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Friedenspolitik

„Das ist kein Pazifismus, das ist Putin-Propaganda!“

Wie am 3. Oktober Leichensäcke vor die russische Botschaft in Berlin kamen Ein Gespräch mit dem Jugendnetzwerk der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstverweigerer im Landesverband Berlin-Brandenburg.

Eine öffentlichkeitswirksame Aktion „Unter den Linden“. (Foto: Jugendnetzwerk DFG-Vereinigte Kriegsdienstverweigerer)

Am 3. Oktober fand in Berlin eine großangelegte friedenspolitische Kundgebung statt, bei der neben bekannten Stimmen wie Reiner Braun auch Sahra Wagenknecht oder CSU-Politiker Peter Gauweiler auf dem Podium sprechen durften. Schon der Aufruf zu dieser Demonstration war unter Friedensbewegten teilweise kontrovers aufgenommen worden. Unterstellt wurde darin, es gäbe lediglich aufgrund einer Weigerung der NATO keine Verhandlungen, und würde sich das ändern, sei mit Putin eine schnelle Befriedung zu erreichen. Gegen dieses - verglichen mit der Sicht auf den Westen - recht positive Bild der russischen Regierung formiert sich innerhalb der Friedensbewegung Widerstand. Jüngere Mitglieder der DFG-VK Brandenburg-Berlin verfassten einen Gegenaufruf, in dem sie u.a. Empathie für die Opfer der russischen Bombardements forderten, und griffen zum Mittel einer alternativen Aktion: Sie platzierten am Tag der Demonstration Leichensäcke vor der Botschaft Russlands. Auf Transparenten riefen sie dazu auf, den „russischen Angriffskrieg“ als solchen zu benennen. Im Gespräch mit dem Bildungsmagazin erläutert Emma, deren voller Name der Redaktion bekannt ist, im Namen der Gruppe Motive und Hintergründe der Aktion.

Was ist eure Kritik am Aufruf zur Demo vom 3. Oktober in Berlin?

Das Organisationsteam war nicht bereit, den Angriff Russlands auf die Ukraine als solchen anzuerkennen. Natürlich stehen auch wir der NATO nicht unkritisch gegenüber. Doch durch die einseitige Schuldzuweisung an den Westen nähert sich der Aufruf Putins Propaganda und den damit verbundenen Verschwörungsnarrativen an. Dementsprechend fehlt jegliches Verständnis für die Lage der ukrainischen Bevölkerung. Es findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Das führt zu einer gewissen Rechtsoffenheit, schließlich hört man auch in der AfD solche Töne. Im Vorfeld der Demonstration konnten sich weitgehend ungehindert Leute an den Vorbereitungstreffen beteiligen, die das Thema des Ukraine-Krieges mit Verschwörungsideen bis hin zu Corona-Schwurbel verknüpfen. Und schließlich: Unterstützung für Kriegsdienstverweigerung in Russland und den mit ihm verbündeten Staaten wäre ja ein klassisches pazifistisches Anliegen – im Aufruf kommt es nicht vor. 

Wie waren bislang die Reaktionen auf euren Vorstoß?

Eher gespalten. Es gibt in der Friedensbewegung diesbezüglich eine gewisse Spaltung, und unsere Position ist in der Minderheit. Trotzdem, oder gerade deswegen, wollten wir zeigen: Nicht alle stehen hinter der momentanen inhaltlichen Ausrichtung, die von einflussreichen Leuten wie Reiner Braun dominiert wird. Er ist schon sehr lange in der Friedensbewegung aktiv, und viele fühlen sich mit ihm aufgrund langjähriger Zusammenarbeit in Loyalität verbunden. Früher oder später werden sich dennoch die Jüngeren in der Bewegung mehr Gehör verschaffen, und darauf setzen wir eine gewisse Hoffnung. 

Und wie ist die Lage innerhalb eurer eigenen Organisation, der DFG-VK?

Da ist es durch hartnäckige Diskussionen gelungen, eine Distanzierung vom offiziellen Aufruf zur Demo zu erreichen. Unter anderem, weil die Veranstaltenden nicht bereit waren, ein ausdrückliches Asylrecht für kriegsdienstverweigernde Menschen aus Russland, Belarus und weiteren beteiligten Ländern zu erwähnen. Aus diesen und anderen Gründen hat sich die DFG-VK distanziert, wenngleich viele Mitglieder trotzdem zur Demo gegangen sind. Meinungsverschiedenheiten gibt es also auch in unserer Organisation, doch wir sind guter Dinge, weiterhin produktive Diskussionen führen zu können.

Hat der Ablauf der Demo am 3. Oktober eure Befürchtungen bestätigt?

Wie der Presse zu entnehmen war, konnte Sahra Wagenknecht dort sprechen. Das BSW wird gewissermaßen als Bündnispartner akzeptiert. Als Ralf Stegner von der SPD Russlands Angriffskrieg erwähnt hat, wurde er ausgebuht. Tenor der meisten Reden war, dass die Verantwortung für den Ukrainekrieg ausschließlich im Westen zu suchen sei.

Was sind eure Forderungen bezogen auf den Ukraine-Konflikt?

Wir fordern, dass waffenlos Druck auf die russische Regierung ausgeübt wird. Sie hat den Krieg begonnen und kann ihn wieder beenden. Kriegsdienstverweigerung dort muss unterstützt werden. Wie bereits erwähnt, auch durch die Anerkennung als Asylgrund.

Wie steht ihr zu Menschen in der Ukraine, die sich mit Waffen gegen den Überfall zur Wehr setzen?

Wer sind wir, dass wir den Menschen in der Ukraine Vorschriften machen könnten, wie sie sich in einer solchen Ausnahmesituation zu verhalten haben? Sie sind in einer schwierigen Situation. Wir respektieren natürlich und unterstützen die Gewissensentscheidung aller, die auch dort den Kriegsdienst verweigern. Dennoch ist festzuhalten, dass die Ukraine nicht der Aggressor ist.

Seid ihr mit eurer eigenen Aktion zufrieden?

Wir haben ein gutes Presseecho erzielt und sind mit Leuten ins Gespräch gekommen. Weitere Aktionen werden folgen - aber darüber sprechen wir jetzt noch nicht.

Wir danken für das Gespräch.