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Das Hamburger Übergangssystem und die Jugendberufsagentur

Die Jugendberufsagentur (JBA) gilt derzeit als vorbildliches Instrument im Übergang von der Schule zum Beruf. Der Einrichtung der JBA gingen mehrere Änderungen im Hamburger Schulsystem voraus, die die Einrichtung der JBA erleichterten.

Vorgeschichte
2010 wurde von der Hamburgischen Bürgerschaft eine umfassende Reform der beruflichen Schulen beschlossen, die auch Auswirkungen auf die neuen Stadtteilschulen (STS) hatte.
Die STS ist eine der beiden großen Säulen des Hamburgischen Schulsystems, allerdings eine schrumpfende. Auf die STS in Hamburg entfielen in diesem Jahr nur ca. 43% der Anmeldungen zur 5. Klasse, deutlich mehr Kinder wurden an den Gymnasien angemeldet. Die STS trägt die Last der Inklusion beinahe allein und leistet ab der 8. Klasse auch die Berufsorientierung. Diese wurde im letzten Jahr neu gefasst, dabei wurden die Stunden für die Berufsorientierung zu Lasten anderer Lernbereiche vergrößert. Die Berufsorientierung wird auch von Kolleginnen und Kollegen der beruflichen Schulen geleistet, das ergibt sich aus der o.a. Reform. Ursprünglich sollten den STS 120 Berufsschullehrerstellen für die Berufsorientierung zusätzlich zum Bedarf zugewiesen werden, davon kamen nur wenige an, und einige dieser Stellen wurden für die Einrichtung der JBA verwendet.
Durch die Reform wurden die teilqualifizierenden Berufsfachschulen (BFStq) als „Warte-schleifen“ abgeschafft, der Zugang zu den beruflichen Gymnasien erschwert, die Berufs-vorbereitung in eine neue Form der Ausbildungsvorbereitung verwandelt und das Ham-burger Ausbildungsmodell „Berufsqualifizierung“ eingeführt. Durch diese Reform sanken die Schülerzahlen an den beruflichen Schulen deutlich und führten zu Lehrerüberhängen an den beruflichen Schulen, an denen die BFStq abgebaut wurde.

Das Ziel der Hamburger Jugendberufsagentur

Nach der Wahl der Regierung Olaf Scholz gab dieser die Vorgabe: „Niemand soll verloren gehen“ aus. Es gingen also Personen verloren, und dieser Zustand sollte beendet werden. Konkret bedeutet das, dass man viele Absolventen der Schulen „nicht mehr auf dem Schirm“ hatte. Weder die Bildungsbehörde, noch die Agentur für Arbeit oder andere Akteure wussten, was mit einigen ehemaligen Schülerinnen und Schülern der Sonder-, Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie der Gymnasien passierte. Zwischen Oktober 2010 und September 2011 war der Anschluss von 1.185 Nicht-Abiturienten und 6.752 Abiturienten unbekannt. Man konnte zu Recht vermuten, dass viele Abiturienten ein Studium aufnahmen und dass „Realschüler“ in eine Ausbildung übergehen, man wusste es aber nicht.
Dieser Zustand wurde durch eine Datensammlung in der JBA verlässlich beendet: „Mit einer datenschutzrechtlichen Einverständniserklärung stimmen die Jugendlichen bzw. ihre Erziehungsberechtigten der Datenübermittlung an die Jugendberufsagentur zu, damit die-se ihnen konkrete Dienstleistungen anbieten kann, um sie auch nach Verlassen der Schu-le zu beraten, zu vermitteln und zu fördern.“ (Webseite des Hamburger Instituts für Berufli-che Bildung im Februar 2014).
In diesem Jahr ist nun bekannt, was die Schülerinnen und Schüler nach der Schule machten: 23,3% nahmen eine betriebliche Ausbildung auf, 13,2% begangen eine schulische Berufsausbildung, 1,7% gingen in die Berufsqualifizierung und 0,5% sind in einer außerbetrieblichen Ausbildung untergekommen; insgesamt sind so 38,7% in Ausbildung. Weitere 39% sind in der Ausbildungsvorbereitung. 22,3% haben das (Berufs-) Bildungssystem verlassen, wobei ein sehr kleiner Teil dieser Zahl aus Wegzügen besteht. Wegen der fehlenden Vergleichmöglichkeiten kann man nicht sagen, ob und welche Verschiebungen es gegeben hat. Sind bei den 22,3% Schülerinnen und Schüler enthalten, die früher die BFStq besucht hätten? Hätten früher einige der Schülerinnen und Schüler, die heute in der Ausbildungsvorbereitung stecken, erfolgreich und für sie sowie die Gesellschaft „gewinnbringend“ die BFStq besucht? Auf diese Fragen gibt es keine Antworten.
Niemand ist verloren, weil man weiß wo sie sind und wie viele sie sind. Trotz allem: Die Datenlage schafft die Möglichkeit für politische Handlungen.

Wie arbeitet die JBA in Hamburg und wer ist sie?

In der JBA arbeiten unterschiedliche Akteure zusammen: Das Hamburger Institut für Berufliche Bildung als Landesbetrieb der Bildungsbehörde, die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, die Bezirksämter mit der Jugendhilfe, die Arbeitsagentur Hamburg und das Jobcenter „team.arbeit.hamburg“. Mit der JBA wird also versucht, die zersplitterten Zuständigkeiten und Akteure in Deutschland zusammen zu führen.
Die Beratungs- und Unterstützungskompetenz dieser Akteure wird an einem Ort gebündelt und vernetzt. Die Zuständigkeiten der Institutionen bestehen aber weiter nebeneinander fort. Der Vorteil ist, dass die Berater dieser Akteure nicht nur am gleichen Ort sitzen, sondern sich kennen und die Jugendliche direkt weiter vermitteln bzw. ein gemeinsames Fallmanagement durchführen. Das ist gegenüber früher ein großer Fortschritt.

Bewertung

Die Einrichtung der JBA ist, wegen der Datenlage und der Beratung an einem Ort, ein Erfolg. Die JBA lebt aber von der Verbindung zur Berufsorientierung und nach dem japanischen Sprichwort: „Was nicht besser wird bleibt nicht gut,“ gibt es Verbesserungspotential. Wünschenswert wären hier zwei Dinge: eine wirkliche Beratung aus einer Hand und ein stärker ineinandergreifendes Konzept im Übergangsbereich.
Die Straffung der beruflichen Schulen u.a. durch Abschaffung der „Warteschleifen“ ist aus meiner Sicht kein reiner Erfolg, schließlich gibt es Branchen, in denen nur volljährige Auszubildende eingestellt werden. Die Ausbildungsbetriebe weichen damit verschiedenen Regelungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes aus. In diesen Branchen können Jugendliche nach der 10. Klasse kaum eine Ausbildung beginnen und müssen im jetzigen System eine andere Ausbildung aufnehmen oder auf andere Warteschleifen ausweichen, diese zahlt dann allerdings nicht die Freie und Hansestadt Hamburg.
Ebenfalls kein Erfolg ist es, dass nur 23,3% der Absolventen der 10. Klassen in einer be-trieblichen Ausbildung unterkamen. Mehr als 75% dieser Schülerinnen und Schüler kön-nen kaum als „ungeeignet zur Ausbildung“ gelten. An dieser Stelle muss leider der Staat einspringen. Das ist u.a. am Ansteigen der Fachschulausbildungen abzulesen. Innerhalb von 10 Jahren sind in Hamburg die Schülerzahlen der Fachschulen von 2.775 (2005/06) auf 4.364 für das aktuelle Schuljahr gestiegen. Insgesamt besteht auch in Hamburg noch ein Lehrstellenmangel. Nach der Statistik der Agentur für Arbeit (Ausbildungsstellenmarkt September 2013) waren 2013 in Hamburg 10.866 Ausbildungsplätze zu besetzen. Diesen standen 8.446 gemeldete Bewerber gegenüber, von denen 1.319 keinen Ausbildungsplatz bekamen, wobei ein Teil der statistisch versorgten Bewerber als „Bewerber mit Alternative zum 30.9.“ bewertet wurden. Die Alternativen bestehen wie oben angedeutet häufig aus einem staatlichen Angebot. 664 Ausbildungsplätze wurden nicht besetzt.
Insgesamt werden bei dieser Betrachtung Probleme deutlich, die von einem Instrument wie der JBA nicht gelöst werden können, sondern weitergehende bildungspolitsche Maß-nahmen erfordern.
Die JBA kann auch nicht ohne umgebende Reformen eingeführt werden, d.h. eine isolierte Einführung des Instruments JBA dürfte scheitern. Da die Bedingungen aber überall verschieden sind, muss z.B. Bremen seine eigenen Antworten finden, selbst wenn das Ziel das gleiche wie in Hamburg sein sollte. Schließlich: Auch wenn zwei Lehrkräfte das Ziel haben, zukünftig regelmäßig Sport zu treiben, stellt ein Paar Laufschuhe nicht immer das richtige Hilfsmittel dar.