sein soll, sondern auf einer „allgemein christlichen Grundlage“ stattfinde. Mit dieser Kompromissformel wurde damals ein staatlicher (!) Religionsunterricht eingerichtet. Zwei Jahre später wurde im Grundgesetz für ganz Deutschland allerdings bekenntnismäßig gebundener Religionsunterricht mit den Religionsgemeinschaften in Art 7,3 vorgesehen. Bremen intervenierte erfolgreich und sicherte sich durch die „Bremer Klausel“ (Art. 141 GG) eine Ausnahmeregelung! Seit jener Zeit ist dieser Unterricht in Bremen allein Sache des Staates. In den meisten übrigen Bundesländern wird der Religionsunterricht in den Schulen konfessionell getrennt erteilt. Für die Inhalte und Lehrpläne sind dort die Religionsgemeinschaften mit verantwortlich.
Ziele des Bildungsplans
Zurück in die Gegenwart! Bildungspolitisches Handeln war also angesagt. Die Politik hatte sich darauf verständigt, dass die Landesverfassung nicht geändert werden sollte. Das neue Fach Religion steht also nach wie vor auf der Grundlage des Artikels 32. Im Schuljahr 2013/14 erarbeitete eine Kommission des Landesinstituts für Schule einen neuen Bildungsplan. Zu den Zielen und Aufgaben des Faches heißt es dort: „Landesverfassung sowie Bremisches Schulgesetz geben dem Religionsunterricht Orientierung und inhaltliche Struktur. Der Unterricht im Fach Religion hat dabei nicht die Aufgabe, zu einem bestimmten Bekenntnis oder zu einer bestimmten Religion hinzuführen und ist nicht bekenntnisorientiert. Der Unterricht ersetzt nicht die religiöse Erziehung durch die Elternhäuser oder durch die Religionsgemeinschaften, sondern tritt als schulisches Bildungsangebot hinzu“. Zielgruppe ist die ganze Klassengemeinschaft: „Das Fach Religion wendet sich an alle Schülerinnen und Schüler, ungeachtet ihrer jeweiligen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen. Es bietet auch jenen, die keinen ausgeprägt religiösen Hintergrund haben bzw. sich in Distanz oder Widerspruch zu jeglicher Form von Religion verstehen, Erfahrungsräume und Lernchancen“.
Der Beirat für das Fach Religion
Ausdrücklich war im Koalitionsvertrag von einer Begleitung des neuen Faches durch einen „Beirat der Religionsgemeinschaften“ die Rede. Im Sommer 2014 berief die Senatorin Mitglieder aus folgenden Vereinigungen: Evangelische und Katholische Kirche, islamische Verbände, jüdische Gemeinde. Hinzu wurden noch Vertreter der Ausbildungseinrichtungen Universität und LIS, sowie der Fachverband der Religionslehrkräfte berufen. Der Start des neuen Gremiums gestaltete sich nicht einfach. Die muslimischen Gemeinschaften weigerten sich, an der Mitgestaltung eines Fachs Religion mitzuwirken, wenn dieses noch auf der bisherigen Verfassungsgrundlage geschehen sollte. Dem neuen Fach Religion warfen sie den unzulänglichen Charakter eines „Gemischtwarenladens“ vor und forderten einen eigenen islamischen Religionsunterricht im Land Bremen. Ähnlich hatte sich zuvor auch die CDU geäußert. Diese Vorstellungen lassen sich jedoch auf Grund der rechtlichen Lage und der jahrzehntelangen Bremer Praxis nicht umsetzen. Für eine erfolgreiche Arbeit des Beirates hängt viel davon ab, ob die muslimischen Gemeinschaften sich der Aufgabe stellen werden, den Hintergrund des Faches Religion in Bremen im kritischen Dialog mit zu gestalten. Dass ein Miteinander verschiedener Religionsgemeinschaften viel Zeit zum Wachstum braucht, hat die Entwicklung in Hamburg gezeigt; gleichzeitig ist diese Arbeit aber gesellschaftlich äußert chancenreich und sollte daher mit viel Elan fortgesetzt werden.
Befähigung zum Dialog
Besonderes Kennzeichen ist die multiperspektivische Ausrichtung. In der Grundschule und in der Sekundarstufe I werden beispielsweise die Grundmerkmale der großen Religionen vorgestellt, Erfahrungen mit religiösen Räumen, Symbolen und Festen erörtert und Kenntnisse über religiöse Schriften und Traditionen erworben. Wie bei jedem anderen wissenschaftlich begründeten Schulfach, spielt auch die kritische Auseinandersetzung eine Rolle, damit Schülerinnen und Schüler zu reflektierten eigenen Einschätzungen kommen können. Gerade angesichts fundamentalistischer Strömungen in den Religionen sind in der Schule erworbene solide Fachkenntnisse und eigene Urteile von großer Bedeutung. Im Unterricht werden auch religiöse Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Judentum, Christentum und Islam erörtert. In den höheren Klassen kommen noch Informationen über Hinduismus und Buddhismus hinzu. Wichtiges Ziel des Unterrichtes ist die Befähigung zum Dialog mit anderen Kindern und Jugendlichen. Die Dialogorientierung könnte man als das herausragende Merkmal des neuen Bildungsplanes bezeichnen. Damit wird explizit an Erfahrungen des Bundeslandes Hamburg angeknüpft. Dort wird schon länger ein „Religionsunterricht für alle“ durchgeführt. Dieser ist im intensiven gemeinsamen Gespräch zwischen Christen, Juden, Muslimen und Buddhisten entwickelt worden und findet hohe Akzeptanz.
Umsetzungsfragen
Ein neuer Name und eine neuer Bildungsplan allein reichen natürlich nicht aus, um erfolgreich Schule zu gestalten. Daher hat das Landesinstitut für Schule für das laufende Schuljahr Fortbildungsmaßnahmen eingeleitet und für das Jahr 2016 einen Fachtag in Vorbereitung. Weitere Fortbildungen werden von der Arbeitsstelle Religionspädagogik+Medien (Bremische Evangelische Kirche) angeboten, auch die Universität Bremen beteiligt sich mit fachlicher Unterstützung.
Bereits jetzt ist zu spüren, dass diese neuen Pläne mit dem Fach Religion in Bremens Schulen auf offene Türen stoßen. Trotz recht kurzfristiger Ankündigung kamen am 15. Juli mehr als 80 Lehrkräfte ins LIS, um sich erstmals über den neuen Bildungsplan zu informieren. In Arbeitsgruppen wurden die Inhalte und Kompetenzen diskutiert. Die Lehrkräfte äußerten sich weitgehend positiv zum neuen Bildungsplan und konnten sich die praktische Umsetzung gut vorstellen. Die Änderung des Fachnamens fand einhellig Zustimmung, denn der traditionsreiche Begriff „Biblische Geschichte“ war immer sehr erklärungsbedürftig! Einige Lehrkräfte äußerten jedoch die Sorge, dass das neue Fach an ihrer Schule nicht zum Zuge kommen werde, weil die Schulleitung andere Prioritäten setze. Der Vertreter der Schulbehörde, Lars Nelson, verwies darauf, dass alle Schulen in der Pflicht seien, das Fach Religion einzuführen, dies werde man regelmäßig überprüfen
Chancen für die Schulen
Der Fachlehrerverband begrüßt die neue Entwicklung. Gleichzeitig erwartet der Verband, dass diese Ansätze nachhaltig umgesetzt werden, damit Bremens Schülerinnen und Schüler wirklich davon profitieren können. Denn in dem gemeinsamen Unterricht über Religion liegen große Chancen, die oftmals in Bremen und Bremerhaven nicht genügend beachtet werden. Leute, die von außen kommen, sehen da manchmal mehr. Kürzlich waren einige evangelische Religionslehrer aus verschiedenen Bundesländern in Bremen zu Gast. Sie besuchten einen Leistungskurs Religion im 12. Jahrgang, nahmen am Unterricht teil und diskutierten mit den Schülern. Die Gäste stellten anschließend fest: „Das ist eine Zustimmung zum Religionsunterricht, die man sich andernorts auch nur annähernd so deutlich wünschte“; sie waren beeindruckt vom „permanenten Austausch und real stattfindenden Dialog zwischen sämtlichen an einer Schule vertretenen religiösen Prägungen“.
Es wird noch großer Anstrengungen bedürfen, damit noch mehr Schulen diese Ziele erreichen können. Dann kann man das auch an die große Glocke hängen. Aber gut, dass jetzt ein Anfang gemacht wurde!
Der Autor
- Dr. Manfred Spieß, Jg. 1949, war viele Jahre Lehrer am Schulzentrum Butjadinger Straße (OS Roter Sand) und arbeitete in der Lehrerausbildung an der Universität Bremen.
Er ist Vorsitzender des Fachverbandes der Religionslehrkräfte im Land Bremen e. V.:
www.reli-bremen.de