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Das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft - das Medienereignis

Zuschauen wollen am 11. Juli alle, fast alle, zumindest die meisten. Das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft ist in den neuen Zeiten das Weltmedienereignis geworden, dass die Mehrheit der Menschen zumindest vor dem Fernseher zusammenbringt. Drei Wochen wird man auf das Finale eingestimmt. 2006, als die WM in Deutschland stattfand, sahen es über 600 Millionen Menschen. Aber die meisten Menschen schauten über diese Wochen weder in Italien noch in Frankreich, den Ländern der Finalisten, zu, sondern in China, Brasilien, Vietnam und Deutschland. Das Erstaunlichste: Weder China noch Vietnam nahmen überhaupt an der WM teil, Rekordweltmeister Brasilien, eins der verrücktesten Fußballnationen überhaupt, enttäuschte und schied schon im Viertelfinale aus. Die Menschheit fiebert mit.

Eine chauvinistische Orgie?

Diese Zahlen müssen jeden Fußballignoranten verstören, der Fußball für eine chauvinistische Orgie hält. Die Globalität des Medienereignisses WM verdeckt die Wurzeln der Fußballbegeisterung: Sie stecken im Lokalen. Das Derby, der Kampf benachbarter Rivalen, hat einen enormen Reiz. In Deutschland heißt das berühmteste: Dortmund gegen Schalke, in Italien Inter gegen Milan, in Spanien Real gegen Barca. Auf der Ebene der Nationalmannschaften begann alles am Ende des langen 19. Jahrhunderts mit England gegen Schottland. Entstanden ist das moderne Spiel entgegen nationalkultureller Legenden als ein teil der english sports and pastimes, reguliert wurde es an den Public Schools, den Erziehungsanstalten der Gentlemen. Aber mitspielen wollten nicht nur die Abkömmlinge der Aristokraten, sondern alle, zumindest fast alle.

Zunächst die Bürger, die

Eine Mentalität des Unbedingt-Gewinnen-Wollens?

vermittelt über die Reformpädagogik Leistungsprinzip in den Fußball trugen oder wie ein indignierter Gentleman konstatierte , „Eine Mentalität des Unbedingt-Gewinnen-Wollens“. Wirtshausbesitzer und Unternehmer schöpften das lokale Talentreservoir und ließen Arbeiter mitspielen. Mit ihnen kam in den achtziger Jahren des long century die Professionalisierung ins Spiel, die ein konstitutiver Teil der Migrationsgeschichte ist. Das Herz des Fußballs schlug nicht in London, sondern in den cotton mills von Lancashire. Hierher strömten die schottischen und irischen Arbeiter, die Fußballspielen als Zusatzqualifikation mitbrachten. Traditionsclubs wie Blackburn Rovers und Preston North End konnten noch bis in die zwanziger Jahre mithalten , übrig geblieben im Weltgedächtnis sind Manchester United und der FC Liverpool. Ihre Wurzeln stecken in dem schottischen und irischen Teil der englischen Arbeiterklasse.

Gibt es einen proletarischen Mythos des Fußballs?

Je mehr die Arbeiterklasse verschwindet, umso mehr erhält sich der proletarische Mythos des Fußballs am Leben, der an seiner Wiege als Massensport entstanden ist. Auf dem Kontinent breitete er sich richtig mit dem Ersten Weltkrieg aus. Menschen, die noch nie Freizeit gekannt hatten, kamen während des langweiligen, zermürbenden Stellungskriegs mit dem Ball in Berührung. Auch bei den von den Offizieren gefürchteten Fraternisierungen spielten Matches zwischen den Linien eine Rolle. Während die Männer an der Front waren, begannen Frauen in der Rüstungsindustrie das männliche Spiel zu übernehmen. Aber es dauerte noch nahezu sechzig Jahre, bis sich Frauen in den männlich-bürgerlich dominierten Sportverbänden durchsetzen konnten und eine Anerkennung ihrer Spielweise erreichten. Die erste Fußballweltmeisterschaft der Frauen in Deutschland im Jahre 2011 hat inzwischen den Stellenwert eines Staatsereignisses. Die relativ kurze Geschichte des Frauenfußballs liest sich wie eine Kurzfassung der Klassen- und Migrationsgeschichte des männlichen Soccer, aber ohne dessen lange Geschichte einfach zu wiederholen. Im weiblichen Spiel sind die USA und China Großmächte, während sie bei den Männern nicht auf höchstem Niveau mitspielen. Aber schneller als bei den Männern tragen bekannte Gesichter wie die der WM-Organisatorin Steffi Jones der multikulturellen Realität der Gesellschaft Rechnung.

Der Autor:

  • Prof. Dr. phil. Detlev Claussen, Universität Hannover
  • Der Autor stellte uns den Artikel, der gleichzeitig im „Magazin des Jüdischen Museums“ in Berlin erscheint, zur Verfügung